Das Jahr 1944 – zwei Menschenleben und die sogannten Aktion Ungarn in Auschwitz
Im Meisterwerk des ungarischen Oscar-Preisträgers István Szabó Hinter der Tür mit Martina Gedeck und Helen Mirren in den Hauptrollen bildet das Schicksal eines versteckten jüdischen Kindes in Ungarn während der Nazizeit eine der zentralen Handlungsmotive des Films.
Hintergrund des verfolgten Kindes ist die sognannte Aktion Ungarn des Jahres 1944, dem Massenmord an der größten jüdischen Gemeinde Europas. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im März 1944 fuhren ab April und verstärkt ab Mai desselben Jahres regelmäßig Züge von Ungarn nach Auschwitz. Von 795.000 Menschen starben 438.000 binnen acht Wochen.
Im Interview zu ihrer Autobiografie Wie ich überlebte* schildert Hannah A.ihre Erlebnisse in dieser Phase des nationalsozialistischen Weltanschauungskrieges gegen die Juden, die als die größte Vernichtungsaktion der Nazis in die Geschichte eingegangen ist.
„Ich kam im April 1944 nach Birkenau“, beginnt Hannah A. „Davor war ich im Stammlager untergebracht. Weil wir eine rote Kopfbedeckung trugen, nannten uns alle Rotkäppchen. Wir, also das Rotkäppchenkommendo, schliefen von nun an im Lagerabschnitt B II g. Davor für kurze Zeit in Abschnitt B I a. Jeden Morgen mussten wir nach dem Appell in das Effektenlager I gehen. Es lag in der Nähe des Stammlagers. Circa drei Kilometer davon entfernt.
Ohne meine Arbeit in diesem Sortierkommando hätte ich nicht überlebt. Wir fanden Lebensmittel unter der Habe der Angekommenen und weil wir mit SS-Angehörigen auf engstem Raum arbeiteten, die große Angst vor Lagerseuchen hatten, wurden wir täglich zusammen mit ihnen desinfiziert. Diese etwas privilegierte Lage half uns, das Arbeiten in der Nähe des Krematoriums K IV erträglicher zu machen. Für mich erträglicher. Andere zerbrachen an den Schreien der Menschen in den Gaskammern völlig. Gingenin den Draht zum Beispiel.
Das Durchhalten gelang mir umso besser, als mir in diesem Mai 1944 ein Wunder geschah. Während des Aussortierens entdeckte ich inmitten kleiner Gruppen von Angekommenen auf der Lagerstraße, die von der extra für die ungarischen Juden errichteten neuen Rampe direkt ins vierte Krematorium führte, meine kleine Schwester Rosa. Ich hatte gehofft, Wallenberg würde sie bis zum Ende beschützen können. Dem war nicht so.
Ich wusste, an wen ich mich zu wenden hatte. Schließlich war ich am Tag davor Zeugin eines kleinen Plausches zwischen den Mithäftlingen Simon W. und Kurt T. geworden.
In einem unbeobachteten Moment lief ich zu Simon.
Simon hatte einen SS-Mann dabei ertappt, wie er hochwertige Schuhe an sich nahm. Er bestahl den Führer. Simon machte ihm klar, dass nicht nur er davon wusste. Wiese, so hieß der SS-Mann, wäre also noch immer nicht seiner sicher gewesen, hätte er Simon auf der Stelle erschossen. Und wir waren zu viele im Effektenlager. Das wäre aufgefallen. Wiese wäre in Erklärungsnot gegenüber den anderen SS-Männern geraten …“ Sie lacht und seufzt. „Simon hatte den Trumph in der Hand, der meiner Schwester und mir das Leben rettete. Denn … ohne sie … ich hätte nicht weiterleben wollen. Wir sind die Einzigen der Familie … die …“ Sie steht auf und verlässst den Raum.
Wie sie es tatsächlich geschafft haben, vor der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee, den Nazi-Schergen zu entkommen, will Hannah A. vor Erscheinen des Buches nicht verraten.
*) Titel des Buches ist fiktiv.