Couturier du Cœur
Vom Podest herab blickt ein braunhaariges Mannequin mit Heiligenschein. Ihr Körper ist umhüllt von einem filigran bestickten Tüllkleid in einem zarten Mauve.
Auf ihrer Brust goldene Glasperlen, zu einem Herz zulaufend. Die Reinkarnation der Heiligen Jungfrau Maria? Nein, hierbei handelt es sich viel mehr um eines der Werke des französischen Modedesigners Jean-Paul Gaultier, die noch bis zum 3. August 2015 in Form einer Wanderausstellung im Grand Palais in Paris zu sehen sind.
Mode als Kunst
Das Enfant Terrible sträubte sich zunächst gegen die Vorstellung einer eigenen Ausstellung. Schließlich sei er doch viel zu jung für eine solche Ehre. Noch dazu war Gaultier der Meinung seine Kleider wären ausschließlich dazu da getragen und nicht ausgestellt zu werden. Dann aber kam ihm eine Idee: er könnte seine Ausstellung mit sprechenden Mannequins inszenieren, um nicht nur mundtote Modelle zu zeigen. Eine Modeschau mit Puppen, die mehr sind als nur mundtote Modelle. Die Mode als Kunst ansehen. Die Idee einer Wanderausstellung mit dem Titel „The Fashion Show of Jean Paul Gaultier: From Sidewalk to Catwalk“ war geboren.
Fashion-Installation der Moderne
Ihren Anfang nahm die Ausstellung im Jahr 2011 in Kanada. Anlässlich des 35-jährigen Firmenjubiläums von Jean Paul Gaultier kooperierte er mit dem Montreal Museum of Fine Arts (MMFA) und ihm wurde die komplette Ausstellung gewidmet. Weitere Stationen in New York, San Francisco, Rotterdam und London folgten. Und auch die Münchner dürfen sich freuen: vom 18. September 2015 – 14. Februar 2016 wird die „Fashion Show“ in der Kunsthalle München präsentiert.
Zu sehen gibt es eine spektakuläre Mode-Installation, die in sechs Themen unterteilt ist und seine jeweiligen Inspirationsquellen wiederspiegelt. Das Augenmerk dieser Retrospektive liegt auf der Ausstellung der verschiedensten Kollektionsstücke aus Haute Couture und Prét-â-Porter von den 1960ern bis heute – das ergibt e das ergibt ine beachtliche Sammlung von über 170 Exponaten. Die Ausstellung ist schrill und bunt. Gezeigt werden Gaultiers bekannte Männerröcke, Matrosenshirts sowie verschiedene Ausarbeitungen des Bustierkleides und Büstenhaltern. Natürlich sind auch die Aschenbechertaschen, der Schmuck aus Konservendosen sowie die Kleider aus Müllsäcken aus der High-Tech Kollektion 1981 Teil der Ausstellung. Die Models der Punk Kollektion tragen farbige Irokesen und ihre Karo-Röcke leuchten in schrillem gelb und rot. Ein Highlight der Ausstellung ist das neu interpretierte Tütü-Kleid. Hierfür nahm Gaultier einen rosa Tüllrock als Grundlage und ergänzte diesen mit einer Jeans, die er bis zu den Hosentaschen abschnitt und an dem Rock annähte. Zudem zog er dem Model Agnes Deyn eines seiner mit Nieten verzierten Bustieroberteile und eine übergroße Lederjacke an und rundete somit das Outfit gekonnt ab. Damit kombiniert er mühelos Einflüsse verschiedener Kulturen mit Gesellschaften. Et Voilà: die Zeitreise um die Welt beginnt.
Sprechende Puppen
Auf vielen der installierten Mannequins sind Gesichter durch Licht und 3-D projiziert. Allerdings keine Model-Schönheiten, sondern richtige Charakterköpfe. Denn Gaultier ist dafür bekannt, bei seinen Modenschauen sehr unkonventionelle Models über den Laufsteg zu schicken. Alte, dicke Frauen und Männer mit Piercings, Tattoos oder Schönheitsmakel – alles ist dabei. So schafft er seine Vision einer offenen, freien Gesellschaft ohne Rücksicht auf das Alter, der Religion oder der Hautfarbe. Seine Modepuppen lächeln, blinzeln, verziehen ihren Mundwinkel, führen Monologe oder singen eine kleine Opera. Der Modedesigner tut es ihnen gleich: auch er ist als sprechende Puppe vertreten und flirtet auf Englisch oder Französisch mit den Besuchern um die Wette.
Gaultier und die Frauen
„Ich denke, ich wäre niemals in die Mode gegangen, wenn es keine Models gäbe. Wenn ich meine Kleider auf einem Bügel sehe, mag ich sie nicht wirklich. Ich muss sie an jemand Lebendigem sehen.“ Wie wichtig ihm die Träger seiner Kleidung sind, wird an den vielen berühmten Persönlichkeiten, welche seine ausgestellten Entwürfe tragen, erkenntlich. Auf diese Weise wurden viele Bühnenoutfits ausgesucht und präsentiert. Beispielsweise die Korsage mit Spitzbusen, die von Madonna bei ihrer „Blond Ambition“ Tour 1990 getragen wurde. Kostüme von Kylie Minogue, Tina Turner, Lady Gaga, Beyoncé oder Beth Ditto komplettieren das Sortiment. Auch Sonderanfertigungen für Stars wie Cathérine Deneuve, Grace Jones oder Carla Bruni sind in der Ausstellung zu sehen.
„What he does is really art.“
Neben der Mode sind aber auch Fotografien, Videos und Dokumente zu finden. Die Arbeiten all jener Fotografen werden gezeigt, mit denen Gaultier im Laufe seiner Karriere zusammenarbeitete. Darunter sind Bilder von Pierre et Giles, David LaChapelle, Steven Meisel und Andy Warhol zu finden. Der Pop-Art Künstler erkannte bereits 1984 Gaultiers Talent: „Take Jean-Paul Gaultier. What he does is really art.“ Sehenswert sind außerdem die ersten Entwürfe, die Jean Paul Gaultier in seiner Zeit bei Pierre Cardin entworfen hat. Genau so wie Gaultiers erste Modezeichnungen aus seiner Kindheit. Seine Inspirationen waren vielschichtig: zum einem die Pop-Kultur und die Mode der Straße und zum anderen das Fernsehen und die Welt des Kinos. So entstanden Kollaborationen mit Starproduzenten wie Luc Besson, Peter Greenaway und Pedro Almodóvar. Er entwarf dafür die Outfits für Filme wie „Das fünfte Element“ oder „Kika“, die allesamt in der Galerie zu bestaunen sind.
Das Allroundgenie
Jean-Paul Gaultier gilt als Modedesigner, der sich nicht in eine Schublade stecken lässt. Er kombiniert einen Hauch von Romantik mit Rebellion. Von allem etwas. Er prägt die Modewelt nunmehr seit über vier Jahrzehnten und wird dabei immer wieder aufs Neue seinem Ruf als Enfant terrible der Haute Couture gerecht. Sein Talent, aus Alltäglichem, auffällige und avantgardistische Kleidung zu schaffen, machte Jean-Paul Gaultier zu einem wahren Künstler der internationalen Modebranche. Somit könnte der Titel seiner Wanderausstellung „The Fashion World of Jean Paul Gaultier: From the Sidewalk to Catwalk“ nicht passender sein.
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