Ausschnitt aus einer Hausarbeit in Philosophie zur Kategorienlehre des Aristoteles (Note: 1,0)
0. Einleitung
Mit einer Selbstverständlichkeit teilen wir uns täglich Gedanken über Sachverhalte in der Welt mit. Diese Gedanken vermitteln wir über Sätze, in denen die einzelnen Bestandteile – die Worte oder Wortteile1 – miteinander in Beziehungen stehen, derer wir uns oftmals nicht bewusst sind.
Wir wissen allerdings in der Regel, dass ein Adjektiv eine Eigenschaft eines Dinges, ein Adverb wiederum die einer Handlung ausdrückt, dass Numeralia Mengen ausdrücken etc. – kurzum: wir wissen von Beziehungen vieler Wortarten zu bestimmten Dingen. Denn eine Eigenschaft ist immer eine Eigenschaft an etwas und eine Menge immer eine Menge von etwas und wenn wir die Frage nach der Qualität stellen, dann meinen wir: „Wie ist X beschaffen?“, mit der Frage nach der Quantität meinen wir meist: „Wie viel X ist vorhanden?“. Es gibt keine Eigenschaft ohne Ding, dessen Eigenschaft sie ist und es gibt keine Menge ohne Dinge, die sie in sich vereinigt2. Mit anderen Worten: Man kann immer danach fragen, Was etwas ist und worauf sich die einzelnen Bestimmungen im Satz beziehen. Dabei ist bereits die Wortwahl ‚Bestimmungen’ bezeichnend dafür, dass etwas im Satz vorherrscht: dasjenige, was bestimmt wird. Nun beziehen sich unsere Aussagen in einer dunklen Weise auf die Gegenstände und Ereignisse, die uns umgeben. Die Gegenstände können wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, d.h. sehen, ertasten, hören und gegebenenfalls riechen und schmecken. Wir können diese Gegenstände auch in unseren Verstand aufnehmen, allgemeine Merkmale an ihnen feststellen und sie entweder einem Begriff unterordnen oder diesen von ihnen abstrahieren3. Ganz gleich wie wir zu den Bestimmungen gelangen: die Bestimmungen beziehen sich stets auf etwas, zumindest zeitweise, Unveränderliches oder in unserem Denken als unveränderlich Gesetztes. Im Aussagesatz wird dies durch das Substantiv oder einen Namen ausgedrückt, d.h. es stellt das Subjekt aller Aussagen über diesen Gegenstand dar. In der Wirklichkeit verhält es sich analog: die Wahrnehmungen beziehen sich allesamt auf ein Ding, bzw. ein Objekt, d.h. es gibt ein Substrat, worauf sich alle einzelnen Wahrnehmungen eines Gegenstands und folglich auch alle Bestimmungen zurückführen lassen. Während die Betrachtung von Ding und Bestimmungen im Satz eine semantische Analyse der Elemente des Satzes bedeutet, führt eine Betrachtung von Bestimmungen und Dingen überhaupt, insofern sie sich am Sein bedingen, darüber hinaus und stellt eine metaphysische Untersuchung dar. Während Ersteres sich also an der Sprache orientiert und von dieser auch ihre Schranken erhält, orientiert sich Letzteres an Phänomenen und Begriffen und stellt den Versuch zum Grund des Seins vorzustoßen dar. Ihre Entsprech-ungen finden diese Untersuchungen bei Aristoteles in der Kategorienschrift und der Meta-physik, wobei die Kategorienschrift über die Kategorie Substanz aus dem rein sprachlichen Rahmen herausdeutet und implizit auf die Metaphysik verweist4. Denn – man mag sagen, was man will – auf irgendeine Weise orientiert sich Sprache immer an der Wirklichkeit und die Wirklichkeit kann niemals allein auf die Sprache reduziert werden, da Sprache sonst das, was sie unter sich enthält verlieren würde und mithin leer wäre. Diese Hausarbeit stellt den Versuch dar, über die Betrachtung des Kapitels fünf der Kategorienschrift, das die Substanz zum Gegenstand hat, in die Metaphysik vorzudringen und von ihr herkommend zu erläutern, wie Substanz (zumindest) eingegrenzt werden kann.
1. Allgemein: Was sind Kategorien und was ist von ihnen zu erwarten?
Ursprünglich lässt sich das Wort ‚Kategorie’ herleiten vom griechischen Wort ‚agora’, was übersetzt ‚Marktplatz’ bedeutet und ‚katêgorein’ bezeichnet öffentlich auf dem Marktplatz vollzogene Anklagen.5 Somit ist dieses Wort ursprünglich dem Gerichtswesen zuzumessen. Im Laufe der Zeit hat es allerdings die Bedeutung von ‚Aussagen’ angenommen. Sicher ist, dass nach Aristoteles Kategorien zunächst wohlunterschiedene Arten darstellen, wie man über Dinge reden kann.6 Wie in der Einleitung schon angedeutet, müssen diese Arten zu reden ursprünglich von den Dingen herrühren und verschiedene Modi des Seins bezeichnen. Und in der Tat lassen sich in der Metaphysik an zahlreichen Stellen unterschiedlich vollständige Kategorienlisten finden. Dass diese unterschiedlich ausfallen stützt die Überlegung, dass es hier nicht um vollständige Listen geht, sondern darum aufzuweisen, auf welche Weise alle Arten von Bestimmungen an einem Ding mit dem Ding selbst zusammenhängen, was also das Ding selbst ist oder was das Sein des Dings darstellt. Kategorien sind also, vereinfacht gesagt, Arten über Dinge zu reden, eine Kategorie jedoch enthält auch ihre Gegenstände selbst. Damit enthalten Kategorien alles, was nötig ist um Wirklichkeit in Worte zu fassen, aber folglich auch mittelbar alles, was in dieser Wirklichkeit vorliegt7. Im Folgenden soll die Beziehung, die nach Aristoteles zwischen Ding und Bestimmung besteht, betrachtet werden. Für das Ding (als Einzelding, Art und Gattung) steht Substanz, für alle Bestimmungen an ihm Akzidenzien.
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4. Die Kategorienschrift: Eine semantische Analyse oder doch mehr?
Wir hatten schon angedeutet, dass es sich bei der Kategorienschrift um eine semantische Analyse oder um mehr handeln könnte. Zu einem Ergebnis sind wir nicht gelangt. Ein Blick in die Sekundärliteratur verrät auch dort zwei grundsätzliche Positionen, von denen die eine mehr auf die grammatischen Aspekte der Kategorienschrift fixiert ist8, die andere hingegen über diese hinaus in die Metaphysik vordringt und vor allem die Kategorie der Substanz aus dieser aristotelischen Schrift heraus zu erklären versucht.9
Wir wollen an einem einzelnen Punkt aus unserer Liste beide Möglichkeiten abhandeln:
14. Substanz ist für Konträres empfänglich.
Ob etwas nun weiß oder schwarz ist: das Zugrundeliegende als Subjekt ist es stets, worauf sich die logischen Bestimmungen im Aussagesatz richten. Ferner spricht sich Aristoteles deutlich dafür aus, dass der Wahrheitsgehalt von Sprache davon abhängig ist, dass sich etwas in der Zeit verändert. Verändern in der Zeit kann sich nicht die Aussage, sondern es sind die Dinge selbst, an denen sich ein Wandel vollzieht. In diesem Sinne ist das Zugrundeliegende treffender als Substrat10 zu bezeichnen. Man kann hieraus Folgendes schließen: Die Kategorie der Substanz deutet aus dem Kategorienschema heraus und verweist auf Seiendes, gleichzeitig bleibt sie innerhalb des Kategorienschemas eine Art über die Dinge zu reden. Doch da sie alles weitere in den Aussagen bedingt, da sie gleichsam der Existenz des lediglich Möglichen an den Dingen, das verwirklicht werden kann, vorausgeht, ist ihr Status ein von den anderen Kategorien völlig unterschiedlicher. Das Ende des fünften Kapitels bildet die Rechtfertigung für einen Übergang in die Metaphysik um nach Möglichkeit zu bestimmen, was Substanz eigentlich zum Ausdruck bringt und von welcher Beschaffenheit dieses sei.
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9. Form und Eines
Das Hauptmerkmal des Einen ist gemäß Buch fünf der Metaphysik, dass es ein Kontinuum bildet. Kontinuierlich kann etwas Körperliches auf zweierlei Weise werden:
1. Es wird von einem Anderen zusammengeführt, wie das Bündel durch das Band und das Holz durch den Leim. In diesem Fall spricht man von Kunst und die Form ist im Denken enthalten. Die Bewegung kommt von außen und entspricht nicht der Natur der Bestandteile.11 Das Werden zum Kunstgegenstand ist ein aufgezwungenes Werden, das fremden Zwecken entspricht. Es wird gegen die Natur eines Dings gehandelt (der Baum wird gefällt) und dafür etwas, das den natürlichen Zwecken des Menschen entspricht, geschaffen (ein Bett).
2. Es fügt sich durch Natur in eine bestimmte Form. Solches Kontinuierliche wird und muss nicht geschaffen werden. Von dieser Art sind alle Lebewesen. Zwar kann man hier auch die einzelnen Glieder, die es umfasst als kontinuierliche wahrnehmen und bezeichnen, aber diese werden nach Aristoteles nur als Eines im Hinblick aufs Ganze genannt, bilden also Teile dar, die an sich nicht bestehen.
Ein weiteres (problematischeres) Merkmal ist der Begriff, der das Sosein angibt: Ob etwas vermehrt wird oder abnimmt – dieser Begriff bleibt stets gleich anwendbar. Jemand magert ab oder verliert gar einen Arm und bleibt trotzdem Mensch, denn der Begriff des Menschen ist weiterhin aussagbar von ihm. Wann hört jemand aber auf, ein Mensch zu sein? Ist Mensch-sein ein innerer Zustand oder doch etwas auf der Wahrnehmung eines Objektes als Mensch Beruhendes? Es gibt zwar die aristotelische Äußerung, dass Hedonisten dem Vieh näher stünden als dem Menschen12, dennoch wird ihnen in diesem Rahmen das Menschsein nicht abgesprochen. Ist die Fortpflanzungsfähigkeit innerhalb der Art am Ende dasjenige, was Menschsein ausmacht? Ein fortpflanzungsfähiges Individuum vermag ein artgleiches zu erzeugen. Dann wären aber Menschen, die selbige verloren haben keine Menschen mehr. Es bleibt als Ausweg nur die Untersuchung des Organismus und sofern dieser der Art gemäß gebaut ist und lebt ist es auch ein Lebewesen der Art. Tatsächlich hat Aristoteles in seinen naturwissenschaftlichen Studien gerade auf diesen Aspekt großen Wert gelegt. Aber kehren wir noch einmal zum Einen zurück. Im zehnten Buch steht:
„Wenn etwas von Natur das erste Prinzip der ersten Bewegung hat (…) so ist dies Erste einheitliche Größe. (…) In anderem Sinne Eines ist dasjenige, dessen Begriff ein einheitlicher ist; dieser Art ist das, dessen Auffassung im Denken eine einheitliche ist, d.h. eine unteilbare; unteilbar aber ist sie bei dem, was der Art oder der Zahl nach unteilbar ist. Der Zahl nach nun unteilbar ist das Einzelne, der Art nach das, was für die Erkenntnis und Wissenschaft unteilbar ist; wonach denn erstes Eines das sein würde, was für die Wesen Ursache der Einheit ist.“ (1052a)
Das Dieses-da ist kein Gegenstand der Erkenntnis, es ist etwas, das wir wahrnehmen können, aber so oft wir versuchen zu erklären dieses Ding sei Sokrates, weil X, kommen wir nicht zum wesentlichen Punkt. In der Wissenschaft reden wir hingegen von Arten und Gattungen und diese haben qualitativen Charakter und lassen sich in einem Begriff zusammenfassen. Als Lebewesen enthält ein Mensch so alle Seelenteile, die Lebewesen von der unbelebten Welt unterscheiden. Als Art enthält er darüber hinaus Propria, die im Zusammenhang mit dem dritten Seelenteil stehen, den er allein besitzt. Die anderen Lebewesen hingegen müssen an äußerlichen Merkmalen und ihrem Verhalten unterschieden werden, so wie es in der Biologie auch geschieht. Was aber das Wichtigste zu sein scheint: Das Individuum ist unteilbar seiner Erscheinung gemäß, die Art hingegen den Regeln unseres Denkens gemäß und wenn etwas als der Zahl nach unteilbar Festgestelltes anhand von seinem Bau und seinen Tätigkeiten den Regeln unseres Denkens gemäß einer Art zugeordnet wird, so schließt sich der Kreis. Freilich ist damit immer noch nicht klar zum Vorschein gekommen, was Form sei. Allerdings scheint sie auch dieses immanente, wahrnehmbare Etwas zu sein, das sich wissenschaftlicher Erfass-ung widersetzt und auf Begriffsebene bereits nicht mehr das ist, was es auf Erscheinungs-ebene war. Aber wie sollte man auch Sein in Worte fassen? Vielmehr scheint die einzige Möglichkeit Seiendes zu identifizieren Begriffe zu entwickeln, die immer auf eine bestimmte Art von Seiendem hindeuten.
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11. Quellenverzeichnis:
Primärliteratur:
Aus: Aristoteles. Philosophische Schriften in sechs Bänden. Hamburg: Felix Meiner 1995
- Aristoteles: Kategorien (Band 1)
- Aristoteles: Metaphysik. Vorlesung über die Natur. (Band 5)
- Aristoteles: Über die Seele. (Band 6)
- Aristoteles: Physik. Vorlesung über die Natur. (Band 6)
Ferner:
- Aristoteles: Nikomachische Ethik. Bien, Günther (Hrsg.). Hamburg: Felix Meiner 1972
- Aristoteles: Physik. Grumach, Ernst (Hrsg.) Berlin: Akademie-Verlag 1967
- Aristoteles: Über die Teile der Lebewesen. Flashar, Hellmut (Hrsg.).
Berlin: Akademie Verlag 2007
- Aristoteles: Über die Zeugung der Geschöpfe Gohlke, Paul (Hrsg.). Paderborn: Ferdinand Schöning 1959
Sekundärliteratur:
- Bonitz, Hermann: Über die Kategorien des Aristoteles. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
- Busche, Hubertus: Die Seele als System. Aristoteles’ Wissenschaft von der Psyche. Hamburg: Felix Meiner 2001
- Höffe, Ottfried: Aristoteles. München: C.H.Beck 1996
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1 Betrifft zusammengesetzte Worte, die, als ein Wort genommen, bereits unter zwei oder mehr Kategorien fallen.
2 Nicht auf Gegenstände angewandte Zahlen und Berechnungen, die Mengen darstellen, können wir hier ver-nachlässigen – Aristoteles spricht ihnen eigenständiges Sein ab. Auch kann man sie stets auf Dinge anwenden.
3 Je nach philosophischer Position wird X einem Begriff unterworfen, der Begriff über X in der Anschauung konstruiert oder von ihm abstrahiert.
4 So zumindest die These.
5 Vgl. z.B. Höffe, Ottfried: Aristoteles. S. 163
6 Kat. 1b Kap.4: „Jedes ohne Verbindung gesprochene Wort bezeichnet entweder eine Substanz oder eine Quantität oder eine Qualität oder eine Relation oder ein Wo oder ein Wann oder eine Lage oder ein Haben oder ein Wirken oder ein Leiden.“, sagt aus, dass kategoriale Worte oder Wortteile unterschiedliche Arten darstellen über Dinge zu reden, d.h. das Ding im Hinblick auf ein Sein, das sich an ihm nachweisen lässt, bezeichnen.
7 Es könnte eingewendet werden, dass man sich sprachlich nicht erfasste Arten von Größen vorstellen kann, die folglich nicht unter Kategorien fallen. Diesem Einwand lässt sich schwer begegnen, genauso wie er sich schwer halten lässt, da er sich auf hypothetische Dinge bezieht, die nicht sprachlich ausgedrückt werden können.
8 So z.B. Trendelenburg in seiner Geschichte der Kategorienlehre. Als Beispiel sei zitiert: „Bei der Verwandt-schaft der logischen Kategorien mit grammatischen Verhältnissen leiteten auch zunächst grammatische Unter-schiede den Entwurf der Geschlechter. (…) Die ousia entspricht dem Substantiv, das poson und poion dem Adjectiv (…)“
9 So Bonitz in Über die Kategorien des Aristoteles, der die Kategorien als das hervorhebt „wodurch der noch leere und unbestimmte Begriff des Seienden seine Bestimmtheit erhält.“ (S.15)
10 Dieser Einteilung begegnet man häufig in der Sekundärliteratur. Als Beispiel sei auf S.147 in Rapps Aristoteles. zur Einführung verwiesen
11 Vgl. Physik Buch II Kap.1, in dem Aristoteles das Argument des Antiphon anführt, dem gemäß an der Stelle eines eingegrabenen Bettes kein Bett, sondern Bäume hervor sprießen werden.
12 Vgl. NE 3.Kap. 1095b: „Die Menge nun zeigt sich ganz knechtisch gesinnt, indem sie dem Leben des Viehs den Vorzug gibt (…)“