Auszug einer Seminararbeit zu Shakespeares "The Tempest" in der Verfilmung von Julie Taymor

1. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit soll eine Annäherung an Julie Taymors The Tempest vorgenommen werden, welche die analytische Auseinandersetzung mit bestimmten Zeichensystemen einschließt. Da eine solche Analyse bisweilen sehr weitreichend sein kann, beschränkt sich die Arbeit im Folgenden auf das Zeichensystem Raumkonzeption.

Erstellt von Fitzgerald vor 8 Jahren
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Über dieses System soll die Beziehung zwischen Figuren und dem Raum untersucht werden, die in Julie Taymors Verfilmung vorgestellt werden. Die Verfilmung besticht durch eindrucksvolle Bilder, die während der Dreharbeiten auf Hawaii entstanden sind. Obwohl andere Zeichensysteme ohne Frage ebenfalls großes Potential für eine Analyse bergen, fasziniert die Darstellungsweise des Raumes am meisten. Konkret handelt es sich bei dem Raum, der analysiert werden soll, um eine Insel fernab sonstiger Zivilisation. Dies ist der Spielraum, den sämtliche Figuren zur Verfügung haben.

In dieser Arbeit wird die Frage nach Gefangenschaft trotz Freiheit gestellt. Dieses Konzept vereint eine interessante Gegensätzlichkeit was den Raum betrifft, schwebt allgegenwärtig über dem Stück und schlägt sich in eben jenem Zeichensystem besonders nieder. Der Großteil jedoch wird sich speziell mit der Auseinandersetzung von bestimmten Figuren mit ihrer Beziehung zum Raum befassen. Obwohl sich die Arbeit auf diverses schriftliches Material stützt, das als Werkzeug fungiert, ist als Hauptquelle dennoch der Film The Tempest von Julie Taymor zu nennen, da dieser thematisch die Basis bildet.

2. Gefangenschaft trotz Freiheit

Die räumliche Gefangenschaft zeichnet sich zum einen durch den Raum selbst, zum anderen durch die damit verbundene Atmosphäre aus. Der stark verzweigte Wald, in dem Stefano, Trinculo und Caliban sich wiederfinden, als Caliban die beiden überredet, Prospera aus dem Weg zu schaffen,1 ist ein Beispiel für so einen Raum. Die Bäume sind kahl und stark miteinander verzweigt, was zur Folge hat, dass sich die drei Figuren gebückt ihren Weg durch das Unterholz suchen müssen. Auch das Licht fällt eher punktuell durch die Äste und hat einen kalten grün-blauen Ton. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Anmerkung von Georg Simmel, der sich über die Auswirkung von Raum auf soziale Vorgänge äußert. Er sagt, es handele sich um Wirkungen, „die von der Weite oder Enge des Gebietes, der Zerrissenheit oder Arrondierung der Grenzen, dem Flächen- oder Gebirgscharakter des Territoriums auf die Form und das Leben der gesellschaftlichen Gruppe ausgehen.“2

Betrachtet man die Szene mit Stefano, Trinculo und Caliban im Wald unter dieser Prämisse, ist es nicht verwunderlich, dass ein Streit ausbricht, an dessen Ende Stefano Trinculo sogar ohrfeigt: Der Wald sorgt für eine Enge, die die Figuren dicht zusammendrängt und ihnen wenig von ihrem eigenen Raum, ihrer Kinesphäre, lässt. Generell ist zu beobachten, dass speziell Stefano, Trinculo und Caliban, je weiter sie ihrem Ziel, Prospera zu töten, vermeintlich näher kommen, immer weiter in die Falle laufen. Zunächst ist der Raum offen und weit, als alle drei aufeinander treffen.3 Im weiteren Verlauf suchen sie ihren Weg durch den verzweigten Wald, der sie auf einen Pfad nebst mannshohen Pflanzen und schließlich in ein Sumpfgebiet führt, in welchem es fast kein Licht mehr gibt.4 Als die drei ihr Ziel beinahe erreicht haben, scheint die räumliche Situierung einstweilen wie ein Bruch. Der Raum, in welchem sie sich bewegen, ist wieder offen und weit. Doch schon auf den zweiten Blick wird klar, dass hier nicht eine Metapher für Freiheit und das finale Ziel angebracht wird, sondern ein deutlicher Hinweis darauf, dass es hier nicht mehr weiter geht: Die Klippe fällt steil ab nach unten ins Meer.5 Hier gibt es nichts mehr außer Prosperas Höhle, womit auf die endgültige Auseinandersetzung mit der Zauberin hingewiesen wird.

Neben diesem räumlichen Charakter der Gefangenschaft gibt es aber noch eine weitere, subtilere Art, das Gefangensein deutlich zu machen. Die Atmosphäre ist begrifflich schwer fassbar, das bekennt auch Gernot Böhme, wenn er sagt, dass nicht sicher sei, ob Atmosphären nun von den Objekten selbst ausgehen, oder auf das Subjekt, das sich im Raum aufhält, wirken.6 Böhme greift jedoch eine Definition von Herrmann Schmitz auf, der den Begriff der Atmosphäre über den Raum präzisiert: „Atmosphären sind immer räumlich „randlos, ergossen, dabei ortlos, d.h. nicht lokalisierbar“, sie sind ergreifende Gefühlsmächte, räumliche Träger von Stimmungen.“7

Und so bekommen Räume, die anfänglich nicht unbedingt Gefangenschaft kennzeichnen – etwa durch drastische Begrenzungen – durch die Atmosphäre diesen Charakter. Taymors Verfilmung enthält mehrere Räume, die eine faszinierende Weite ausstrahlen. Während Caliban Holz durch die Ödnis trägt beispielsweise, oder wenn Trinculo vom Strand heraufkommt.8 Beide Räume zeichnen sich durch Sand und Stein aus. Es gibt keine Pflanzen, das Licht fällt gedämpft durch eine graue Wolkendecke. Zusätzlich weht Wind über diese Geröllwüste. Mittels dieser Elemente wird der Charakter einer Gegend hervorgebracht. Sie strahlen Einsamkeit, ja sogar Verlorenheit in der Weite aus. Und auch dieses Verlorensein ist eine Art der Gefangenschaft.

3. Prospera

Die Zauberin steht in der Hierarchie ganz oben. Sie ist die Verantwortliche für das Spiel, das auf der Insel zugange ist. Sie ist es auch, die der neu entstandenen Heterotopie ihre Funktion – die Wiedererlangung ihrer sozialen Macht – zuweist. Dass die Macht, die sie über ihre Magie gewinnt, sich auch auf den Raum auswirkt, ist eine logische Folge. Wie sich diese Macht darstellt, wird erkennbar, wenn die Raumzuweisung durch Prospera analysiert wird.

3.1. Raumverteilung und Grenzziehung

Prospera ist in der Lage, nach ihrem Willen den Raum zu verteilen. Für ihr Spiel ist die Raumverteilung essentiell, sonst würde sie nicht zum Ziel gelangen. Es muss eine getrennte Raumzuweisung für Ferdinand und seinen Vater erfolgen, sonst würde Alonso nicht nach seinem Sohn suchen und somit die Insel erkunden. Ferdinand hingegen muss einen Raum für sich bekommen, in welchem er Miranda antrifft und sich nach Prosperas Willen verlieben kann.

Markus Schroer greift ein Zitat von Pierre Bourdieu auf, in welchem es heißt, dass die Dominanz über den Raum eine der privilegiertesten Arten der Herrschaftsausübung ist.9 Daran anknüpfend schlussfolgert Schroer: „Die Verfügungsgewalt über den geografischen Raum hat Auswirkungen auf die eingenommene Position im sozialen Raum, und die jeweilige Stellung im sozialen Raum steuert die Verfügungsgewalt über den geografischen Raum.“10

Allerdings muss festgehalten werden, dass Prospera zwar die Urheberin der Raumverteilung ist, den Raum aber nicht durch ihre eigene Person vergibt. Dazu braucht sie Ariels Hilfe. Der Luftgeist ist es schließlich, der die Schiffbrüchigen an die von Prospera bestimmten Orte der Insel führt. Im Grunde findet die gesamte Verteilung über Ariel statt: Ferdinand wird von der Küste weiter ins Zentrum der Insel gesungen, bis er Miranda trifft. Als Prospera erfährt, dass Stefano, Trinculo und Caliban in ihre Höhle eingedrungen sind, lässt sie die drei durch Ariel, der sich in Höllenhunde verwandelt davon jagen.11

Mit der Raumverteilung geht auch die Grenzziehung einher. Grenzen werden durch Prospera gezogen, damit keine der anderen Figuren zu einem ungünstigen Zeitpunkt das Areal betritt, in welchem sie eine bestimmte Gruppe positioniert hat. So werden Alonso, Sebastian, Antonio und Gonzalo in einer Steinwüste durch Ariel als Harpyie festgehalten. Auch wenn Stefano, Trinculo und Caliban von den Höllenhunden aus der Höhle gejagt werden, entspricht das einer Grenze, die Prospera wahren will. Diese Grenze – sprich, das Verbot ihr Heim zu betreten, hebt sie erst auf, als sämtliche andere Figuren sich schon eingefunden haben. Auch gegenüber Caliban, ihrem Sklaven, zieht sie scharfe Grenzen: als Caliban zum ersten Mal aus seinem Unterschlupf herauskommt und sich Prospera gegenüber stellt, hält sie ihn mit ihrem Stab auf Distanz.12 Hierbei bedingen sich zwei Aspekte gegenseitig. Einerseits hat Prospera Caliban weder eine Fußfessel angelegt, noch ist Caliban eingesperrt. Andererseits hat die Distanzwahrung, die sie mit dem Stab vornimmt, weniger damit zu tun, dass sie Caliban in seinem Raum halten will, sondern mehr damit, ihre und die Kinesphäre ihrer Tochter zu schützen. Denn Caliban kommt ihr bis auf etwa einen Meter sehr nahe. Diese zwei Merkmale weisen darauf hin, dass Prospera, obwohl sie seit Jahren über die Insel herrscht, sich im Klaren darüber ist, dass die Vorwürfe, die Caliban ihr macht – die Insel gehöre ihm, weil Sycorax seine Mutter war - der Wahrheit entsprechen.

3.2. Raum und Magie

Prospera verändert gerne das Wetter, um die Figuren dorthin zu führen, wo sie sie braucht. Zu Anfang beschwört sie – oder mehr: lässt beschwören durch Ariel – den Sturm, der die Schiffscrew stranden lässt.13 Später schickt sie eine dunkle, gewitterträchtige Wolke Trinculo nach, um ihn zu Caliban zu führen.14 Bei solchem Wetterzauber liegt die Annahme nah, dass der natürliche Raum dadurch nachhaltig verändert wird. Ein Unwetter zieht beispielsweise immer nassen Boden nach sich. Ist das Gewitter intensiver, ist mit entwurzelten Bäumen und umher liegenden Ästen zu rechnen. Nichts davon aber ist der Fall, wenn Prospera Wetterzauber ausübt. Die Wolke, die Trinculo verfolgt, dient lediglich zur Einschüchterung: daraus entsteht nie ein Unwetter. Der Sturm dagegen ist sehr real und müsste Konsequenzen nach sich ziehen, aber sucht man nach Anzeichen dafür, findet man keine. Das Schiff, das in den Sturm gerät, wird augenscheinlich komplett zerstört, glaubt man der Rückblende, in welcher Ariel von seinem Tun berichtet. Am Ende dieser Rückblende wird gezeigt, wie das Schiff in einer Bucht vor Anker liegt – unbeschädigt und mit eingeholten Segeln.15 Es gibt also keine angespülten Wrackteile am Strand. Ebenso ist kein Schaden auf der Insel entstanden, weil das Unwetter sich ausschließlich auf dem Meer ereignet hat.

Ein weiteres Beispiel ist die Fata Morgana, die Alonso und seine Begleiter sehen.16 Prospera verändert zuerst das Wetter, respektive das Licht, indem sie eine plötzliche Sonnenfinsternis heraufbeschwört. Sodann lässt sie in den Boden eingelassene Steinplatten erscheinen, die zu einem festlich gedeckten Tisch führen. Kurz darauf erscheint Ariel als Harpyie und schlägt Antonio und Sebastian mit Wahnsinn. Ist der ganze Spuk vorbei, bleiben zwar Antonio und Sebastian, die mit ihren Schwertern wild durch die Luft hieben, der Raum jedoch ist völlig unverändert. Auch die Steinplatten, die zum Tisch führten, sind wieder verschwunden. Aufgrund dessen ziehe ich die Schlussfolgerung, dass alles, was Prospera magisch hervorbringt, sich in einer Parallelwelt abspielt und den eigentlichen Raum, die Insel, nicht berührt. Insofern lässt sich schließen, dass der natürliche Raum durch Prosperas Wirken tatsächlich nicht verändert wird.

1 Taymor, Julie [Reg.]: The Tempest. Prod. ders. [u.a.], USA: Talkstory Artemis Films [u.a.], 2010,

110 min, 1:00:15.

2 Simmel, Georg: „Raumqualitäten und Raumgebilde.“ In: Markus Schroer (Hg.): Räume, Orte,

Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums. Frankfurt am Main: suhrkamp Verlag, 2006,

S. 61.

3 Taymor 2010, 00:38:55.

4 Taymor 2010, 01:15:19 – 01:16:04.

5 Taymor 2010, 1:21:48.

6 Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt am Main: suhrkamp Verlag,

1995 (edition suhrkamp 1927, 927), S. 22.

7 Böhme 1995, S. 29.

8 Taymor 2010, 00:31:58.

9 Bourdieu, Pierre: „Der physische und der soziale Raum.“ In. Markus Schroer (Hg.): Räume, Orte,

Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums. Frankfurt am Main: suhrkamp Verlag, 2006,

S. 90.

10 Bourdieu 2006, S. 90.

11 Taymor 2010, 01:24:20.

12 Taymor 2010, 00:14:53.

13 Taymor 2010, 00:42:00.

14 Taymor 2010, 00:33:00.

15 Taymor 2010, 00:11:02.

16 Taymor 2010, 01:09:23 – 01:12:27.

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