Das Geständnis

Die Entwicklung des Wortes „ Geständnis“ und der von ihm bezeichneten Rechtsfunktion ist in sich schon charakteristisch: vom Geständnis als Garantie von Stand, Identität und Wert, die jemandem von einem anderen beigemessen werden, ist man zum Geständnis als Anerkennen bestimmter Handlungen und Gedanken als der eigenen übergegangen. Das Individuum hat sich lange Zeit durch seine Beziehungen zu anderen und durch Bezeugung seiner Bindung an andere (Familie, Gefolgschaft, Schirmherrschaft) ausgewiesen; später hat man es durch einen Diskurs, den es über sich selbst halten konnte oder musste, ausgewiesen. Das Geständnis der Wahrheit hat sich ins Herz der Verfahren eingeschrieben, durch die die Macht die Individualisierung vorantreibt“ (Foucault 1976, 62).

Erstellt von PanteraOnca vor 7 Jahren

Seit dem Lateralkonzil von 1215 ist die Beichte für alle Christen mindestens einmal im Jahr zur Pflicht geworden. Im Laufe der Zeit wurden Beichttechniken sowie Vernehmungs- und Ermittlungsverfahren entwickelt und die früheren Schuldbeweise, wie der Eid, das Gottesurteil oder auch das Duell verloren an Bedeutung. Außerdem erhielt die Verwaltung des Königs bei der Verfolgung von Vergehen mehr Befugnis. Die Inquisition setzte ebenfalls in dieser Zeit ein und das Geständnis wurde zu einem der wichtigsten Rituale in den okzidentalen Gesellschaften. Mit diesen Geständnisritualen wurde sich nämlich die Produktion der Wahrheit erhofft. Deshalb wurde dem Geständnis eine wichtige Position innerhalb der zivilen und religiösen Mächte zugeschrieben (Foucault 1976, 61 ff.). „Man gesteht – oder man wird zum Geständnis gezwungen“ (Foucault 1976, 63). Beispielsweise ist die Folter eine Methode, um von einem Ungeständigen, aber für schuldig befundenen Menschen, ein Geständnis zu erhalten. Dieser wird so lange körperlich gequält, bis er gesteht. Nicht alle Foltermethoden sind auf den menschlichen Körper gerichtet, einige zielen auf die Psyche (die Seele, das Gewissen) des Menschen. Sie zwingen ihn, ohne dabei seinen Leib zu verletzen, sich zu bekennen, zu gestehen oder seine Gedanken zu erzählen. Manchmal gesteht man freiwillig bzw. es wird als ein freiwilliges Gestehen empfunden (Foucault, 1976, 63).

In der abendländischen Gesellschaft ist der Mensch ein „Geständiger“ geworden ist. Im Alltag und zu besonderen Anlässen (z.B. vor Gericht, bei der Beichte, beim Arzt usw.) gesteht man seine Verbrechen, Sünden, Gedanken und Begehren, seine Vergangenheit, seine Kindheit und Sämtliches, was das eigene Leben betrifft. Wir versuchen das, was am schwersten zu sagen ist, am genausten zu erzählen. Das Geständnis wirkt also in vielen Lebensbereichen und kommt in der Medizin, der Justiz, in der Pädagogik, in Familien- und Liebesbeziehungen, aber bei einem selbst zum Wirken. Sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Privaten wird gestanden, wir gestehen ständig. Inzwischen ist es für uns so selbstverständlich geworden, etwas zu gestehen, dass wir gar nicht mehr mitbekommen, dabei einem einen Zwang zu unterliegen, welcher eine Macht auf uns ausübt. Wir empfinden es sogar als befreiend, wenn wir gestehen. Denn genau diese Macht, zwingt uns nämlich auch zum Schweigen. Durch das, was wir gestehen, zeigen wir, wer wir sind und erkennen uns selbst (Foucault 1976, 62 ff.).

Literatur

Foucault, Michel: Sexualität und Wahrheit 1 – Der Wille zum Wissen: Suhrkamp Verlag Frankfurt a. Main 1977, erste Auflage 1983, Titel der Originalausgabe: Histoire de la sexualite, 1: La volonte de savoir,Gallimard Paris 1976

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