Auszug aus: Theorie der Photographie bei Walter Benjamin - »Kleine Geschichte der Photographie« »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« (Haupseminararbeit Kunstgeschichte)
2. Eine »Kleine Geschichte der Photographie«
Nimmt man eine „Geschichte der Photographie“ zur Hand, mag es freilich nicht weiter verwundern, darin auch die Besprechung einzelner Fotografen anzutreffen. Allerdings handelt es sich hier nicht um eine Auswahl, die man etwa in einer Stil-Geschichte zur Fotographie des 19. Jahrhunderts erwarten würde.
Den hier besprochenen vier Fotografen ist gemein, dass sie keine Beispiele gestaltender Fotografie darstellen, sondern von einem ganz speziellen Interesse am Objekt geleitet wurden. David Octavius Hill ist ein Maler, dessen Fotografien ihm als Hilfsmittel dienen sollten. Karl Bloßfeldt förderte in Aufnahmen von Pflanzen Strukturen zu Tage, wie wir sie eigentlich nur von künstlerisch gestalteten Gegenständen gewohnt sind. Eugène Atgets Werk fand zu seinen Lebzeiten lediglich unter Liebhabern Interesse. Seine Bilder zeigten gewöhnliche leere Straßen und alltägliche Objekte. August Sander schließlich stellte Mappen mit Fotografien von Menschen unterschiedlichster sozialer Schichten und Berufsgruppen zusammen, und waren insofern eher Milieustudien als Porträts. Auch zwei Beispiele inszenierter Fotografie finden in dieser „kleinen Geschichte der Photographie“ ihre Erwähnung. Es handelt sich um zwei Kinderporträts, die Benjamin sich allerdings „so liebevoll vornimmt, wie ein Kannibale sich einen Säugling zurüstet“, um seine These über „echte Polemik“ zu zitieren.1 Die eine dieser Atelierfotografien zeigt Franz Kafka, die andere Walter Benjamin mit seinem Bruder Georg. Diese beiden Bilder sollen hier den „Verfall der Fotographie“ repräsentieren. In Analogie zum „Verfall des Bürgertums“ prägt dieser Begriff den antibürgerlichen Charakter der vorliegenden Auseinandersetzung, deren These von der Existenz einer Blüte und eines Verfalls der Fotografie ausgeht.