Die aktuelle Rechtsprechung des BAG zur Verdachts- und zur Tatkündigung

A. Einleitung

Begeht ein Arbeitnehmer in den Augen des Arbeitgebers im Rahmen des Arbeitsverhältnisses eine Straftat oder eine sonstige schwerwiegende Pflichtverletzung, kommen als Kündigungsarten eine Tatkündigung oder eine Verdachtskündigung in Betracht. Bei der Tatkündigung steht grundsätzlich die Tat (Straftat oder sonstige schwere Pflichtverletzung) nach der Überzeugung des Arbeitgebers fest. Demgegenüber besteht bei der Verdachtskündigung lediglich der Verdacht einer Straftatbegehung oder sonstigen schweren Pflichtverletzung. Beide Kündigungsarten unterscheiden sich in rechtlich erheblicher Weise voneinander. Die vom BAG hierzu aufgestellten Grundsätze sollen in diesem Beitrag dargestellt werden.

Erstellt von caticlan vor 7 Jahren

B. Die Rechtslage

I. Objektive Darstellung der Rechtslage

Tatkündigung und Verdachtskündigung sind strikt voneinander zu unterscheiden. Es handelt sich nach der Rechtsprechung des BAG um vollkommen eigene Kündigungsgründe. Die Verdachtskündigung erfordert eine vor Kündigungsausspruch vorangegangene Anhörung des Arbeitnehmers; dies ist bei der Tatkündigung nicht der Fall. Die Unterscheidung zwischen Tatkündigung und Verdachtskündigung ist nicht nur materiell-rechtlich, sondern auch hinsichtlich der Betriebsratsanhörung von Bedeutung. Auch insoweit liegen unterschiedliche Kündigungsgründe vor. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines von ihm nicht für sicher gehaltenen oder erwiesenen strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nötige Vertrauen zerstört. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss im Unterschied dazu maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung bzw. Pflichtwidrigkeit tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortführung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG kann nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Dies gilt nicht nur im Arbeits-, sondern auch im Berufsausbildungsverhältnis. Eine Verdachtskündigung ist dann zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Im Zuge der gebotenen Aufklärung des Sachverhalts hat die Anhörung des Arbeitnehmers zu erfolgen. Der Umfang der Anhörung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Sie muss dabei aber nicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden, da beide Anhörungen verschiedene Zwecke verfolgen und damit nicht miteinander vergleichbar sind. Dabei reicht es grundsätzlich nicht aus, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Rahmen einer Anhörung zu einer Verdachtskündigung lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen zu bezeichnen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen. Allein um dieser Aufklärung willen wird dem Arbeitgeber die Anhörung abverlangt. Dagegen ist sie nicht dazu bestimmt, als verfahrensrechtliche Erschwernis die Aufklärung zu verzögern und die Wahrheit zu verdunkeln. Eine schuldhafte Verletzung der Anhörungspflicht liegt dann nicht vor, wenn der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit war, sich auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einzulassen und nach seinen Kräften an der Aufklärung mitzuwirken. Erklärt der Arbeitnehmer von vornherein, er werde sich zum Vorwurf nicht äußern und nennt auch für seine Verweigerung keine relevanten Gründe, dann muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Rahmen seiner Anhörung nicht über die Verdachtsmomente näher informieren. Eine solche Anhörung des Arbeitnehmers wäre überflüssig, weil sie zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Willensbildung des Arbeitgebers nicht beitragen kann. Eine Verdachtskündigung kann nicht ausschließ- lich darauf gestützt werden, dass die Strafverfolgungsbehörde einen dringenden Tatverdacht bejaht hat. Fehlt es bei einer Verdachtskündigung an der erforderlichen Anhörung, ist zu prüfen, ob die vom Arbeitgeber vorgetragenen Verdachtsmomente geeignet sind, die Überzeugung von einer entsprechenden Tat zu gewinnen und damit die Kündigung als Tatkündigung gerechtfertigt ist. In einer aktuellen Entscheidung hat das BAG klargestellt, dass die Rechtfertigung einer Tatkündigung allein davon abhängt, ob im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorlagen, die zu der Annahme berechtigten, dem Kündigenden sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gewesen. Zwar obliegt hierbei dem Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Für Umstände, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen könnten, ist seine Darlegungslast allerdings abgestuft. Der Arbeitgeber darf sich zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung vorzutragen. Er muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen. Auch für die Betriebsratsanhörung kann für die Tatkündigung ausreichen, wenn dem Betriebsrat alle Tatsachen mitgeteilt worden sind, die ggf. auch im Rahmen eines zulässigen Nachschiebens von Gründen nicht nur den Verdacht, sondern den Tatvorwurf selbst begründen. Wird bei einer Verdachtskündigung der Verdacht im Nachhinein ausgeräumt, kann seitens des Arbeitnehmers ein Wiedereinstellungsanspruch bestehen. Dies gilt auch dann, wenn der Verdacht erst nach Ablauf der Kündigungsfrist beseitigt werden kann.

II. Rechtliche Würdigung

Die Zulässigkeit der Verdachtskündigung ist trotz geäußerter Bedenken im Hinblick auf die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK bereits vom Reichsarbeitsgericht (RAG) anerkannt worden und entspricht heute der absolut herrschenden Meinung. Eine Anwendung der Unschuldsvermutung auf das privatrechtliche Arbeitsverhältnis hätte zur Folge, dass der Arbeitgeber bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens keine Sanktionsmöglichkeiten hätte. Dies wird als unangemessen empfunden, zumal Art. 6 Abs. 2 EMRK nur im Verhältnis Bürger zum Staat, nicht aber in Privatrechtsverhältnissen gilt. In der Regel erfüllen Tat- und Verdachtskündigungen die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB, sodass eine vorausgegangene Abmahnung nicht erforderlich ist. Eine Verdachtskündigung kann auch als ordentliche Kündigung zulässig sein.

C. Auswirkungen für die Praxis

Die Abgrenzung einer Tat- von einer Verdachtskündigung bereitet trotz der umfangreichen Rechtsprechung des BAG zu diesem Themenkomplex in Einzelfällen nach wie vor Schwierigkeiten. Zur Vermeidung von damit einhergehenden Rechtsnachteilen behilft sich die arbeitsrechtliche Praxis häufig damit, dass sowohl eine Tatkündigung als auch eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden.

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