Das „Dolce Vita“ kann auch seine Schattenseiten haben

Auswanderer haben in Apulien durchwachsene Erfahrungen gemacht – Wer „Deutschland mit Sonne“ erwartet, liegt falsch

Knorrig gewachsene Olivenbäume, die meisten davon Jahrhunderte alt, biegen sich im stetigen Wind, der über die langgestreckten, von der glühend heißen Sonne verdorrten Weizenfelder fegt.  Der Wind hat hier einen Namen, genau genommen sogar zwei, Scirocco oder Tramontana. Der erstgenannte  ist ein heißer Wind aus Afrika, er bringt schwülwarme, feuchte Luft vom Meer über das Land, der zweite ist kühlerer, trockener Natur. Olivenbäume und Meer pur, davon hat man in Apulien mehr als genug. So viel von beidem, dass man sich kaum satt sehen kann.

Erstellt von towi5967 vor 11 Jahren

Satt essen kann man sich dagegen in diesem Landstrich mehr als genug, denn die Erde ist fruchtbar, der Fischreichtum legendär und die süditalienische Küche schon aufgrund ihrer Üppigkeit überregional bekannt. Dazu kommt: Wonnigere Temperaturen unter mediterraner Sonne. Kein Wunder, dass es viele Deutsche jedes Jahr nach Apulien zieht, den südöstlichsten Zipfel Italiens, das noch für Touristen relativ unerschlossene Land mit der abenteuerlichen Mischung zwischen absoluter Pampa und antiker Hochkultur.  Einige entscheiden sich gerade ob dieser Tatsachen, dort für immer zu bleiben – entweder als Rentner oder in jüngeren Jahren als Aussteiger.

Das Klischee ist oftmals das gleiche: Dolce Vita unter Olivenbäumen, in der einen Hand das Glas Primitivo di Manduria, ein schwerer italienischer Rotwein, in der anderen das Brot mit Tomaten, Mozzarella und Basilikum. Die Tomaten blutrot und saftig wie auch der Wein, beide von hoher Qualität  und um die Ecke sehr günstig zu haben. So wie auch die zahllosen Immobilien und Grundstücke mit Blick aufs azurfarbene Meer. Vendesi – zu verkaufen, steht fast schon überall. In den Straßen und in den Gassen  italienisches Leben pur mit Tarantella, Disco für die Kids und sehr viel politische Plaudereien. Auf dem zentralen Platz des kleinen Städtchen sitzen alte Männer mit Schiebermützen und unterhalten,  na ja, meist streiten sie sich über Politik.

Die Frauen kochen derweil sämige  Tomatensoßen, das macht die Mama sempre, schon seit Jahrhunderten immerdar,  und dazu hängen sie Wäsche, lauthals mit der Nachbarin plaudernd, in den engen Gassen auf. Jeder Passant, ob Ausländer oder Einheimischer, hat Einblicke in die Dessous von Nonna Vincenza. Das stört Oma Vincenza nicht im geringsten. Die Ragazzi brettern mit ihren Vespas durch die Straßen. Verkehrschaos überall, hupend und trötend. Kleinkinder kreischen in den Gassen. Klischee ist das, was das Auge als erstes erfasst.  Und die Wirklichkeit?

Anna, 66, aus dem südlichen Bayern, wohnt mit ihrem Mann Gert, 70, schon seit sieben Jahren in der Nähe eines kleinen Küstenorts bei Manduria am Ionischen Meer. Bereut haben die zwei ihren Entschluss, nach Apulien umzuziehen, nicht. Aber ein Hintertürchen haben sie sich trotzdem noch offen gelassen, denn nach wie vor haben sie die Mietwohnung im Heimatort, in den sie über den Sommer zurückreisen, um alte Kontakte zu pflegen und vielleicht auch als eventuellen Rettungsanker?

 Sie sind die Deutschen in Apulien, aber nicht die apulischen Deutschen. Denn italienische Freunde in Apulien hat das Ehepaar kaum bis gar nicht.  Wenn Kontakte gepflegt werden, dann mit anderen deutschen Auswanderern. Das Problem ist nämlich: die italienische Sprache. Die haben beide nie so richtig gelernt und deshalb auch Probleme, mit ihren Nachbarn in Kontakt zu kommen. Sie mussten sich auch nie wirklich bemühen. Denn egal ob beim Metzger um die Ecke oder auf dem Markt: Irgendeinen gibt es immer, der schon mal in Deutschland gearbeitet hat, dann als Rentner zurückgekommen ist oder Verwandte in Deutschland hat. „Ich will kein Italienisch lernen, ich brauche das nicht“, sagt Anna deshalb auch. „Für das wenige, was wir benötigen, reichen die paar Brocken aus, die ich weiß“. Dass es beiden relativ gut geht, hat auch damit zu tun, dass sie das nötige Kleingeld und Langmut mitgebracht haben. Jetzt haben sie ein schmuckes 80-Quadratmeter-Häuschen auf 600 Quadratmeter Grund, das sie höchstens die Hälfte von dem kostete, was sie in den Randbezirken des Münchner Speckgürtels dafür hinlegen müssten. Denn die Immobilienpreise in dieser Gegend waren schon immer niedrig und gehen noch weiter in den Keller, je weiter Italien in die Wirtschaftskrise rutscht. Doch stöhnt Anna auch über andere Auswirkungen der Eurokrise: Die Mehrwertsteuer steigt gerade auf 23 Prozent, weil der Staat Geld braucht, die Grundsteuer, mehr als drei Jahre ausgesetzt, kommt zurück – höher.

Denn Apulien ist eben nicht nur dolce far niente (das süße Nichtstun), hier wie auch anderswo muss man für sein Geld hart arbeiten. Sogar noch viel mehr als in der Heimat. Schon so mancher, der meinte, ihm würden die gebratenen Auberginen oder Fische in den Mund fliegen, musste resigniert die Segel streichen. Auch wenn die Grundnahrungsmittel billig sind, sind es viele andere Dinge schon längst nicht mehr. Der Benzinpreis kratzt an der Zwei-Euro-Marke. Die ärztliche Grundversorgung kostet zwar nichts, aber alles was darüber hinaus geht, muss privat bezahlt werden – und das nicht zu knapp. Wer kein fixes Einkommen aus Deutschland hat, muss sich kräftig abstrampeln, um über die Runden zu kommen.

Das musste auch der jetzt 45-jährige Hans aus Bremen schmerzlich erfahren. Er wollte als 42-jähriger Aussteiger sein Glück machen, seine eigene kleine Masseria (ein großer, antiker Bauernhof) mit Oliven, Feldfrüchten und Wein bewirtschaften. Doch „die Kosten haben mich aufgefressen“, muss er mit Wehmut feststellen. Der Erlös blieb hinter den Erwartungen zurück, „dazu noch ein verregneter Winter mit Minusgraden – und das war's“. Jetzt will er möglichst schnell alles verkaufen und zurück in seine Heimatstadt. 

 Dass es auch anders laufen kann, zeigt das Beispiel von Ulrich Heigl. Der kam vor ein paar Jahren mit seiner Frau Elisabeth aus der Nähe von Regensburg in den Küstenort San Pietro in Bevagna. Als selbstständiger Bauingenieur und Handwerker brachte er das nötige Know-how mit, um sein Haus bis auf den Rohbau quasi in Eigenregie zu errichten. Inzwischen ist er bei anderen deutschen Auswanderern aufgrund seines breiten Fachwissens sehr gefragt, betreut als Hausverwalter mehrere Objekte. In den Schoß gelegt wurde ihm der bescheidene Erfolg aber nicht. Seine ursprünglichen Erwartungen haben sich nur zum Teil erfüllt. Apulien als Land mit geringen Lebenshaltungskosten – das war einmal. Vieles sei auf deutschem Preisniveau angekommen. „Leider lässt die südliche Sonne das Geld nicht so wachsen wie die Orangen“, meint Heigl. Gewöhnungsbedürftig waren für ihn auch die andere Mentalität und Arbeitsweise. Seinen Schritt von damals, die Zelte in Deutschland komplett abzubrechen, bereut er zwar nicht, weiß aber im Rückblick auch nicht, „ob ich mir das nochmal geben würde“.

Heigl hat mal gerechnet: 500 Euro braucht er etwa im Monat, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Damit kann er aber keine großen Sprünge machen. Zum Glück gibt es saisonales Obst und Gemüse zum Spottpreis: Melonen im Sommer für 15 Cent das Kilo, Erbsen, Tomaten, Aprikosen oder Kirschen für 1 Euro pro Kilo beim Bauern auf dem Markt. Wer nicht gerade als Vegetarier leben will, schmunzelt Heigl, der kann fleischliche Gelüste für einen guten Preis befriedigen, Wurst und Fleisch sind 20 bis 30 Prozent günstiger als in Deutschland. Wie auch Brot und Brötchen, die allerdings „eine Haltbarkeit von einem Tag haben“, wie der deutsches Schwarzbrot gewohnte Bayer etwas traurig anmerkt. Mehr als einen Fiat Panda leistet sich Heigl als Untersatz nicht – was bei den dortigen engen Straßen sowieso empfehlenswert ist. Und tröstet sich mit dem Bonmot eines Bekannten: „Fiat? Das heißt doch ‚Ferrari in außergewöhnlicher Tarnung’“.

Antonio Giuliano, der seit 50 Jahren als Immobilienmakler in Manduria arbeitet, hat eine gewisse Blauäugigkeit bei deutschen Haus- und Grundstückskäufern ausgemacht. „Viele denken, mit der Unterschrift unter dem Vertrag ist es getan“, meint er. „Dabei folgt danach noch einiges an Bürokratie – und die ist nicht von schlechten Eltern“. Wer sich da nicht beizeiten in die italienische Sprache reinknie, komme irgendwann nicht mehr mit und sei laufend auf Dolmetscher angewiesen. „Das kann es doch auch nicht sein“, meint Giuliano, der selbst schon oft die „Feuerwehr“ spielen musste, wenn bei einem deutschen Auswanderer plötzlich der Strom weg war, ein böser Brief der Stadtverwaltung eintrudelte oder der Müll nicht mehr abgeholt wurde. Es sei leider nicht so einfach, wie manche denken würden: „Apulien ist nicht einfach Deutschland mit Sonne.“ Sein Rat ist daher klar: „Die Sprache lernen, Kontakt mit den Einheimischen suchen, in der Bar sich unterhalten, egal ob man noch Fehler macht. Die machen meine Landsleute auch“, sagt er augenzwinkernd mit Blick auf den ausgeprägten Dialekt seiner Heimat.

Silvana Greco aus dem Nachbarort Avetrana freut sich, dass mit den Deutschen neue Kunden in das Friseur- und Kosmetikstudio kommen, das sie mit ihrer Schwester Giuseppina betreibt. Sie profitiert davon, dass sie mit der 18-jährigen Lea, die noch bis 2008 mit ihren Eltern bei Freiburg wohnte, eine zweisprachige Angestellte beschäftigt. „Das hat sich rumgesprochen“, so Silvana.  Wie auch Antonio Giuliano hat sie nämlich die Beobachtung gemacht, dass die Auswanderer den Weg des geringsten Widerstands gehen. Der heißt: Dorthin, wo man mit der eigenen Sprache durchkommt. Andererseits findet es Silvana schade, nicht selbst mit den Kunden ins Gespräch kommen zu können und sich über Gott und die Welt auszutauschen.

Gott und die Welt: Das heißt derzeit sowieso fast nur, über die Regierung Monti zu lästern, die alles verteuert und sowieso schon geringe Löhne in Süditalien entwertet. Lea etwa bekam während ihrer Ausbildung 400 Euro im Monat bei einem Zehn-Stunden-Tag. Der Chef der benachbarten Postbank in Manduria musste mit 1200 Euro netto auskommen – inzwischen ist er mit 60 in Rente gegangen und genießt nun auf seinem Landhaus wirklich das „Dolce vita“. Natürlich mit eigenem Obst und Gemüse -  sonst würde die Rente hinten und vorn nicht reichen. 

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