Buchrezension "Das Politische System Deutschlands"

„Das politische System Deutschlands“: So lautet der Titel des 2007 vom Münchner Beck-Verlag veröffentlichten Buches des Politikwissenschaftlers Manfred Schmidt.

Der Titel lässt den Leser sicher vornehmlich eine Beschreibung und Analyse des institutionellen Systems der Bundesrepublik Deutschland erwarten, d.h. vor allem eine Erläuterung der Verfassungsvorgaben, aber auch der politischen Abläufe in der Verfassungswirklichkeit.

Erstellt von HaFi vor 8 Jahren
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Zur Analyse eines politischen Systems gehört auch das Wirken von nicht direkt durch die Verfassung geregelten Institutionen, wie z.B. die Arbeit von Verbänden. So schreibt der Sozialwissenschaftler Jan Fuhse, unter einem politischen System seien „Phänomene in einer Gesellschaft [zu verstehen], die auf die Formulierung und Durchsetzung kollektiv bindender Entscheidungen zielen.“ (Fuhse 2007: 241) Es muss daher Schmidts Anspruch sein, all dies zu berücksichtigen.

In der Einleitung schreibt Schmidt, sein Anspruch gehe sogar darüber hinaus. Er möchte auch Politikinhalte untersuchen, die „Zusammenhänge zwischen Institutionen, Abläufen und Entscheidungsinhalt erkunden.“ (15) Zudem wolle er Deutschlands politisches System auch aus „dem Blickwinkel des internationalen und historischen Vergleichs“ (16) betrachten. Für den letzten Teils des Buches kündigt Schmidt eine Bewertung des politischen Systems Deutschlands an (17). Es fällt somit auf, dass Schmidts Anspruch aufgrund der zusätzlich geplanten Betrachtung bestimmter Policies sehr umfassend ist, die Einwirkung der EU auf das deutsche politische System, welche heute von vielen Wissenschaftlern als gravierend bezeichnet wird (vgl. z.B. Sturm/Pehle 2006: 15 ff.), dagegen sehr kurz zu kommen scheint. Die EU findet in der Einleitung keine Erwähnung.

Zielgruppe des Buches ist Schmidt zufolge ein größeres Publikum, bestehend auch aus Wissenschaftlern etwas entfernterer Disziplinen wie der Erziehungswissenschaft und aus allen generell an der deutschen Politik Interessierten (17). Daher sollte der Leser ein klar und einfach geschriebenen Buch, welches nicht zu viel Vorwissen voraussetzt, erwarten dürfen.

Aufgrund der logischen und klar abgrenzbaren Gliederung Schmidts in drei Buchteile – generelle Regeln sowie wichtigste Akteure und Strukturen des politischen Systems, Politikinhalte und Bewertung – habe ich diese in meiner Rezension im Groben übernommen. Zunächst erfolgt eine kurze Zusammenfassung des Aufbaus des ersten Teils, der mit einer Länge von ca. 260 Seiten ungefähr die Hälfte des Buches ausmacht, und die Herausarbeitung der zentralen Aussagen. Anhand einer exemplarischen Betrachtung des Kapitels „Regieren mit Richtern“ werde ich danach kurz den generellen Aufbau eines Kapitels und speziell den Inhalt dieses Kapitels verdeutlichen und beispielhaft zeigen, dass Schmidt alle vier inhaltlichen Ebenen einbezieht. Anschließend werde ich Aufbau und Kernaussagen des zweiten und dritten Teils herausarbeiten und am Ende eine eigene Bewertung des Buches vornehmen. Zentrale Kriterien sind hierbei, ob Schmidt die eigens formulierten Ansprüche erfüllt, die Struktur des Buches nachvollziehbar ist und ob es bestimmte Mängel aufweist. Damit die Gesamtbewertung nicht in Kleinigkeiten zerfällt, bringe ich kleinere Kritikpunkte im inhaltlichen Kontext schon zuvor an.

Zunächst nun, wie angekündigt, zum ersten Teil des Buches, in dem Schmidt das durch Staatsverfassung und Wahlsystem der Politik vorgegebene „Spielregelwerk“ (16) sowie die wichtigsten Akteure und „Strukturen der politischen Willensbildung“ (17) vorstellen möchte. Zu Beginn erläutert Schmidt die Entwicklung des politischen Systems im letzten Jahrhundert, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg. Er hebt hervor, dass die Besatzungsmächte bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes, welches bis heute entscheidende Bedeutung habe, maßgeblich mitwirkten (25). Entscheidende Weichenstellungen, wie die Verpflichtung zum föderalen Staatsaufbau oder die Errichtung von Rechtsstaat, Demokratie, Republik, Sozialstaat und offenem Staat hätten, zumindest in Westdeutschland, seither Gültigkeit.

Wie von ihm angekündigt, tätigt Schmidt auch in den folgenden Kapiteln immer wieder historische Rückgriffe (z.B. 61), wenngleich der aktuelle Stand des politischen Systems im weiteren Verlauf im Vordergrund steht. Zwar sind die Grundzüge des politischen Systems, wie erwähnt, konstant, doch oben zitierte Aussage Jan Fuhses verdeutlicht ja die Weitläufigkeit dieses Begriffs. Es gibt z.B. Veränderungen in der Willensbildung, des Parteiensystems oder der Kanzlerregierungsstile, die Schmidt u.a. erläutert.

Die Kapitel 2 und 3 beschäftigen sich im Groben mit Wahlen. So erläutert Schmidt die Möglichkeit der Veränderung des Wahlsystems (45), Unterschiede sowie Vor- und Nachteile verschiedener Wahlsysteme (46-48) und er betrachtet Wähler und die Entwicklung des Wählerverhaltens (66 ff.).

Zusammen mit den beiden folgenden Kapiteln geht es damit zunächst um den Prozess der Willensbildung. Dabei beleuchten Kapitel 4 und 5 u.a. die politischen Parteien in Deutschland und ihre Entwicklung, so z.B. deren inhaltliche Grundsätze (96), das Parteiensystem als Ganzes sowie den Einfluss von Interessenverbänden. Bei letzteren erkennt Schmidt in Deutschland eine Mischung aus pluralistischen und korporatistischen Strukturen (132). Zentrale These seinerseits ist, dass Verbände durch staatliche Aufgabendelegation zwar viel Einfluss besitzen, vor allem jedoch die äußerst komplexe Struktur des politischen Prozesses hierzulande verhindert, dass von einer Verbandsherrschaft die Rede sein kann (127 ff.).

Eine der zentralen Thesen, wenn nicht die Hauptaussage des Buches, wird in den Kapiteln 6 bis 9 behandelt: Das die deutsche Politik prägende Merkmal des halbsouveränen Staates. Darunter versteht Schmidt eine in Deutschland durch zahlreiche Vetospieler und Mitregenten in ihrer Handlungsfähigkeit deutlich eingeschränkte Regierung. In den einzelnen Kapiteln legt Schmidt unterschiedliche Schwerpunkte. Kapitel 6 beleuchtet Abstimmungsregeln in Bundestag und Bundesrat. Besonders die Schwierigkeit von Grundgesetzänderungen und anderer Gesetze, bei denen Zweidrittelmehrheiten erforderlich sind, arbeitet Schmidt heraus (143). Die 'Hürde Zweidrittelmehrheit' mache auch die Einbeziehung nicht an der Regierung beteiligter Parteien erforderlich, weshalb Schmidt ein starkes konkordanzdemokratisches Element in Deutschland ausmacht (144). Ein kleiner Kritikpunkt soll hier beispielhaft für einige wenige Stellen im Buch angebracht werden: Einzelne Ungenauigkeiten. In diesem Kapitel heißt es z.B., die Verfassungsrichter würden vom Bundestag bestimmt (147). Dass es einen extra Ausschuss für ihre Wahl gibt, bleibt unerwähnt. Bei einem gesamten Buchumfang von rund 500 Seiten wäre eine kurze Erwähnung dieses Sachverhalts vollkommen im Rahmen. An anderen Stellen werden durchaus kleinteiligere Erläuterungen vorgenommen, beispielsweise eine extrem detailreiche Benennung der Schwächen der deutschen Umweltbilanz (442).

In den Kapiteln 7 und 8 nennt Schmidt weitere Machtbegrenzungen der Bundesregierung, wie den föderalen Staatsaufbau und erwähnt die Machtbegrenzung der größeren Regierungspartei durch einen starken Koalitionspartner.

Kapitel 10 beinhaltet eine Analyse der politischen Führungsschicht Deutschlands. Schließlich zieht Schmidt im 11. Kapitel eine Zwischenbilanz seiner bisherigen Ausführungen. Sich auf das Konzept des niederländischen Politikwissenschaftlers Arend Lijphart beziehend hebt er besonders die Einordnung Deutschlands zwischen Mehrheits- und Konkordanzdemokratie hervor. Auch die Schwierigkeit des Regierens durch Vetospieler und Mitregenten wird noch einmal explizit erwähnt, verdeutlicht durch die Verflechtung in einem komplexen Vielebenensystem (273). Kritisch anzumerken ist hier, das nur sehr kurz auf die bedeutende EU-Ebene sowie die ebenfalls wichtige Kommunalebene eingegangen wird.

Nach der Betrachtung des gesamten ersten Teils möchte ich jetzt einen gesonderten Blick auf das Kapitel „Regieren mit Richtern“ (Kapitel 9) werfen. Wie viele Kapitel beginnt es mit einer kurzen Einleitung, die i.d.R. einen kurzen inhaltlichen Überblick beinhaltet. Formal ist das Kapitel in fünf Unterpunkte unterteilt. Im ersten Punkt stellt Schmidt die starke Stellung der Judikative und vor allem der Verfassungsgerichtsbarkeit heraus und spricht von „Verfassungssouveränität“ (220), da alle Staatsgewalten durch die Verfassung gebunden seien (221). Anschließend beleuchtet er die landes- und bundesstaatliche Gliederung der Gerichtsbarkeit. Der dritte Teil, wiederum in drei Punkte untergliedert, widmet sich dem Bundesverfassungsgericht. Schmidt betont dessen starke Stellung und führt zur Untermauerung Zahlen an, nach denen das Gericht schon zahlreiche Gesetze und Verordnungen für zumindest nicht komplett mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt hat (228). Darüber hinaus erwähnt er außenpolitische Beschlüsse des Gerichts von zentraler Bedeutung (230) oder seine internationale Wertschätzung (235). Trotzdem steht letztendlich die Feststellung, Deutschland sei kein Richterstaat. Schließlich bestimme der Gesetzgeber über Organisation und Verfahren des Bundesverfassungsgerichts, zudem verfüge es über keine eigene Bürokratie, Finanzquelle oder Polizei (241).

Der vierte Teil betrachtet das Verhältnis der deutschen Judikative zur EU – doch wie im ganzen Buch kommt die EU-Ebene hier zu kurz. Gerade einmal eine Seite ist diesem Thema gewidmet, obwohl vor allem das Verhältnis von europäischem und nationalem Recht heute von enormer Bedeutung ist (vgl. Sturm/Pehle 2006: Kapitel 3.6). Ein kleines Fazit folgt im fünften Teil. Schmidt bekräftigt hier wiederum, dass Deutschland kein Richterstaat sei, sieht aber eine „Machtaufteilung zwischen Politik und Recht – also Regieren mit Richtern, bisweilen durch Richter und mitunter gegen sie.“ (244)

Anhand dieses Kapitels lässt sich zudem beispielhaft verdeutlichen, dass Schmidt alle vier inhaltlichen Ebenen berücksichtigt. Der größte Teil der ersten Buchhälfte ist empirisch, also eine einfache Beschreibung der Wirklichkeit. Allein in Kapitel 9 gibt es dazu zahlreiche Beispiele, etwa, dass es in Deutschland Berufsrichter gibt, die Judikative in fünf Gerichtszweige gegliedert ist oder die Länder Landesverfassungsgerichte haben (223 ff.).

Auch die konzeptionell-typologische Ebene, die untersucht, welche theoretischen Konzepte der Praxis zu Grunde liegen und Typologien bildet, ist vorhanden. So beginnt das Kapitel gleich mit einer Typologie: Deutschland wird als „konstitutionelle Demokratie“ eingeordnet, im Gegensatz etwa zum Typen der „Volksdemokratie“ (220). Das Kennzeichen, anhand dessen die Typologie vorgenommen wird, ist, ob bzw. wie stark eine Demokratie verfassungsstaatlich gelenkt und wie omnipräsent eine Partei ist. Des weiteren liegt Schmidt zufolge dem System der Bundesrepublik das Konzept der „Verfassungssouveränität“ zu Grunde. Dessen Leitmotiv sei, „dass alle Staatsgewalten […] durch Gesetz und Verfassung gebunden sind“ (221). Dem Verfassungsgericht wird die „Rolle als Wächter und Künder der Verfassung“ zugeschrieben (230).

Ebenso wird die erklärend-theoretische Ebene hinreichend berücksichtigt. Sie versucht die Empirie zu erklären oder sucht Gründe für formale Regeln. In Kapitel 9 sieht Schmidt z.B. den Schutz vor „Allmachtsgelüsten der Politik“ (221) als Grund des Prinzips der „Verfassungssouveränität“, einen weiteren Grund deutet er im Lernprozess Deutschlands an – im Westen seit 1945, im Osten seit 1989/1990 (221). Weiterhin sieht er Ursachen der starken Stellung der Judikative in den „Rechtstraditionen der konstitutionellen Monarchie“ (221). Die nötige Zweidrittelmehrheit für die Wahl der Verfassungsrichter erklärt er mit der Idee des Schutzes gegen Majorisierung und des Ziels der Mitwirkung der parlamentarischen Opposition (225). Die normative Ebene findet sich besonders im letzten Teil des Buches.

Im zweiten Abschnitt des Buches untersucht Schmidt die Entwicklung einzelner Politikfelder in der Bundesrepublik. Im Rahmen der Außenpolitik (Kapitel 12) konstatiert er das seiner Ansicht nach erfolgreiche Bestreben Deutschlands nach 1945, sich zu einer vertrauenswürdigen Zivilmacht zu entwickeln (302). Vor allem die zunächst starke Westannäherung und seit Brandt auch die Annäherung gegenüber Osteuropa stellt er heraus. Insgesamt sei die Außenpolitik das am stärksten von der Exekutive dominierte Politikfeld (283/311 ff.).

Zudem beschäftigt er sich mit den Möglichkeiten zur Änderung des Grundgesetzes und betont erneut die aufgrund der vorgeschriebenen Zweidrittelmehrheit notwendige Kooperation der politischen Akteure (320/321). Die Kapitel 14 bis 16 behandeln wirtschaftspolitische Themenfelder. Schmidt hebt die, seiner Meinung nach besonders der ausgeprägten Sozialpolitik geschuldeten, hohe Staatsverschuldung hervor, beleuchtet wirtschaftspolitische Erfolge und Misserfolge seit dem Zweiten Weltkrieg und analysiert die Sozialpolitik und ihre Entwicklung. Im Rahmen der von ihm selbst aufgestellten Konzeption der Politik des mittleren Weges greift er diese Themen im 18. Kapitel erneut auf. Kernaussage dieser Konzeption ist, dass die deutsche Sozial- und Wirtschaftspolitik im internationalen Vergleich eine Sonderstellung einnimmt. Es werde ein mittlerer Weg eingeschlagen, d.h. eine Mischung aus nordeuropäischem Wohlfahrtsstaat und liberalem Kapitalismus (443). Deutschland zeichne sich zudem durch einen „mittelgroße[n] Steuer- und Sozialabgabenstaat“ sowie Korporatismus und Aufgabendelegation an die Gesellschaft aus (444).

Insgesamt habe eine ausgeprägte Sozialpolitik bis heute Tradition, zudem sei das Ziel der Preisstabilität dem einer niedrigen Arbeitslosenquote vorgelagert. Schmidt beklagt jedoch, dass die Politik des mittleren Weges nicht mehr wie früher funktioniere, sieht höhere Kosten bei reduziertem Nutzen (451). So könnten z.B. die Tarifparteien mit Hochlohnpolitik Kosten auf den zunehmend überforderten Sozialstaat abwälzen (454). Schließlich konstatiert er, die „erhoffte Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik ist in weite Ferne gerückt“ (455). Dass trotzdem an dieser Politik festgehalten werde sieht Schmidt im politischen System Deutschlands begründet. So lege die unabhängige Zentralbank ihren Fokus auf Preisstabilität (446) oder hätten beide großen Parteien ein insgesamt sozialstaatliches Profil, wohl durch das hohe Ansehen des Wohlfahrtsstaates in der Bevölkerung begründet (445). Der durch den starken Kooperationszwang vorliegende „Staat der Großen Koalition“ (449) erschwere zudem größere Politikwechsel (458).

Außerdem untersucht Schmidt die Umweltpolitik (Kapitel 17) und betont, dass dieses Politikfeld noch recht jung sei und in der Bevölkerung zu seiner endgültigen Etablierung zunächst ein verstärktes Umweltbewusstsein habe geschaffen werden müssen (427).

Im letzten Teil des Buches nimmt Schmidt eine 40-seitige Bewertung des politischen Systems Deutschlands vor. Hier überwiegt die normative Ebene, Schmidt stellt explizit klar, er wolle einen „Soll-Ist-Vergleich“ (461) vornehmen.

Wie aufgrund der bisherigen Ausführungen zu erwarten, gelangt Schmidt zu einem differenzierten Urteil. Er benennt viele positive Aspekte, so das grundsätzliche Funktionieren der wichtigen Prinzipien Rechtsstaat, Demokratie, Republik, Bundesstaat, Sozialstaat und offener Staat (462). Deutschland sei zudem ein insgesamt beteiligungsfreundlicher Staat (464), die Wohlfahrt zufriedenstellend (471) und die bisherigen Machtwechsel seien immer geordnet vollzogenen worden (467). Als größten Vorzug des Systems stellt Schmidt die „sensationell erfolgreich[e] Aufteilung und Zügelung politischer Macht“ (489) heraus. Auch die Außenpolitik als Zivilmacht findet er erfolgreich (489).

Auf der anderen Seite sieht Schmidt große Schwächen der Politik bei der „Wahrnehmung und […] Bewältigung politischer Probleme“ (490). Konkret führt er die steigende Staatsverschuldung auf Kosten künftiger Generationen (464), die „Dauerbaustelle“ (476) Sozialsysteme und die damit einhergehende Unterfinanzierung anderer wichtiger Politikbereiche (487), die konstant hohe Arbeitslosenquote bei verlangsamtem Wirtschaftswachstum (473), die Überlastung der Judikative (464), einen Reformstau in einigen Fällen (475) oder die komplizierte Verwaltungsstruktur als Reformbremse (477) an.

Als Fazit hält Schmidt daher fest, man müsse je nach „Leistungsbereich und -vermögen“ (490) differenzieren und beurteilt schließlich die politischen Institutionen als gut, die politische Steuerung schwankend und insgesamt eher mittelmäßig und die Machtaufteilung als sehr gut (490/491).

Bei der Bewertung des Buches ist festzuhalten, dass Schmidt seine eigenen Ansprüche vollkommen erfüllt. Der erste Teil, die Analyse des „Spielregelwerks“ (16) und der wichtigsten politischen Akteure und Strukturen ist sehr umfassend, auch die Politikfelder im zweiten Teil sind vor allem in ihrer historischen Entwicklung anschaulich dargestellt. Die Sprache ist allgemein verständlich, größere Fachkenntnisse sind nicht voraussetzend. Negativ ins Gewicht fallen jedoch äußerst häufige Wiederholungen Schmidts. Beispielhaft genannt sei hier nur die Einleitung zu Kapitel 13 (320), in der wiederholt die Komplexität der Gesetzgebung und die Erforderlichkeit von Zweidrittelmehrheiten genannt werden. Auch wenn es sich z.T. um zentrale Aspekte handelt, wirken die Wiederholungen auf Dauer ermüdend.

Positiv zu vermerken dagegen ist einerseits, und hier haben die Wiederholungen auch etwas Gutes, dass die Kapitel in sich geschlossen und auch einzeln gut lesbar sind und andererseits die insgesamt klare Gliederung des Buches in drei Teile. Die Einbeziehung politischer Inhalte ist sinnvoll, da diese die Outputs des politischen Systems sind und damit als solche zumindest langfristig Veränderungen des politischen Systems selbst bewirken können. Hinreichend vorgenommen wurde auch der angekündigte internationale und historische Vergleich.

Das Buch hat jedoch einen großen Makel: Es ist politisch nicht neutral geschrieben. Dies darf bei einem Buch, welches lediglich den Anspruch hat, „über die Grundzüge des politischen Systems“ (15) zu unterrichten und inhaltliche „Zusammenhänge“ (ebenda) zu erkunden, nicht passieren. Eine einseitige parteipolitische Durchsetzung zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen zweiten Teil. Aus Platzgründen können hier nur einige Beispiele genannt werden. So äußert er zur Linkspartei, sie laufe besonders Gefahr, „anstelle der erhofften Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik sich in Zielkonflikte […] zu verstricken.“ (92) Dass auch die Sozialpolitik als höchstes Kriterium eingestuft werden könnte, wird, wie an vielen Stellen, pauschal negiert bzw. ignoriert. Auch Schmidts Konzeption der Politik des mittleren Weges äußerst deutliche Kritik am weit ausgebauten Sozialstaat. An vielen Stellen äußert er stattdessen relativ direkt den Wunsch nach Deregulierung. So hat z.B. seine Aussage zur Hemmung der Beschäftigung im Niedriglohnsektor (389) eine äußerst negative Konnotation.

Des weiteren äußerst er zu den Grünen, die Machtteilhabe an der Regierung Schröder habe sie „machtversessen“ (94) gemacht und unter Rot-Grün sei es zur „Einlösung populistischer Wahlversprechen und Klientelbedienung“ (404) gekommen. Zum Beschluss des Ausstiegs aus der Kernenergie meint er beurteilen zu können, sie sei „ohne zureichende Absicherung des erforderlichen Energieersatzes“ (431) erfolgt. Die „Regierungsbeteiligung der wirtschaftsfreundlichen Unionsparteien und ihrer Koalitionspartner“ erwies sich dagegen „als ökonomisch wertvolles Kapital“ (380), so Schmidt. Zahlreiche weitere Beispiele könnten hier angebracht werden.

Außerdem zu kritisieren ist, wie bereits erwähnt, die z.T. unzureichende Betrachtung der EU-Ebene und der kommunalen Ebene.

Sicherlich völlig unbeabsichtigt verdeutlicht das Buch einen ganz anderen interessanten Aspekt: Die schwierige Vorhersagbarkeit von Politik. So bezeichnet Schmidt Koalitionen zwischen CDU und Grünen auf Landesebene als unwahrscheinlich (98) oder macht asymmetrische Koalitionschancen zu Gunsten der SPD und zu Ungunsten der CDU aus (98/275). Beide Aussagen würde er wohl schon heute nicht mehr treffen.

Alles in allem ist „Das politische System Deutschlands“ ein Buch, das hinsichtlich der umfassenden, anschaulichen und gut verständlichen Darstellung des politischen Systems und der wichtigsten Politikfelder beste Noten verdient. Die starke parteipolitische Durchsetzung des zweiten Teils stellt dagegen einen den Gesamteindruck deutlich schmälernden Makel dar.

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