Die Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien Eine Analyse am Beispiel des Normalisierungsabkommens
Der ethno-territoriale Konflikt zwischen Serben und Albanern gilt als einer der ältesten des Balkans. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und reichen in die Zeit zurück, als die byzantinische Vorherrschaft auf dem Balkan vom osmanischen Reich zurückgedrängt wurde.
Die albanische Bevölkerung, die unter der osmanischen Herrschaft größtenteils zum Islam konvertierte, wurde fortan von der serbischen Bevölkerung als Verbündeter der Osmanen und somit als Feind der serbischen Nation wahrgenommen. Für die serbisch-orthodoxe Kirche gilt das sogenannte Kosovo-Metohija schon seit jeher als Wiege der serbischen Nation. Die albanische Mehrheitsbevölkerung hingegen erhebt ihren Anspruch auf das Gebiet aufgrund ihrer frühen Ansiedlung in der Region. Daraus folgt, dass beide Volksgruppen das Gebiet des heutigen Kosovo für sich beanspruchen. Vor allem seit dem Fall des osmanischen Reichs und der Herrschaftsübernahme des serbischen Königreichs 1912 im Kosovo kam es zwischen den beiden Volksgruppen immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Ein friedliches Zusammenleben hat es somit in der gemeinsamen Geschichte nie gegeben.
Den letzten Höhepunkt dieses tief verwurzelten Antagonismus bildete der Kosovo-Krieg von 1999. Nach den NATO-Lufteinsätzen und dem darauf folgenden Abzugs des serbischen Militärs aus dem Kosovo gelang es den KFOR-Truppen nicht, auf dem gesamten Territorium des Kosovo friedenssichernde Maßnahmen vorzunehmen. Vor allem im Norden des Kosovo hatte sich die serbische Bevölkerung in den Kommunen Leposavić, Zvećan, Zubin Potok und dem nördlichen Stadtteil Mitrovicas zurückgezogen und machte fortan ihr eigenes Recht geltend.[1] Es entstanden parallele Staatsstrukturen, die von der serbischen Regierung mit jährlichen Zahlungen von über 360 Millionen Euro aufrecht erhalten wurden.[2] Auch mit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Februar 2008 änderte sich nichts an der dortigen Lage. Die faktische Eigenständigkeit der schätzungsweise 55.000 – 65.000 Serben im Nord-Kosovo musste von der kosovarischen Regierung toleriert werden.[3] Auf serbischer Seite wird die politische und geistliche Elite nicht müde zu wiederholen, dass der Kosovo integraler Bestandteil Serbiens sei und bleiben werde. Dementsprechend kommt für Belgrad offiziell eine de jure Anerkennung der kosovarischen Unabhängigkeit nicht in Frage. Die serbische Führung hat drei rote Linien für den Nord-Kosovo festgesetzt, über die im politischen Dialog nicht verhandelt werden könne: die Grenzkontrollen zu Serbien, die Zölle für eingeführte Waren aus Serbien sowie ein mögliches Verbot der serbischen Kennzeichenschilder.[4]
Die kosovarische Seite ihrerseits erklärte Anfang 2008 die Unabhängigkeit von Serbien und lehnte ursprünglich jegliche Verhandlungen über diesen Status oder die Grenzen des Staatsgebiets als Einmischung in innere Angelegenheiten ab. Offiziell stellte bis zum 19. April 2013 der Status des Nord-Kosovo in der Rhetorik aller kosovarischen Politiker eine rote Linie dar. Es galt, dass im vorausgegangenen technischen Dialog über alle administrativen Angelegenheiten verhandelt werden könne, aber ein politischer Dialog nicht den Nord-Kosovo und dessen Status thematisieren dürfe.[5] Bis vor dem 19. April 2013 beharrten beide Seiten offiziell auf diesen Maximalforderungen.
Dass es nun nach jahrelangen Verhandlungen dazu kam, dass die jeweiligen Regierungen von ihren Maximalpositionen abrückten, gleicht angesichts der verhärteten Fronten auf gesellschaftlicher Ebene einem politischen Wunder. Dementsprechend scheint es nicht weiter verwunderlich, dass das Normalisierungsabkommen sowohl von den direkt Beteiligten als auch von außenstehenden Beobachtern vielfach als „historisch“ bezeichnet wurde.[6] Als historisch in dem Sinne, als dass nur wenige mit einer Übereinkunft zum Status des Nord-Kosovo gerechnet hatten. Der politische Dialog hatte nämlich erhebliche Zugeständnisse beiderseits eingefordert, da der Inhalt des Normalisierungsabkommens ein klares Abrücken von den offiziellen Maximalforderungen des Kosovo und Serbiens darstellt.
Das Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen stellt einen Kompromiss über die Regelung der festgefahrenen Situation im Nord-Kosovo dar. Die Schirmherrschaft für den Verhandlungsprozess bis dahin trug die Europäische Union (EU). Als Mediatorin zwischen den jeweiligen Verhandlungspartnern Hashim Thaçi und Ivica Dačić fungierte die hohe EU-Außenbeauftragte Lady Catherine Ashton. Mit Ivica Dačić, der ehemals rechten Hand Miloševićs und Vorsitzenden der rechts-konservativen Partei SNS, und Hashim Thaçi, einem ehemaligen Kommandanten der kosovarischen Guerillaarmee UÇK, unterzeichneten zwei Regierungsführer ein Abkommen, die vor nicht einmal 15 Jahren Erzfeinde in einem blutigen Krieg waren. Erstaunlich ist auch, dass beide Seiten offiziell nach wie vor die Beibehaltung des Status-quo bekräftigen, somit an den einstigen Maximalpositionen festhalten. Der serbische Ministerpräsident Ivica Daćić gab unmittelbar nach der Ratifizierung des Übereinkommens zu verstehen, dass das Kosovo weiterhin integraler Bestandteil Serbiens sei. Der serbische Präsident Tomislav Nikolić erklärte vor der VN-Generalversammlung:
"May I be clear: Serbia is not ready and cannot, nor will it ever under any circumstances, recognize either explicitly or implicitly the unilaterally declared independence of its southern province of Kosovo and Metohija"[7]
Der kosovarische Premierminister Hashim Thaçi gab seinerseits unverzüglich bekannt, dass die Übereinkunft bestätige, dass Serbien die volle Souveränität und territoriale Integrität des Kosovo anerkannt habe.[8]
Warum konnte es trotz des eingefrorenen Konflikts zu einem Normalisierungsabkommen zwischen Kosovo und Serbien kommen? Der Beantwortung dieser Frage ist diese Arbeit gewidmet.
1.2. Forschungsstand
Aufgrund der immerwährenden Aktualität des Konflikts zwischen Kosovo und Serbien beschäftigen sich viele Autoren mit der Frage, wie es zu einer Normalisierung der Beziehungen kommen kann. Für die Bearbeitung der vorliegenden Fragestellung müssen Studien Beachtung finden, welche die Möglichkeiten für einen Lösungsansatz um den Konflikt des Nord-Kosovo analysieren. In diesem Sinne werden Faktoren untersucht, die auf die Beilegung ethno-territorialer Konflikte einwirken können, da es sich vorwiegend um einen ethno-territorialen Konflikt handelt, wenn über die Lösung des Nord-Kosovo Dilemmas gesprochen wird. Deshalb wird im Folgenden der Forschungsstand hierzu dargestellt.
Einen bei der internationalen Gemeinschaft äußerst unbeliebten Lösungsansatz um den Konflikt des Nord-Kosovo stellt der Vorschlag eines Gebietsaustauschs dar. Dieser Ansatz sucht die Lösung des Problems in einer territorialen Aufteilung der Staatsgebiete von Kosovo und Serbien nach ethnischen Bevölkerungsmerkmalen. Da hierdurch jedoch ein Dominoeffekt für weitere Grenzfragen im Westbalkan befürchtet wird, lehnt die Mehrheit der am Diskurs Beteiligten diesen Lösungsansatz ab. Vielmehr wird im herrschenden Diskurs der EU-Osterweiterungsprozess als zentrales Mittel zur Annäherung beider Seiten angesehen. So konstatiert z.B. die International Crisis Group, dass die Verhandlungen zwischen Prishtina und Belgrad von dem Wunsch einer EU-Annäherung angetrieben werden und es somit zu grundlegenden Friedenslösungen kommen kann. Diese Kompromisse könnten jedoch nur durch konstanten Druck seitens der internationalen Gemeinschaft erzielt werden.[9] Diesen Annahmen bieten die rationalistischen Ansätze einen theoretischen Rahmen. Besonderer Beliebtheit erfreut sich hier der liberale Intergouvernementalismus, dem zufolge die EU-Integration einer rationellen Kosten-Nutzen Analyse der Nationalstaaten entspringt, die sich durch zunehmende Interdependenz dazu gezwungen sehen, ihre Märkte zu liberalisieren. Anreize zur Kooperation bilden demnach die Optimierung ihrer wirtschaftlichen Interdependenzen, um somit ökonomische Gewinne zu erzielen.[10] Die EU steuert hier insofern das Verhalten der beiden Seiten, als dass sie dazu in der Lage ist, die Kosten-Nutzen-Rechnung durch gebotene Anreize zu beeinflussen. Aus diesem Grund halten Vertreter des demokratischen Friedens den von der EU betriebenen Dialog zwischen Prishtina und Belgrad jedoch für ein schwieriges Unterfangen. Sie sehen nur eine vollständige Demokratisierung der beiden Länder als friedensbringende Strategie an und argumentieren, dass Bedürfnisse wie Sicherheit und Identität mit externer Mediation nur schwer verhandelbar sind. Somit hänge eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien mit einer umfassenden Demokratisierung der politischen Strukturen zusammen.[11] Demgemäß kritisieren einige Autoren auch die EU-Konditionalitätspolitik. Insbesondere bei Beziehungen wie zwischen Kosovo und Serbien werde hierdurch lediglich ein „Scheinfrieden“ bewirkt, der auf Dauer nicht stabilisierend wirke.[12] Ein nicht so düsteres Bild zeichnen Vertreter des liberalen Institutionalismus. Diese gehen von einer Einhegung von Konflikten aus, indem die jeweiligen Interessen kanalisiert werden. Das geschieht im Rahmen von Institutionen, die das Verhalten ihrer Akteure steuern können. Die EU stellt dann in diesem Fall die regelnde Institution dar. Das external incentives model nach Schimmelfennig und Sedlmeier folgt dieser Logik und analysiert dabei die Beeinflussung der innerstaatlichen Präferenzen durch die Anreizsetzung der EU. Die EU-Konditionalität wird hierbei als Kerninstrument gewertet, das eine Anpassung an EU-Regeln beschleunigt. Die Staaten stellen in diesem Modell rational handelnde Akteure dar, die die Maximierung ihres Nutzens und Wohlstandes zum Ziel haben.[13]
2. Theoretischer Rahmen
2.1. Kernannahmen des Liberalismus
Für die Beantwortung der vorliegenden Fragestellung wurden die Kernannahmen des Liberalismus nach Andrew Moravcsik angewandt.
Das primäre Ziel des Liberalismus als Theorie der Internationalen Beziehungen ist es, staatliches Handeln auf Grundlage innerstaatlicher Präferenzen zu verstehen. Somit gründet die Theorie auf der zentralen Prämisse, dass das außenpolitische Verhalten von Staaten maßgeblich von innerstaatlichen und transnationalen Präferenzen gelenkt wird. Für Moravcsik befinden sich Staatspräferenzen im ständigen transnationalen Austauschprozess und müssen daher immer im systemischen Kontext betrachtet werden.
„The expected behaviour of any single state [...] reflects not simply its own preferences, but the configuration of preferences of all states linked by patterns of significant policy interdependence“[14]
Somit ist es für Moravcik zwar maßgeblich, die Analyse von Präferenzen durchzuführen, um Staatshandeln zu untersuchen: „For liberals the configuration of state preferences matters most in world politics [...]“.[15] Jedoch erweitert er seine liberale Theorie um die analytische Ebene des Staates und des internationalen Systems, was die Theorie für die vorliegende Fragestellung besonders geeignet erscheinen lässt, da ein Phänomen untersucht werden soll, welches scheinbar multikausalen Verhältnissen unterliegt.
Dementsprechend konstruiert Moravcsik drei Kernannahmen, mit Hilfe derer die Realität werteneutral anhand einer empirisch-analytischen Vorgehensweise beschrieben werden kann.
Die erste Kernannahme legt Individuen und gesellschaftliche Gruppen als Hauptakteure der Internationalen Beziehungen fest. Diese handeln üblicherweise rational und risikoavers und sind daran interessiert, ihre materiellen und ideellen Interessen zu artikulieren.[16] Insbesondere sind es für Moravcsik auch die Umstände der Globalisierung, die für die gesellschaftlichen Individuen die Anreize zum Wettbewerb erhöhen.[17] Vor diesem Hintergrund will er aber auch ersichtlich machen, dass die Präferenzen innerhalb der Gesellschaft divergieren können und es dadurch zu Interessenkonflikten kommen kann. Sobald sie aber konvergierend sind, entstehen Anreize für kollektive Aktionen. In diesem Sinne formuliert Moravcsik: „The greater the expected benefits, the stronger the incentive to act.“[18]
Die zweite Kernannahme besagt, dass Staaten die Funktion eines Transmissionsriemens einnehmen. Dieser Logik entsprechend nimmt der Staat die Präferenzen der Hauptakteure auf und wandelt sie in Staatspräferenzen um. Der Staat ist daher kein eigenständiger Akteur, sondern dient lediglich als Institution.[19] Dennoch ist kein Staat unvoreingenommen: „No government rests on universal or unbiased political representation; every government represents some individual and groups more fully than others.“[20] Dementsprechend setzt der Staat nur die Präferenzen der sich am besten durchsetzenden innergesellschaftlichen Akteure um.[21] Daraus ergibt sich, dass nicht allen innergesellschaftlichen Akteuren gleich viel Einfluss auf den Staat zugesprochen wird. Jede Regierung repräsentiert somit gewisse gesellschaftliche Akteure besser als andere.[22]
Die dritte Kernannahme besagt, dass das Verhalten von Staaten und somit ihre Konflikt- oder Kooperationsbereitschaft gegenüber Staaten des internationalen Systems maßgeblich von der Struktur der innerstaatlichen Präferenzen geprägt wird.[23] Jedoch ist diese Struktur der Staatspräferenzen nicht völlig unabhängig von denen der anderen Staaten des internationalen Systems. Zwischen der staatlichen Präferenzbildung und dem Verhalten der Staaten im internationalen System besteht eine sogenannte „policy interdependence“. Die Präferenzen der Staaten sind somit miteinander vernetzt.[24] Diese Präferenzen erlegen dem außenpolitischen Verhalten je nach ihrer Beschaffenheit spezifische Restriktionen auf. So können unterschiedliche Arten der Präferenzordnung auftreten: Entweder sind die spezifischen Präferenzen konvergierend und schaffen somit starke Anreize für zwischenstaatliche Kooperation, oder sie sind divergierend und bewirken dadurch Spannungen bis hin zu Konflikten zwischen den Staaten.[25] Ob nun zwischenstaatliche Präferenzen konvergierend oder divergierend sind, hängt letztendlich von den verfolgten Staatspräferenzen ab. Wenn diese Präferenzen harmonieren, gibt es starke Anreize zur Zusammenarbeit und somit sinkt die Wahrscheinlichkeit von Konflikten. Die Untersuchung der Präferenzen von gesellschaftlichen Hauptakteuren ist deshalb für den Liberalismus zentral.[26]Werden Veränderungen und Entwicklungen in der internationalen Politik resp. den Beziehungen zweier Staaten beobachtet, gilt es hauptsächlich die möglichen Veränderungen der Präferenzen zu untersuchen.
2.2. Der kommerzielle Liberalismus
Zur Beantwortung der Frage, woraus die jeweiligen Präferenzen der innergesellschaftlichen Akteure entstehen, gibt Moravcsik drei mögliche Quellen an: die ideelle, die kommerzielle und die institutionelle Quelle. Für diese Arbeit erscheint die kommerzielle Variante von Bedeutung.
Der kommerzielle Liberalismus erklärt das Verhalten von Staaten anhand der gegebenen Anreize des Marktes, mit denen sich nationale und internationale Wirtschaftsakteure auseinandersetzen müssen.[27] Somit beeinflussen Veränderungen in der wirtschaftlichen Struktur die Kosten-Nutzen-Analyse des grenzüberschreitenden Wirtschaftsaustauschs. Die Kernthese des kommerziellen Liberalismus besagt im Wesentlichen, dass das Außenverhalten der Staaten abhängig von den Gewinnen und Verlusten gesellschaftlicher Akteure durch transnationale wirtschaftliche Austauschbeziehungen ist.[28] Moravcsik betont bei dieser Variante des Liberalismus besonders, dass die Artikulation der Präferenzen durch die wichtigen Wirtschaftsakteure keinesfalls zu einer Öffnung des Marktes führen muss. So können diese Wirtschaftsakteure genauso daran interessiert sein, dass ein transnationaler Handelsaustausch beschränkt oder gänzlich außer Kraft gesetzt wird. Hierbei unterliegen die Wirtschaftsakteure den Anreizen des Marktes, nach denen sie ihre Präferenzen richten. Der Staat als Transmissionsriemen der innergesellschaftlichen Präferenzen muss dann durch angemessene Außenhandels- und Sicherheitspolitik dafür Sorge tragen, dass der transnationale Handelsaustausch entweder verhindert oder vereinfacht wird. Eine Kooperation wird umso wahrscheinlicher stattfinden, je stärker die relevanten Wirtschaftsakteure von offenen Märkten und stabilen transnationalen Wirtschaftsbeziehungen profitieren. Gefährden jedoch transnationale und wirtschaftliche Austauschbeziehungen die Präferenzen der relevanten Wirtschaftsakteure, so werden diese eine protektionistische Politik bevorzugen und durchzusetzen versuchen.[29] Das bedeutet, dass je nach Marktstruktur Anreize zur Kooperation, aber auch zum Protektionismus gegeben sein können.[30]
2.3. Ableitung der Hypothese
Überträgt man diese theoretischen Kernannahmen auf die vorliegende Forschungsfrage, müsste die Kooperation zwischen Kosovo und Serbien, die im Normalisierungsabkommen mündete, aus den konvergierenden Präferenzen der Wirtschaftsakteure im Kosovo und in Serbien entstanden sein. Die in dieser Arbeit zu überprüfende Hypothese lautet somit:
Es gibt innergesellschaftliche Akteure in Kosovo und Serbien, deren Präferenzen in der Ratifizierung des Normalisierungsabkommen mündeten.
2.4. Methodik
Um die aufgestellte Hypothese nach den Annahmen des Liberalismus diskutieren zu können und somit zur Beantwortung der vorliegenden Fragestellung zu gelangen, muss die Rolle der innergesellschaftlichen Akteure in Kosovo und Serbien auf das Normalisierungsabkommen vom 19. April 2013 untersucht werden.
In Kapitel 3 wird zunächst die Rolle der Europäische Union (EU) respektive ihrer dargebotenen Anreize betrachtet.
Das ist insbesondere wichtig, da die EU als Hauptimpulsgeber für die Kooperationsbemühungen zwischen den beiden Seiten eine tragende Rolle im politischen Dialog einnimmt. Somit folgt auch diese Arbeit der Logik einer rationalen Kosten-Nutzen Analyse welcher die Akteure unterliegen. Jedoch soll hier insbesondere die Wirkung der Anreize auf die Wirtschaftsakteure untersucht werden. Dementsprechend gelten die hier aufgezeigten EU-Anreize als die Anreize des Marktes, denen die wirtschaftlichen Akteure in Kosovo und Serbien unterliegen.
Kapitel 4 und 5 beinhalten die empirische Untersuchung dieser Arbeit. Da die theoretischen Kernannahmen des kommerziellen Liberalismus den jeweiligen Wirtschaftsakteuren und ihren Interessen den größten Einfluss auf die Ratifizierung des Normalisierungsabkommen zugestehen, müssen im ersten Schritt die von den Wirtschaftsakteuren verfolgten Interessen erläutert werden. In einem Zwischenschritt muss zudem festgestellt werden, ob diese Interessen deckungsgleich mit der im Normalisierungsabkommen gemündeten Staatspräferenz sind. Im Anschluss an die Empirie kann somit aufgezeigt werden, ob die Interessen der Wirtschaftsakteure und somit die Staatspräferenzen auf beiden Seiten konvergierend sind oder sich zumindest nicht völlig ausschließen. Zur systematischen Analyse der Interessensdurchsetzung wurden jeweils Großunternehmen aus den Wirtschaftsbereichen ausgewählt, die einerseits einen signifikanten Anteil am BIP erwirtschaften und andererseits am meisten von dem Normalisierungsabkommen am 19. April profitieren. Ausgehend von ihrem Tätigkeitsfeld und den Anreizen der Märkte werden ihre Präferenzen abgeleitet. Daraus ergibt sich dann, welche Wirtschaftsakteure ein Interesse an einer Kooperation hatten. Nachdem die Präferenzen der Wirtschaftsakteure festgestellt wurden, muss analysiert werden, ob es sich bei diesen Wirtschaftsakteuren um die politisch dominierende Gruppe handelt. Nur durch eine Bejahung dieser Dominanz kann geschlussfolgert werden, dass die Ratifizierung des Normalisierungsabkommen aus einer Staatspräferenz folgt, welche die Interessen der dominierenden Wirtschaftsakteure reflektiert. Um festzustellen, ob die Hypothese tatsächlich eine Antwort auf die aufgeworfene Frage bietet, muss aufgezeigt werden inwiefern die Regierungspolitik dem Druck der Präferenzen von mächtigen Individuen und innergesellschaftlichen Gruppen ausgesetzt ist und auf welche Art es den Wirtschaftsakteuren gelungen ist, ihre Präferenzen am besten durchzusetzen.[31] Es ist hier dementsprechend von zentraler Bedeutung zu untersuchen, wie sich die subsystemischen Strukturen und die dadurch geprägten außenpolitischen Präferenzen der Staaten zueinander verhalten.
Als Quellenbasis der Untersuchung waren staatliche Statistiken der zuständigen Ministerien und Berichte verschiedener Organisationen und Institutionen hilfreich. Diese enthielten Daten und Zahlen über das Tätigkeitsfeld der jeweiligen Wirtschaftsakteure und die Art und Weise der Generierung ihrer Umsätze. Somit lassen sich die Präferenzen der Wirtschaftsakteure herausstellen. Um daraufhin zu überprüfen, ob die Interaktion zwischen Staat und der gesellschaftlichen Gruppe, den Wirtschaftsakteuren, das Außenverhalten der Staaten bei dem Zustandekommen des Normalisierungsabkommens bedingt hat, muss untersucht werden, inwiefern diese Wirtschaftsakteure politisch dominierend sind und somit Einfluss auf die Ratifizierung nehmen konnten. Die Quellenlage zur Einflussnahme auf den politischen Prozess in Kosovo und Serbien ist äußerst dünn. Aufgrund der Materie ist es kaum möglich, empirische Daten über elitenintere Vorgänge zu erheben. Die Arbeit kann somit dem Anspruch der Vollständigkeit nicht gerecht werden, soll aber Aufschluss über das informelle Netzwerk aus Politik und Wirtschaftsakteuren bringen. Deshalb wurden zentrale Akteure untersucht, die sich durch ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten und ihre unmittelbare Nähe zu politischen Personen auszeichnen. Dem Begriff des Klientelismus kommt vorliegend eine doppelte Bedeutung zu. Einerseits werden damit die familiären Abhängigkeitsbeziehungen im Sinne des Nepotismus bezeichnet und andererseits die privaten, wirtschaftlichen Vorteilsnahmen der Politiker durch Gebrauch ihrer öffentlichen Ämter. Für diesen Teil der Arbeit wurden Studien internationaler Institutionen und zivilgesellschaftlicher Organisationen herangezogen. Zahlreiche Primärliteratur in Form von Studienberichten von Transparency International, Freedomhouse und anderen nationalen NGOs in Serbien und Kosovo, welche die Strukturen der Beeinflussung politischer Parteien in Kosovo und Serbien analysieren, ist vorhanden. Es wurde jedoch auch mit aktuellen Zeitungsartikeln der nationalen Presse in Kosovo und Serbien gearbeitet.
[...]
[1] Vgl. Trix, Frances (2013): Serbia and Kosovo: A European Success Story?
[2] Vgl. Stock, Oliver (2013): Machtkampf, EU-Normalisierungsabkommen sorgt für Streit in Serbien, Handelsblatt.
[3] Das macht 100 km2 und somit 10% des kosovarischen Staatsterritoriums und 3% der kosovarischen Bevölkerung aus. Vgl. hierzu: International Crisis Group (2013): Serbia and Kosovo: The Path to Normalisation, S.10.
[4] Vgl. International Crisis Group (2013): s.o., S.11.
[5] Vgl. International Crisis Group (2007): Kosovo: No good Alternatives to the Ahtisaari Plan, S.2.
[6] Vgl. Busse, Nikolas (2013): Serbien und Kosovo einigen sich, Frankfurter Allgemeine Zeitung.
[7] Barlovac, Bojana (2013): Serbia’s Nikolic Makes UN Plea for Kosovo Talks, Balkan Insight.
[8] Vgl. Cani, Bahri (2013a): Durchbruch bei Kosovo-Verhandlungen, Deutsche Welle.
[9] Vgl. International Crisis Group (2013): s.o., S.5.
[10] Vgl. Schwarz, Oliver (2010): Erweiterung als Überinstrument der Europäischen Union? Zur Europäisierung des westlichen Balkans seit der EU-Osterweiterung, S.67.
[11] Vgl. Richter, Solveign (2008): Friedlicher Balkan – Mission Impossible? in: Brand, Alexander/ Robel, Stefan: Internationale Beziehungen: Aktuelle Forschungsfelder, Wissensorganisation und Berufsorientierung, S.339-340.
[12] Vgl. Mappes-Niediek, Norbert (2013): Kein meisterliches Abkommen, Deutschlandfunk.
[13] Vgl. Schimmelfennig,Frank/ Sedelmeier, Ulrich (2004): Governance by conditionality: EU rule transfer to the candidate countries of Central Eastern Europe, Journal of European Public Policy 11:4, S.672.
[14] Moravscik, Andrew (1997): Taking Preferences Seriously, A Liberal Theory of International Politics, in: Internatinal Organization 51, S.523.
[15] Ebd. S.513.
[16] Vgl. ebd. S.517.
[17] Vgl. Moravscik, Andrew (2012): The New Liberalism, in: The Oxford Handbook of International Relations, Reus-Smit, Christian/ Snidal, Duncan (Hrsg.), Oxford University Press, USA, S.236.
[18] Moravscik, Andrew (1997): s.o., S.517.
[19] Vgl. Moravscik, Andrew (2001): Liberal International Relations Theory: A Social Scientific Assessment, Paper No. 01-02, S.6.
[20] Moravscik, Andrew (1997): s.o., S.518.
[21] Vgl. Moravscik, Andrew (1997): s.o., S.517-518.
[22] Vgl. Moravscik, Andrew (2001): s.o., ebd.
[23] Vgl. Moravscik, Andrew (2012): s.o., S.239.
[24] Vgl. Moravscik, Andrew (1997): s.o., S.523.
[25] Vgl. ebd. S.521-522.
[26] Vgl. ebd. S.517.
[27] Vgl. ebd. S.528.
[28] Ebd. S.524.
[29] Ebd. S.528.
[30] Ebd. S.529.
[31] Vgl. Moravcsik, Andrew (1997): s.o., S.518.
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