Auszug aus (in eigener Sache) verfasster Facharbeit zum Thema "Gesundheitsjournalismus - Aufgaben und Defizite"
Dass die Funktion des investigativen Journalismus im Gesundheitsjournalismus im Hintergrund bleibt, mag unter anderem daran liegen, dass in den letzten Jahrzehnten die Themen Prävention und Gesundheitsförderung bei der Bevölkerung immer mehr an Stellenwert gewonnen haben. In der heutigen Zeit bestimmt der ökonomische Druck die Themenauswahl der Journalisten. Sie sollen „Nutzwert“ anbieten, um die Auflage zu erhöhen. Investigative Beiträge sind für Laien aber wesentlich schwieriger zu erfassen, der unmittelbare Nutzwert ist nicht erkennbar, und sie sind somit schwerer verkäuflich.
In diesem Zusammenhang ist auch die zunehmende „Boulvardisierung“ des Wissenschaftsjournalismus zu nennen. In der Flut der Nachrichten und im Kampf um Rezipienten müssen Schlagzeilen knapp und ansprechend sein, um zum Weiterlesen anzuregen. Gleichzeitig gibt der Pressekodex des Deutschen Presserates vor:
,,Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte. Forschungsergebnisse, die sich in einem frühen Stadium befinden, sollten nicht als abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen dargestellt werden.‘‘ 1
Gesundheitsjournalisten müssen also in ihrer Berichterstattung den schwierigen Spagat zwischen der Aufbereitung nüchterner Fakten einerseits und dem Aufbau eines gewissen Grads an Spannung, bei gleichzeitiger Lieferung persönlich relevanter Informationen für möglichst viele Rezipienten, andererseits meistern.
Ein weitreichendes Defizit im Gesundheitsjournalismus ist die Tatsache, dass laut der oben erwähnten Studie der Donau Universität, bei der die größte Stichprobenerhebung zu Gesundheitsthemen in Print- und Onlinemedien im deutschsprachigen Raum durchgeführt wurde, nur 11 Prozent der Inhalte, die Medien im Themenfeld Gesundheit veröffentlichen, korrekt sind.2 Die Folgen für Rezipienten können aufgrund falscher Entscheidungen gravierend sein. Die Gründe für die falschen oder verzerrten Meldungen sind vielfach:
In Zeiten schwieriger finanzieller Verhältnisse der Medien und Sparzwang werden oft gerade Wissenschaftsjournalisten „eingespart“; Verbleibende Journalisten und Redakteure in den allgemeinen Ressorts besitzen keine naturwissenschaftlichen Fachkenntnisse und übernehmen wenig reflektiert die – oft übertrieben positiv formulierten - Texte von PR Agenturen bzw. von Pressestellen von Universitäten, Forschungszentren und Organisationen.3
Um investigativ arbeiten zu können, benötigen Gesundheitsjournalisten viel Fachkenntnis. Bei der Veröffentlichung von Fehlern müssen sie hochpräzise sein, um juristisch nicht angreifbar zu sein. Nicht alle können diese Kompetenzen vorweisen.4
Gesundheitsjournalisten benötigen genügend Zeit, um wissenschaftliche Veröffentlichungen zu verstehen und einzuordnen. Diese ist im täglichen Konkurrenzdruck oft nicht vorhanden. Erkenntnisse werden oft vereinfacht dargestellt, um sie für Laien besser verstehbar und übersichtlich zu machen. Unsicherheiten über kausale Zusammenhänge und vermeintlich nicht so wichtige Ergebnisse werden oft nicht berichtet.5
Wie oben erwähnt orientieren sich Journalisten bei ihrer Themenauswahl am Interesse des Publikums. Die ist jedoch nicht das einzige Kriterium für Veröffentlichungen. Bei der Selektion der Themen spielen individuelle Faktoren (z.B. Einstellung, Erfahrungen) sowie journalistische Auswahlkriterien (z.B. Relevanz, Aktualität) ein Rolle. Gerade im Gesundheitsbereich ist die Entscheidung, was veröffentlicht wird, heikel, weil sie weitreichende Folgen für die Menschen haben kann. Der Großteil der Menschen erfährt über medizinische Erkenntnisse und Neuerungen aus den Medien. Die Medien beeinflussen die Einstellung der Rezipienten zu ihrer Gesundheit sowie deren Wahrnehmung und Meinung betreffend Gesundheitssystem und -politik. In Zeiten mächtiger Pharmakonzerne sind Journalisten im Gesundheitsbereich zusätzlich oft Einflussnahmeversuchen ausgesetzt. In der Studie der Universität Minho wird analysiert, dass im deutschsprachigen Raum die Mehrheit der veröffentlichten Beiträge von der Pharmaindustrie oder medizinischen Interessenvertretungen bezahlte Advertorials oder Infomercials sind. Folglich beschäftigen sich die Beiträge inhaltlich mit der Vorbeugung von Krankheiten, neuen Behandlungsmethoden oder rezeptfreien Medikamenten. Nur 5 % der Beiträge sind unabhängig recherchiertem Journalismus zuzuschreiben.6 Göpfert7 spricht in diesem Zusammenhang vom Verdacht der „Hofberichterstattung“ in Deutschland.
Eine weitere Problematik stellt die Einkommenssituation von Wissenschaftsjournalisten dar: Sie ist teilweise prekär. Wissenschaftsjournalisten stocken ihr Gehalt daher oft durch Nebentätigkeiten für Forschungseinrichtungen und Unternehmen auf, und so arbeiten Gesundheitsjournalisten z.B. freiberuflich für Public Relations Abteilungen der Pharmaindustrie.8 Dass hier Interessenkonflikte auftreten können, unter denen die unabhängige Berichterstattung leidet, ist offensichtlich.9
In diesem Zusammenhang steht auch folgende Herausforderung für Gesundheitsjournalisten: Früher machten die Medien die Erkenntnisse der Wissenschaft der Öffentlichkeit zugänglich. Inzwischen haben die Institute eigene Pressestellen, die die Informationen der Öffentlichkeit gut aufbereitet und zielgruppengerecht präsentieren.10 Immer mehr bloggende Wissenschaftler machen ihre Erkenntnisse jedermann jederzeit verfügbar.11 Die in Kapitel 3 erwähnte Aufgabe des Informationstransfers wird somit zunehmend unwichtiger.