Der staatlich gelenkte Entwicklungsprozess von Südkorea und Vietnam im Vergleich
1 Einleitung
Die verheerendsten Kriege die im südost- und nordostasiatischen Raum nach dem 2. Weltkrieg ausgetragen wurden, waren zweifellos der 1950 beginnende Koreakrieg sowie der 1946 einsetzende Vietnamkrieg. Mit dem Ende des Koreakrieges 1953 ging die Festigung der Zweiteilung der Halbinsel zwischen der demokratischen Volksrepublik Korea, im Norden und der Republik Korea, im Süden einher. Schlimmer noch als die Zementierung der Spaltung des Landes waren jedoch die gravierenden Folgen die für das Land durch den Krieg entstanden. Während vor dem Krieg im Zuge der japanischen Kolonialherrschaft vor allem der nördliche Teil Koreas industriell entwickelt wurde, blieb der südliche Teil, die Republik Korea (im Folgenden „Südkorea“), auf dem Niveau eines Agrarlandes zurück.[1] Durch den Krieg wurde die kaum vorhandene Industrie sowie eine großer Teil der Infrastruktur des Landes zerstört. Geschätzte Angaben zu der Opferzahl auf südkoreanischer Seite bewegen sich in Millionenhöhe. Die Wirtschaft Südkoreas lag unmittelbar nach Ende des Krieges am Boden. Das Land galt zu diesem Zeitpunkt als eines der ärmsten der Welt (Engelhard 2004: 19).
Der im Kontext des Kalten Krieges geführte Vietnamkrieg zog sich über 30 Jahre hin und forderte nach Angaben Vietnams die Leben von ca. 1,4 Millionen vietnamesischer Soldaten und zwei Millionen vietnamesischer Zivilisten (Wilden 2009: 38f.). Im Norden Vietnams war die Infrastruktur das Hauptangriffsziel des Flächenbombardements der US-Streitkräfte. Brücken, Häfen, Kraftwerke, Industrieanlagen und Hauptverkehrswege wurden dem Erdboden gleich gemacht (Beresford 1988, zitiert nach Mensel 2013: 131). Ebenso wurde ein grosser Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche zerstört. Die südvietnamesische Bevölkerung erlitt durch den Einsatz des toxischen „Agent Orange“ durch die US-Streitkräfte gravierende gesundheitliche Schäden, das ökologische System des Landes wurde dadurch langanhaltend geschädigt. Nach dem Ende des Krieges 1975 flüchteten Hundertaussende aus Angst vor Repression vor den neuen Machthabern (Greiner: 2007, zitiert nach a.a.O. 130). Die Wirtschaft Vietnams erlitt durch die Folgen des Krieges erhebliche Schäden, ebenso wie diejenige Südkoreas.
2 Forschungsfrage
Umso erstaunlicher ist die rasante, erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung, die die beiden Staaten in den Nachkriegsjahren forcieren konnten. So lag das Bruttosozialprodukt von Südkorea im Jahre 1953 noch bei 67 US-Dollar pro Kopf, im Jahre 1987 bei schon 3201 US Dollar pro Kopf (Kern 2005, zitiert nach Niggemann 2008: 18). Im gleichen Zeitraum kam es auch zu einer erheblichen Verbesserung der Lebenserwartung, von 47 auf 69,8 Jahren. Südkorea wurde hierbei bis in die Mitte der 80er Jahre hinein von einer Militärdiktatur regiert, die die Entwicklung des Landes rigoros und autonom steuerte. Schliesslich vollbrachte Südkorea die zügige Transformation von einem Entwicklungsland, hin zur Industrienation und wurde im Jahre 1996 als Mitglied der OECD aufgenommen.
In den Nachkriegsjahren Vietnams, kam es ebenso zu einem rasanten Wirtschaftsaufschwung. So legte das vietnamesische Bruttoinlandsprodukt, zwischen 1980 und 1989 um durchschnittlich 5,6 Prozent, zwischen 1992 und 2000 um durchschnittlich 7,8 Prozent und zwischen 2001 und 2010 um durchschnittlich 7,3 Prozent zu. Im Jahre 2011 betrug das Bruttosozialprodukt pro Kopf 3400 US-Dollar (Mensel 2013: 26). Einige Seiten kommentieren diese Entwicklung Vietnams als ein regelrechtes Wirtschaftswunder. Entwicklungspolitische Massnahmen und Entscheidungen im Einparteienstaat Vietnam unterlagen hierbei alleine der Autorität des kommunistischen Regimes, das sich aus den Führungspolitikern der Kommunistischen Partei Vietnams zusammensetzt. In beiden Staaten, kann somit den politischen autoritären Systemen, eine wesentliche Rolle hinsichtlich des Entwicklungsprozesses zugeschrieben werden.
Innerhalb dieser erfolgreichen Entwicklungskontexte soll die Rolle des südkoreanischen und vietnamesischen Staates als entwicklungsrelevanter Faktor, im Rahmen dieser Arbeit beleuchtet werden. Es wird dabei im Vorfeld angenommen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Handeln eines Staates, der als aktiver entwicklungspolitischer Akteur fungiert und der Ausschöpfung des Entwicklungspotentials eines Staates existiert. Konkret soll in dieser Arbeit geklärt werden, wie und mit welchen spezifischen wirtschaftspolitischen Massnahmen die beiden Staaten es geschafft haben ihre Wirtschaft wieder aufzubauen und die ihre Entwicklung zu forcieren. Dabei werden die beiden Staaten als Entwicklungsdiktaturen dargestellt. Zunächst sollen im theoretischen Teil Ansätze für die entwicklungs- und wirtschaftspolitische Strategien aufgezeigt werden, die im Anschluss auf die beiden Länder im empirischen Teil angewendet werden. Zum Schluss werden der zentrale Unterschied und die zentrale Gemeinsamkeit zwischen den beiden Ländern, hinsichtlich der Rolle des Staates als entwicklungspolitischer Akteur und seiner entwicklungspolitischen Strategien hervorgehoben.
3 Theoretischer Teil
3.1 Charakterisierung der Entwicklungsdiktatur
Die konventionelle Definition der Entwicklungsdiktatur ist für Ko Song-guk (1980), „a system used to justify a dictatorship that restricts the people`s participation in politics based on the reason that political security is a prerequisite to economic growth“ (Lee Byeong-cheon 2003: 5). Im Kern geht es also in einer Entwicklungsdiktatur um die permanente und kontinuierliche Entwicklungsorientierung auf Kosten von politischen Partizipationsrechten der Bürger. Die Machtstellung der herrschenden Elite soll dabei über das Wohlergehen der Bevölkerung legitimiert werden, das mittels eins wirtschaftlichen Wachstums realisiert und kontinuierlich gesteigert werden soll. Politik, Gesellschaft und Wirtschaft werden von der herrschenden Elite im Sinne des Imperatives der Entwicklung instrumentalisiert. Politische Stabilität ist für die Durchführung eines längerfristigen, auf Wachstum angelegten Entwicklungsprozesses unabdingbar. So werden demokratische Mitspracherechte, Interessenpluralismus und politischer Wettbewerb als systemgefährdend angesehen und dementsprechend verboten. Im Zuge des ökonomischen Wachstums müssen die daraus entspringenden Gewinne durch die herrschende Elite innerhalb der Bevölkerung relativ gleich verteilt werden, damit der Fortbestand des autoritären Regimes gesichert ist. Je größer der Wohlstand der Bevölkerung im Zuge einer erfolgreichen Entwicklungsdiktatur wird, desto größer werden auch die Forderungen der Bürger nach politischer Mitsprache werden. Der Kipppunkt des Regimes ist dann erreicht, wenn die Legitimation des Regimes nur noch durch Zugeständnisse an die Bürger aufrechterhalten werden kann. Dies kann auf zwei Arten geschehen. Entweder durch eine Systemtransformation die sukzessive vonstattengeht, der Staat jedoch weiterhin interventionistisch tätig bleibt oder durch einen Abbau der autoritären Strukturen (Mensel 2013: 74f.).
Eine zentrale Voraussetzung für den starken Interventionismus des Staates, stellt eine elitäre, technokratische Bürokratie dar, die als Zentrum ökonomischer Entscheidungsfindung fungiert. Mittels selbst eingerichteter Schnittstellen, die von Experten besetzt werden, kommt der Bürokratie die Aufgabe zu zwischen Politik und Wirtschaft zu vermitteln. Eine weitere Voraussetzung für die Entwicklungsdiktatur stellt die Interessenskongruenz zwischen Exekutive und Legislative dar. Die Kompetenzen legislativer Institutionen unterliegen im starken Maße der bürokratischen Expertise und werden von deren Gestaltungshoheit stark begrenzt (Clark 2002, zitiert nach Mensel 2013: 77). Eine weitere Aufgabe, die die Bürokratie und die herrschende Elite für eine wirtschaftsfreundliche Umgebung erfüllen müssen, ist die Herstellung und Aufrechterhaltung von Stabilität, um für die wirtschaftlichen Akteure kalkulierbares Handeln zu ermöglichen. Ebenso müssen gesetzliche Mindeststandards erfüllt werden, wie z.B. eine unabhängige Justiz, die die rechtlichen Regelungen der Wirtschaftssubjekte transparent definiert und anwendet. Ebenso ist es Aufgabe des Staates die physische Infrastruktur bereitzustellen. Wichtig ist auch die Schaffung eines stabilen makroökonomischen Rahmens, der sich durch stabile Wechselkurse, geringe Staatsverschuldung und niedrige Inflation ausdrückt (Clark 2002: 17, zitiert nach a.a.O. 79). Eine der wichtigsten Aufgaben des Staates, ist die Bestimmung von Schlüsselindustrien innerhalb des Entwicklungsprozesses. Sind einmal spezifische industrielle Bereiche als besonders bedeutend für die Entwicklung des Landes identifiziert worden, so liegt es an Massnahmen des Staates diese zunächst aufzubauen (Mensel 2013: 80).
3.2 Merkmale eines nordost-, südostasiatischen Entwicklungsmodells
Wenn folglich der geographische Begriff Nordostasien verwendet wird, so bezieht sich dieser auf die gegenwärtigen Staaten Japan, Süd- und Nordkorea, China, Taiwan und Hongkong. Der Begriff Südostasien umfasst die heutigen Staaten Vietnam, Philippinen, Kambodscha, Laos, Thailand, Birma, Osttimor, Indonesien, Malaysia, Singapur und Brunei (Ziltener 2013: 21).
Vorweg muss angeführt werden, dass es für die Regionen Nordost- und Südostasien kein einheitliches Entwicklungsmodell gibt, das man auf die einzelnen Länder gemeinsam anwenden könnte. Dafür sind die äusseren und inneren Determinanten der einzelnen Länder, die Einfluss auf den Entwicklungsprozess nehmen, zu verschieden. In Bezug auf Südkorea und Vietnam lässt sich dabei an die unterschiedliche Länge der beiden Kriege denken. Aber auch Faktoren wie Rohstoffvorkommen, Interdependenzen mit anderen Ländern oder die innenpolitischen Machtverhältnisse sind prägende Faktoren hinsichtlich des Entwicklungsprozesses.
Dennoch lassen sich generelle Entwicklungsmuster und Ähnlichkeiten in der nordost-, südostasiatischen Region erkennen (Mensel 2013: 86). Kennzeichnend für die Entwicklung vieler nordost- und südostasiatischer Länder war die Strategie der Importsubstitution und der Exportorientierung, die von deren Regierungen und Bürokratien als sequentieller Ablauf forciert wurde. Die Motivation die sich hinter dieser Wirtschafsstrategie der Länder verbirgt, besteht aus den kulturellen Erfahrungen des Kolonialismus und der Fremdbestimmung. Aus diesen Erfahrungen erwuchs das Streben nach ökonomischer Eigenständigkeit. Der Handel der nordost-, südostasiatischen Länder sollte nach der Phase des Erreichens der politischen Unabhängigkeit, nicht länger von der Rohstoffausfuhr und der Einfuhr von Fertigwaren geprägt sein. Fortan war der Aufbau einer eigenständigen Industrie das oberste Ziel dieser Staaten (Mensel 2003: 91).
Bei der Importsubstitution handelt es sich um eine Massnahme deren Ziel es war, einzelne oder mehrere Sektoren, die für den Entwicklungsprozess eine wichtige Rolle einnahmen, so weit zu stärken, dass diese gegenüber der Konkurrenz nach der Marktöffnung mithalten konnten. Die Instrumente die für den Schutz dieser einheimischen produzierten Güter eingesetzt wurden waren z.B. Importzölle und Einfuhrquoten oder hohe Qualitätsstandards. Gleichzeitig wurde der heimische Absatzmarkt für Konsumgüter ausgebaut. In Folge der einsetzenden arbeitsintensiven Produktion von Gütern kam es zu einer Belebung des Arbeitsmarktes. Durch den Aufbau weiterer Industrieanlagen wurden zusätzliche Arbeitsplätze frei. Es kam zu einer allmählichen Umstrukturierung von primären zum sekundären Sektor. Mit zunehmenden Wachstum und zunehmender wirtschaftlicher Belastbarkeit der „infant industries“ stiegen auch die Staatseinnahmen allmählich an und vergrösserten somit die Investitionsbasis für neue Entwicklungsvorhaben.
Voraussetzung für die Einsetzung der Exportorientierung waren Güter, die auf dem internationalen Markt konkurrenzfähig waren. Dies konnte auf folgende Arten geschehen: entweder durch günstige Massenware, infolge von tiefen Lohnkosten oder durch hochwertige High-Tech Ware die in einer Marktnische platziert wurde. Voraussetzung für die Produktion von Gütern der Spitzentechnologie, war ein vorhandenes Humankapital. Die Bürokratie forcierte deshalb die Erweiterung der Bildung im Sekundär- sowie Tertiärbereich. Um den Technologietransfer weiter zu fördern, wurden spezielle Zonen zur Exportverarbeitung, „Export Processing Zones“, errichtet. Der Staat verfolgte damit die Absicht, dass sich parallel zu dem einheimischen produzierenden Gewerbe, transnationale Unternehmen dort niederlassen würden und ihr Wissen auf die einheimischen Konzerne transferieren. Mit der sukzessiven Öffnung der einheimischen Märkte, profitierten die asiatischen Staaten zunehmend von ausländischen Direktinvestitionen. Es bildeten sich durch die Öffnung der einzelnen Staaten mit der Zeit intraregionale Wirtschaftskreisläufe heraus, durch die auch andere Staaten der Region in die Produktionsabläufe eingebunden wurden.