Backstage - Job 24

In einem rosafarbenen Morgenmantel steht sie in knapp zwanzig Meter Entfernung vor mir und schreit. In der Hand hält sie einen Telefonhörer, der Opfer ihres emotionalen Zusammenbruchs wird.

Erstellt von JaSt vor 8 Jahren

Sie weint. Ich verstehe nicht, was die Frau sagt, ich glaube, sie spricht französisch. Dem leidenden Ausdruck in ihrem Gesicht zu Folge kann es sich am anderen Ende der Leitung nur um einen Mann handeln. Sie wirkt ein wenig wahnsinnig. Ich kann meinen Blick nicht von ihr wenden. Plötzlich zieht sie das Telefonkabel um ihren Hals, zieht die Schlinge zu und fängt an zu röcheln. Der Vorhang fällt, das Publikum applaudiert. Die erste Oper meines Lebens ist vorbei und leitet am Sonntagabend meine Woche als Opernagentin ein.

Bis zu dem Praktikumsangebot von Opernagenten Marcus Carl vor ein paar Wochen wusste ich gar nicht, dass es diesen Beruf überhaupt gibt. Gibt es aber und diese Tatsache führt mich für Job Nummer 24 nach Wiesbaden. Zur Erklärung: ein Opernagent kümmert sich um Engagements und Gagen von Opernsängern und damit gleichzeitig um die strategische Planung ihrer Karriere. Am Sonntagabend steht allerdings keiner von Marcus Sängern auf der Bühne, erfahre ich in der Pause, bevor es weiter in Oper Nummer 2- „Blaubarts Burg“ geht und Opernstar Vesselina Kasarova mir mein Trommelfell wegschmettert. Halleluja! Und das alles ohne Mikro?

Ich bin beeindruckt, wozu die menschliche Stimme alles fähig ist. Die Sänger auf der Bühne beschallen das Publikum bis in den letzten Rang als wäre es nichts. Marcus geht es genauso. Bereits als Teenager konnte man ihn als Zuhörer bei Opernaufführungen finden. Etliche Schallplatten und Aufführgen später machte er dann sein Hobby zum Beruf. „Ich habe durch diesen Schritt zwar mein Hobby verloren, aber dafür habe ich einen Beruf gewonnen, den ich liebe. Was will man mehr?“, antwortet Marcus mir auf meine Frage, was aus seinem Hobby geworden ist. Denn einfach nur zuhören und genießen fällt Marcus mittlerweile schwer. Sein Gehör und Gehirn beginnen direkt zu arbeiten, sobald eine Oper beginnt. Und wenn der Vorhang fällt, ist Netzwerken angesagt.

Gute Kontakte in der Branche sind für einen Opernagenten das A und O. Wie sonst will man seine Opernsänger in guten Rollen mit guten Gagen an guten Häusern unterbringen? Bezahlt wird Marcus von seinen Sängern. Einen festen Prozentsatz der Gagen treten sie an ihn ab. Der Opernmarkt ist ein internationales Geschäft und mit seinen einzelnen Opernhäusern, Opern, Festspielen und Budgets nicht leicht zu überblicken. Da ist es ratsam, jemanden an der Hand zu haben, der sich auskennt.

Was Marcus an seinem Job liebt, ist neben der Oper als solche seine Freiheit. „Ich sitze hier am Nachmittag auf meinem Balkon, wenn ich das will. Telefoniere mit lauter netten Menschen. Die Arschlöcher rufe ich einfach nicht mehr an. Sag mir, wer ist so frei wie ich?“

Wenn Marcus telefoniert, kann das schnell mal dreisprachig werden. „Es ist immer besser, wenn man mit den Künstlern in ihrer Muttersprache sprechen kann“, erklärt er mir. „Und ich weiß auch, wie die Stimmung meiner Sänger ist, je nachdem welche Sprache sie verwenden.“ Marcus spricht neben Deutsch noch Englisch, Italienisch und Französisch. Wenn mich jemand gefragt hätte, in welchem Beruf Fremdsprachen eine große Rolle spielen, wären Jobs in der Oper sicherlich nicht in der Aufzählung gewesen. Das wird sich zukünftig ändern. Meine erste Oper am Sonntagabend war auf französisch, die zweite auf ungarisch. Darüber, dass die Sänger die Sprache in der gesungen wird, eventuell gar nicht beherrschen, habe ich noch nie nachgedacht. Eine Oper in einer fremden Sprache zu singen, klappt bei dem einen besser, bei dem anderen schlechter. Und die letzteren singen nach Marcus Auffassung nicht, sondern sie buchstabieren.

Kritisch ist Marcus sowieso. Sänger auf Provinz-Niveau vermittelt er nicht. Um mir den Unterschied zwischen guten und sehr guten Opernsängern zu vermitteln, machen wir auf Youtube einen Ausflug. Während sich für mich alles gleich anhört, hält Marcus sich die Ohren zu und ruft „falsch“, „zu spät“, „schrecklich, ganz schrecklich“ oder auch mal „bravo“. Was Marcus wohl von Paul Potts hält? „Hör´ es dir einfach selbst an“, antwortet mir Marcus mit hochgezogener Augenbraue und öffnet „Nessun Dorma“ von Paul Potts, Andrea Bocelli und Luciano Pavarotti. Ich ziehe meine Frage zurück. Im direkten Vergleich bleibt kein Zweifel, wer singen kann und wer nicht.

Um ein guter Opernagent zu sein, sollte man gut mit Menschen umgehen können, ein guter Verhandlungspartner sein, sich selbstverständlich mit Operngesang und allem was dazu gehört auskennen und sich gut organisieren können. Denn auch als Opernagent kommt man wie jeder andere Selbstständige nicht um den Papierkram herum. Ganz schön nervig.

Am Donnerstag haben wir ein Vorsingen. Aber auf Seiten der „Jury“. So muss sich Dieter Bohlen fühlen. Wir halten es allerdings kurz und hören uns nur einen Bass und einen Mezzosopran an. Nicht schlecht, aber auch nicht gut. „Außer Spesen, nichts gewesen“, fasst Marcus den Nachmittag zusammen.

Meine Woche endet, wie sie begonnen hat: mit einer Oper. Dieses Mal sehen wir Richard Furman, einen von Marcus Sängern, in „Fidelio“ im Stadttheater in Hagen. Ein großer Tenor. Mit klassischer Musik im Ohr geht es für mich in Richtung Heimat. Schön war es, dieser Ausflug in eine andere Welt. Und diese zuvor auf mich verstaubt und steif wirkende Opern-Welt ist nichts von alledem. Moderne Inszenierungen, verrückte Künstler und das Tohuwabohu hinter den Kulissen schreiben Geschichten, wie sie sich ein Soap-Autor nicht ausdenken könnte. Aber dort, hinter den Kulissen, bleiben sie auch.

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