100 Meter über den Anfängen vom Universum: IKTP-Exkursion zum CERN 2018 (Artikel für die TU Dresden)

Erstellt von mit-Geist-schreiben vor 6 Jahren
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Studenten der TU Dresden erkunden das größte Forschungszentrum der Welt bei der CERN-Fahrt des Instituts für Kern- und Teilchenphysik

An einem nebligen Montag betreten 42 Studenten der TU Dresden das Forschungsgelände des CERN, der europäischen Organisation für Kernforschung. 100 Meter unter ihnen: der Urknall – oder zumindest der Versuch, die anschließende Entwicklung des Universums zu entschlüsseln. Über 27 Kilometer zieht der Large Hadron Collider (LHC), der leistungsstärkste Teilchenbeschleuniger der Welt, einen Kreis unter Erde und Fels des Genfer Beckens. In dem Stahl-umringten Vakuum jagen seine Magneten Protonen und Ionen an den Rand der Lichtgeschwindigkeit, bis sie kollidieren – in kleinen Big Bangs, die Forscher für den Bruchteil einer Sekunde zum Urknall zurückversetzen: Zur Geburt von Teilchen und Masse, von Materie und Antimaterie, um uns ein Stück unserer und aller Geschichte zu offenbaren. Damals, ganz am Anfang.

Woher stammt Masse? Existiert Supersymmetrie? Was ist dunkle Materie? Wie hätten aus der »Ursuppe« des Quark-Gluon-Plasmas die Teilchen entstehen können? Am ersten Märzwochenende 2018, etwa 13,7 Milliarden Jahre nach dem Urknall, staunen 43 Studierende über den Bruchteil eines Bruchteils der Energie vom Beginn. 120 Millionen Watt braucht der LHC, um Antworten auf die Fragen unserer Existenz zu finden. Etwa 280 Watt braucht der menschliche Körper beim Gehen, 20 Watt ist die Leistung des menschlichen Gehirns. In Summe 300 Watt – ohne Aufschlag für komplizierte Aufgaben, die mancher Guide zwischen Maschinengeheul und magnetischem Summen die Studenten abfragt. Die CERN-Exkursion des Instituts für Kern- und Teilchenphysik (IKTP) führt sie in zwei Tagen in die Welt des Kernforschungsinstituts ein, zwischen Maschinen und Kontrollräumen, durch Straßen namens »Marie-Curie«, »Route Einstein« und »Route Schrodinger« – 300 Watt Muskel- und Denkleistung für ein kleines Stück vom Anfang.

7.000 Tonnen Material, 1.700 Forscher aus 37 Ländern: Ein gigantisches Auge, um ins Kleinste zu sehen

Den Ausflug zum CERN organisiert das IKTP jährlich für Studierende, die die 5.-Semester-Vorlesung »Kern- und Teilchenphysik« gerade beendet haben. »Ein ganz anderer Kurs als alle, die wir vorher belegt hatten«, resümiert Julia Steckling, Physikstudentin an der TU, »weil er eine sehr abstrakte Denkweise erfordert, aber auch die aktuelle Forschung einbezieht. Das hat mich fasziniert, ich wollte mir das im großen Maßstab anschauen.“ Die Experimente im großen Maßstab, das heißt unter anderem: der ATLAS-Detektor, eines der vier kolossalen Augen des LHC-Experiments – hier, zwischen 7.000 Tonnen Stahl, Blei, Argon, Silizium, wurde 2012 das Higgs-Boson entdeckt. »Es ist faszinierend, wie so eine große Maschine aus so vielen Einzelteilen durch die Zusammenarbeit so vieler Leute nun so präzise funktioniert, um diese genauen Nachweise zu erbringen!« In der Vorlesung, so Julia, wurden die Experimente angesprochen – aber ihre Wirkungsweise hier nachzuvollziehen, beim Blick ins Kontrollzentrum den Mitarbeitern über die Schulter zu sehen, das sei ein anderes Level.

1.700 Forscher aus 37 Ländern arbeiten an der Maschine, wie der Film im Besucherzentrum des ATLAS erklärt: 46 Meter lang, 25 Meter breit, detektiert sie Teilchenkollisionen in der Beschleunigerröhre des LHC auf Tausendstel Millimeter genau, beobachtet, was aus den »Ereignissen« entspringt. Im CERN Control Center folgt die Gruppe in einer Videosimulation Teilchen auf ihrem Weg durch die Beschleunigerringe des LHC. Ein Forscher in Russland habe einmal einen Teilchenstrahl abbekommen, erzählt der Guide. Ob er noch sagen konnte, was er gesehen hatte, fragt eine Studentin. »Ein Licht heller als tausend Sonnen.“

99,9995% der Informationen aus den Ereignissen der Teilchenkollisionen werden schon im ersten Schritt gefiltert – um die Datenmengen in Grenzen zu halten. Die werden an das Data Centre weitergeleitet, das täglich ein Petabyte verarbeitet – eine Billion Kilobytes, so viel wie 210.000 DVDs, für die 11.000 Server allein hier zur Verfügung stehen; auf das Meer aus Prozessoren blickt die Studiengruppe durch eine Glaswand im Vorführraum des Zentrums, hinter ihnen die bescheidenen Anfänge der Computer und des World Wide Web auf Tischen aufgereiht.

Von Teilchen, Antiteilchen und Sternengeburten

Experimentalphysiker bei der Arbeit beobachten bei ISOLDE, einem Mekka der Kernphysik – »das war interessant zu sehen. Aber noch mehr beeindruckt hat mich der Antiproton Decelerator, wo Antiwasserstoff erzeugt wird, um seine Eigenschaften zu analysieren« – und damit, gemeinsam mit dem AMS-Experiment, der Antimaterie auf die Schliche zu kommen, die sich in unserem sonst so symmetrischen Universum bislang rar macht.

Weniger schüchtern sind die kosmischen Teilchen, die sich aus dem All im »Microcosm« des CERN-Besucherzentrums in die Nebelkammer stürzen: Erstaunte Ausrufe der Studenten begleiten Striemen, die sich in Windeseile durch das Gasgemisch ziehen, und aufbäumende Blasen von größeren Partikeln – größer zumindest im Maßstab der Teilchenphysik. »Dass es so riesige Experimente braucht, und wir diesen riesigen Aufwand betreiben, um so kleine Teilchen zu untersuchen, um zu versuchen zu verstehen, wie unser Universum zu dem geworden ist, was es ist« – das, so Julia, sei einer der faszinierendsten Eindrücke, die sie mit nach Hause nimmt. Ebenso wie den Reiz, der Wissenschaftler aller Welt für dieses Großprojekt begeistert und in Genf zusammenbringt: »Die Vorstellung, dass alles, was wir kennen, aus diesen kleinsten Bestandteilen aufgebaut ist, das hat uns alle unglaublich begeistert.«

So haben schon kurz nach der Exkursion so manche Teilnehmer ihre Bachelorarbeiten bei Organisator Steffen Turkat vorgemerkt. Der Doktorand der Kernphysik will für das CERN begeistern, nicht nur als Ort der Teilchenforschung: Er wolle zeigen, dass das CERN das alles ist: Teilchenphysik, Kernphysik, Materie- und Antimaterieforschung. »Ich würde jeden Physikstudenten der TU Dresden, aber auch Ingenieure, Informatiker, Chemiker, animieren, an der Fahrt teilzunehmen. Es ist eine einmalige Gelegenheit, das größte Forschungszentrum der Welt und die größte Maschine hautnah kennenzulernen.«

Die CERN-Exkursion ist eine jährliche Veranstaltung des IKTP der TU Dresden und wird gefördert von der Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden, dem Studentenrat und dem Fachschaftsrat.

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