Die Entstehung der Republik Kroatien 1990/91
1. Der Weg zu den ersten freien Wahlen
1.1. Die Auseinandersetzung zwischen Serbien und Slowenien Ende der Achtziger Jahre
Am 17. Januar 1989 beschloß das slowenische Zentralkomitee die Abschaffung des kommunistischen Machtmonopols und die Einführung eines Mehrparteiensystems in Slowenien. Diese Entscheidung war das Ergebnis einer schleichenden Ablehnung des serbisch dominierten, totalitären jugoslawischen Staates in Slowenien. Diese Ablehnung wurde durch die Abschaffung der Autonomie des Kosovo und der Vojvodina und der damit verbundenen brutalen Unterdrückung der albanischen Bevölkerung im Kosovo durch die serbische Administration gestärkt. Im wirtschaftlich starken Slowenien war man nicht bereit, diese Politik länger zu unterstützen und zu subventionieren. Die neue Führung der slowenischen kommunistischen Partei unter dem 1986 zum Vorsitzenden gewählten Milan Kučan setzte sich daher für die Umwandlung Jugoslawiens in eine dezentralisierte Konföderation weitgehend selbständiger Staaten ein.[1] Kučan bezeichnete Demokratie und Pluralismus als Existenzgrundlagen für Jugoslawien. Entweder entscheide sich Jugoslawien für Demokratie und Pluralismus, oder es werde aufhören zu existieren, stellte er auf einer Sitzung des Zentralkomitees des SKJ im Februar 1989 fest. Die Kommunistische Partei müsse „eine Partei Gleichgesinnter, offen für jedwede politische Konkurrenz“ werden und dürfe nicht „nur eine einzige Wahrheit“ vertreten.[2] Von Slobodan Milošević wurde diese Position energisch bekämpft.
Aus der serbischen Verfassungsänderung vom März 1989, welche die Autonomie des Kosovo und der Vojvodina faktisch abschaffte, was der geltenden jugoslawischen Verfassung widersprach, leitete die slowenische Führung unter Kučan das Recht ab, ihrerseits die slowenische Verfassung zu ändern. So beschloß das slowenische Parlament in Ljubljana am 27. September 1989 unter anderem eine Verfassungsergänzung, welches die alleinige Zuständigkeit Sloweniens für die Verhängung des Ausnahmezustandes in der Teilrepublik dokumentierte.[3] Des weiteren legte das Parlament das Recht Sloweniens auf Selbstbestimmung fest, was auch die Möglichkeit eines Austritts aus dem jugoslawischen Staate einschloß – ein Gedanke, der bislang offiziell nicht geäußert wurde. Diese Verfassungsergänzung, welche vom jugoslawischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde, führte in Serbien zu zahlreichen Protesten. Die serbische Führung unter Milošević plante für den 1. November 1989 eine Massendemonstration im Zentrum von Ljubljana, ähnlich den Inszenierungen in Serbien bezüglich der Kosovo-Frage.[4] Aus Angst vor Ausschreitungen verbot die slowenische Führung jedoch diese Veranstaltung, was von Serbien mit dem Abbruch aller Beziehungen zu Slowenien und einer Wirtschaftsblockade beantwortet wurde. Milošević benutzte die Auseinandersetzung, um seinen bisher auf das serbische Territorium beschränkten Konfrontationskurs auszuweiten. Die slowenische Führung bezeichnete er als „Hüter des Konservatismus in Jugoslawien“, die sich den „Kräften des Fortschritts in Jugoslawien“, den „fortschrittlichen ökonomischen und politischen Veränderungen in Serbien“ widersetze.[5]
Die politischen Auseinandersetzungen zwischen Serbien und Slowenien belasteten auch den inneren Zustand des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens und führten schließlich zu dessen Ende. Am 20. Januar 1990 – in den übrigen ostmittel- und südosteuropäischen Staaten brachen die kommunistischen Regime reihenweise zusammen – wurde der 14. außerordentliche Kongreß des SKJ einberufen. Slowenien stellte eine Reihe von Vorschlägen zur Reformierung des jugoslawischen Staates vor. Freie Wahlen, die in Slowenien für das Frühjahr 1990 anberaumt waren, sollten auch auf Bundesebene stattfinden. Weiterhin sollte das Strafrecht reformiert, der „demokratische Zentralismus“ aufgegeben, der Konflikt im Kosovo auf demokratische Weise geregelt werden.
Die genannten Versuche, Jugoslawien zu demokratisieren, wurden vom Kongreß abgelehnt. Milošević lehnte vor allem die Bestrebungen zur Auflockerung der jugoslawischen Föderation ab und forderte stattdessen „eine starke Partei in einem starken Staat“.[6] Die slowenische Delegation verließ daraufhin den Saal und erklärte den Austritt der slowenischen Kommunisten aus dem SKJ. Der Versuch Miloševićs, den Kongreß ohne die slowenischen Delegierten fortzusetzen, scheiterte am Widerstand Kroatiens, Bosniens und Mazedoniens.
Der April 1990 brachte Slowenien die ersten freien Parlamentswahlen in der Geschichte Jugoslawiens. Das aus verschiedenen Parteien bestehende Oppositionsbündnis DEMOS (Demokratische Opposition Sloweniens) ging als klarer Sieger aus diesen Wahlen hervor, der Vorsitzende der Christdemokraten, Lojze Peterle, wurde slowenischer Ministerpräsident. Die Kommunisten, die unter dem Namen „Bund der Kommunisten Sloweniens – Partei der demokratischen Erneuerung“ antraten, erlitten mit nur 17 Prozent der Stimmen eine schwere Niederlage. Ihr Vorsitzender Milan Kučan setzte sich jedoch mit 55 Prozent der Stimmen gegen den Vorsitzenden der DEMOS, Jože Pučnik, bei der Wahl zum Präsidenten Sloweniens durch, was speziell als Würdigung der Verdienste Kučans um die Demokratisierung der Republik gewertet werden kann.[7]
Vor dem Hintergrund der eskalierenden Auseinandersetzung zwischen Serbien und Slowenien verlief die Entwicklung in der Teilrepublik Kroatien zunächst weniger spektakulär. In der kroatischen Öffentlichkeit wurde das Vorgehen Miloševićs gegen die Albaner im Kosovo kritisch-ablehnend beobachtet. Der Bund der Kommunisten Kroatiens (SKH) war in der Frage des Umganges mit Milošević gespalten. Ein Teil der Partei um Stipe Šuvar verhielt sich loyal gegenüber der Bundespartei, was Miloševićs Kurs stützte. Dieses Verhalten wurde von der Masse der serbischen SKH-Mitglieder sowie zahlreichen Funktionären geteilt.[8] Angesichts der aggressiven Politik der serbischen Führung im Kosovo und gegenüber Slowenien gewann jedoch der Flügel der gemäßigten Reformer unter Ivica Račan und Zdravko Tomac, die sich im serbisch-slowenischen Konflikt der Position Sloweniens – Reformierung des jugoslawischen Staates durch Bildung einer lockeren Konföderation und somit mehr Zentralisierung – annäherten, stark an Einfluß und setzte sich schließlich gegen die Milošević-Befürworter durch: am 13. Dezember 1989 wurde die SKH-Führung unter Šuvar putschartig gestürzt, Ivica Račan zum neuen Vorsitzenden gewählt und der Name der Partei – ähnlich wie in Slowenien – um den Zusatz „Partei der demokratischen Veränderung“ ergänzt.[9]
Ähnlich wie in Slowenien wurde auf dem SKH-Kongreß am 13. Dezember 1989 auch für Kroatien die Aufhebung des Einparteiensystems beschlossen. Freie Wahlen sollten im Frühjahr 1990 stattfinden. In der kroatischen Öffentlichkeit wurde diese Entwicklung begrüßt, wenn auch die Kommunisten hiervon nicht profitieren konnten – zu groß war die Skepsis und die Ablehnung gegenüber dem kommunistischen Regime geworden.[10]
1.2. Franjo Tuđman und die HDZ
Dr. Franjo Tuđman wurde am 14. Mai 1922 im nordkroatischen Veliko Trgovišće geboren. Seine Eltern waren Stjepan Tuđman und Justina, geb. Gmaz. Die Mutter starb bereits 1929, als Tuđman noch die Volksschule besuchte. Vater Stjepan Tuđman war ein einflußreiches Mitglied der Kroatischen Bauernpartei (HSS) und ein späterer Mitbegründer des „Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Kroatiens (ZAVNOH)“. 1946 kam er ums Leben; seine Todesursache ist bis heute nicht eindeutig geklärt, es wird aber vermutet, daß er wegen seiner Kritik an den neuen kommunistischen Machthabern von der Geheimpolizei der Sozialistischen Republik Kroatien liquidiert wurde.
Nach absolvierter Volksschule besuchte Franjo Tuđman von 1934 bis 1941 die Oberschule in Zagreb. Als Oberschüler engagierte er sich bereits in der nationalen demokratischen Bewegung und wurde deshalb 1940 inhaftiert.
Nach der Zerschlagung Jugoslawiens durch die deutsche Wehrmacht 1941 schloß sich Tuđman der antifaschistischen Partisanenbewegung um Tito an und beteiligte sich an der sozialen Revolution in Südwestkroatien. In der Partisanenbewegung gelang es ihm, bedeutende Positionen zu besetzen. So wurde er noch während des Krieges, Ende Januar 1945, als einer der kroatischen Vertreter in den Obersten Stab der Volksbefreiungsarmee (NOV) und der Jugoslawischen Partisanenverbände (POJ) geschickt. Danach arbeitete Tuđman in der Hauptverwaltung für Personalangelegenheiten des jugoslawischen Verteidigungsministeriums, im Generalstab der Jugoslawischen Volksarmee (JNA) und in der Redaktion der Militärenzyklopädie.
In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre begann Tuđman, sich wissenschaftlichen Studien zu widmen. Er veröffentlichte insgesamt mehr als 150 Abhandlungen und Artikel über die Geschichtswissenschaft, die Militärtheorie, die gegenwärtige nationale Geschichte sowie die Geschichtsphilosophie und über die internationalen Beziehungen. In Belgrad beendete er 1955 bis 1957 das Studium an der Militärischen Fachakademie. Ende 1960 wurde er zum General befördert, verließ jedoch auf eigenen Wunsch den Militärdienst, da er sich ganz der wissenschaftlichen und schriftstellerischen Arbeit widmen wollte. Er nahm an mehreren wissenschaftlichen Symbiosen in seiner Heimat und im Ausland teil und hielt Vorlesungen in der Tschechoslowakei, in Italien, Deutschland, Kanada und in den USA.
1961 gründete Tuđman in Zagreb das Institut für die Geschichte der Arbeiterbewegung und führte es als Direktor bis 1967. Aufgrund seiner Habilitation wurde er 1963 zum Professor ernannt und lehrte an der Fakultät für Politikwissenschaften der Zagreber Universität das Fach „Sozialistische Revolution und die gegenwärtige nationale Geschichte“. 1965 erlangte er den Doktorgrad in Geschichtswissenschaften mit seiner Dissertation „Die Gründe der Krise des monarchistischen Jugoslawien von der Vereinigung 1918 bis zum Zusammenbruch 1941“.
Er war Redaktionsmitglied der militärtheoretischen Zeitschrift „Vojno delo“ („Militärische Sache“), Schriftleiter und stellvertretender Hauptredakteur der „Vojna enciklopedija“ („Militärenzyklopädie“), Mitarbeiter und Schriftleiter der Enzyklopädien der Lexikographischen Anstalt „Miroslav Krleža“, verantwortlicher Hauptredakteur der Zeitschrift „Putovi revolucije“ („Wege der Revolution“), Mitglied des Redaktionsrates der Zeitschrift „Forum“ der Jugoslawischen Akademie der Wissenschaften und Kunst, Mitglied des Redaktionsrates der Zeitung „Hrvatski tjednik“ („Kroatische Wochenzeitung“) und Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Glasnik Hrvatske demokratske zajednice“ („Stimme der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft“).[12]
1962 wurde Franjo Tuđman Vorsitzender der Kommission für internationale Beziehungen des Hauptausschusses des Sozialistischen Bundes Kroatiens. Dieses Amt übte er bis 1967 aus. Von 1965 bis 1969 gehörte er dem Kulturrat des Parlamentes der Sozialistischen Republik Kroatien an und war zugleich Vorsitzender des Ausschusses für die wissenschaftliche Arbeit dieses Gremiums. Darüber hinaus engagierte er sich in der „Matica Hrvatska“,[13] deren Kommission für die kroatische Geschichte er zeitweilig führte. 1970 wurde Tuđman Mitglied des kroatischen Schriftstellerverbandes, 1987 Mitglied des Kroatischen PEN-Zentrums.[14]
Durch seine wissenschaftliche Betätigung geriet Tuđman in das Visier der Administration des kommunistischen Jugoslawiens. Schon seine ersten veröffentlichten Texte aus dem Bereich der Militärdoktrin und der Geschichte der Eroberungs- und Befreiungskriege wurden zum Gegenstand der Kritik. Tuđmans Konzeption des bewaffneten Volkes und der territorialen Verteidigung auf der Grundlage des Standpunktes, daß jedes Volk seine eigene Streitmacht haben müsse, wurde wegen der angeblich nicht marxistischen und der nationalistischen Gedanken zurückgewiesen. Seine Weigerung, eine Kollektivschuld des kroatischen Volkes bezüglich der Verbrechen der Ustaša im NDH-Staat während des Zweiten Weltkrieges anzuerkennen, insbesondere aber sein Hinweis auf die Vergrößerung der Anzahl der Jasenovac-Opfer, führten zu seiner politischen und später auch strafrechtlichen Verfolgung. 1967 wurde Tuđman aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Er mußte seine Lehrtätigkeit aufgeben und wurde mit 45 Jahren in Rente geschickt, womit seine weitere öffentliche Tätigkeit verhindert werden sollte.
Als 1972 die Verfolgung kroatischer Dissidenten begann, wurde auch Franjo Tuđman festgenommen. Ihm wurden Beziehungen zu nationalistischen Organisationen kroatischer Emigranten im Ausland vorgeworfen, welche den Vielvölkerstaat Jugoslawien in Frage stellten. Eine drohende mehrjährige Gefängnisstrafe konnte Dank der Fürsprache von Miroslav Krleža bei Tito auf zwei Jahre begrenzt werden. Später wurde dieses Strafmaß nochmals, auf neun Monate, reduziert.
Im Februar 1981 wurde Tuđman mit der Begründung, er hätte in Interviews mit schwedischen und deutschen Fernsehsendern sowie dem französischen Radio seine geschichtspolitischen Ansichten geäußert und zu Gunsten einer parlamentarischen Demokratie gesprochen, erneut zu drei Jahren Gefängnis verurteilt und mit einem Verbot jeglicher öffentlicher Tätigkeit für eine Dauer von fünf Jahren belegt. Ebenso wurde ihm für fünf Jahre verboten, westlichen Radio- und Fernsehagenturen Interviews zu geben. Tuđman verbüßte seine Strafe zunächst in der Zeit von Januar 1982 bis Februar 1983 im Gefängnis von Lepoglava und wurde dann aus gesundheitlichen Gründen entlassen. Im Mai 1984 wurde er zur Verbüßung seiner Reststrafe erneut ins Gefängnis eingewiesen, bereits im September des gleichen Jahres jedoch wegen der Verschlechterung seines Gesundheitszustandes auf Bewährung entlassen.
Nachdem er 1987 seinen Reisepaß zurückbekommen hatte, reiste Tuđman nach Kanada und in die USA, wo er Vorträge über die kroatische Nationalbewegung hielt. Diese Vorträge setzte er in Westeuropa fort.
Am 17. Juni 1989 gründete Tuđman u.a. mit dem heutigen kroatischen Präsidenten Stipe Mesić und Josip Manolić die „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ). Eine derartige Parteigründung, die zu Lebzeiten Titos völlig undenkbar gewesen wäre und noch im März 1989 vom jugoslawischen Staatspräsidium für verfassungswidrig erklärt wurde[15], wurde schließlich möglich, da sich die jugoslawische Führung ab Mitte 1989 stärker als bisher um die Integration nach Europa bemühte.[16] Die Neugründungen von Parteien wurden daher nunmehr von offizieller Seite kaum noch behindert. Allerdings hatte diese Parteien nicht das Recht, sich offiziell registrieren zu lassen und hatten somit keine Möglichkeit, öffentlich um Mitglieder zu werben, eigene Bankkonten einzurichten oder Parteizeitungen herauszugeben.[17]
Die HDZ wurde als eine nationale Bewegung geschaffen, verstand sich als Gegenpol und Opposition zur herrschenden Kommunistischen Partei und war stark zentralistisch organisiert. Ziel der Bewegung war die „Wiedergewinnung der kroatischen Souveränität“.[18] Die Vorstellungen hierbei reichten von der Umwandlung des serbisch dominierten Jugoslawiens in eine lockere Konföderation weitestgehend unabhängiger Staaten bis hin zur völligen Schaffung eines gänzlich unabhängigen, souveränen kroatischen Staates.
Franjo Tuđman wurde zum Vorsitzenden der HDZ gewählt. Er nutzte seine in den vergangenen Jahren im Rahmen seiner Reisen durch Nordamerika und Westeuropa gewonnenen Kontakte und Beziehungen zu patriotisch gesinnten Auslandskroaten, die ihrerseits in ihren Aufenthaltsländern politisch organisiert waren, die ein großes Interesse an der Installation einer nationalen Bewegung in Kroatien hatten und in der Lage waren, eine solche Bewegung auch finanziell zu unterstützen.[19]
Gemeinsam mit den anderen neu gegründeten oppositionellen Bewegungen sprach sich die HDZ nachdrücklich für die Einführung des Mehrparteiensystems und die Durchführung freier Wahlen in Kroatien aus.
1.3. Die Einführung des Mehrparteiensystems und die ersten freien Wahlen in Kroatien
Anders als in Ungarn, Bulgarien, aber auch Slowenien, trat die kommunistische Führung in Kroatien nicht als aktiver Wegbereiter des Mehrparteiensystems auf. Der Bund der Kommunisten Kroatiens (SKH) hatte sich zwar im Zuge des Kurses der Annäherung an Europa für mehr Demokratie und Menschenrechte, politischen Pluralismus, Rechtsstaat und Marktwirtschaft eingesetzt, während in der serbischen Führung unter Slobodan Milošević großserbische, nationalistische Töne angeschlagen wurden.[20] Es herrschte jedoch eine Abneigung gegen einschneidende Reformen, was eine im Dezember 1989 durchgeführte Umfrage unter den kroatischen Parteimitgliedern belegte. Hierbei lehnten 81 Prozent der Befragten das Mehrparteiensystem ab.
Stattdessen engagierten sich kleine, aber einflussreiche gesellschaftliche Gruppen, Künstler und Intellektuelle für Pluralismus und Demokratie. Als erste Gruppierung dieser Art gründete der Verleger Slavko Goldstein 1988 eine sozialliberale Untergruppe innerhalb des SKH. Diese Gruppierung nannte sich „Hrvatski socijalno liberalni savez“ („Kroatischer Sozialliberaler Bund“) und war die Vorläuferorganisation der Kroatischen Sozialliberalen Partei (HSLS), welche am 20. Mai 1989 als erste Partei neben der Kommunistischen Partei gegründet wurde.[21] Kurze Zeit später, am 17. Juni 1989, wurde die bereits beschriebene Gründung der HDZ durch die Gruppe um Tuđman, Mesić und Manolić vollzogen.
Am 4. November 1989 wurde die Kroatische Demokratische Partei (HDS) unter Vladimir Veselica gegründet. Ebenfalls noch 1989, am 20. November, wurde die Kroatische Bauernpartei (HSS) von Drago Stipac wiedergegründet. Im Königreich Jugoslawien, zwischen den beiden Weltkriegen, war die HSS die größte und wichtigste Partei Kroatiens.[22]
Am 13. Dezember 1989 beschloß die Kommunistische Partei Kroatiens auf einem Sonderparteitag die Aufhebung des Einparteiensystems. Durch die Europapolitik der jugoslawischen Führung, die Entwicklung in der Nachbarrepublik Slowenien[23] und die gesellschaftliche Entwicklung im Lande selbst gelähmt, blieb der Partei nur dieser Schritt übrig. Mit der nunmehr offiziellen Legalisierung der ohnehin schon bestehenden Verhältnisse versuchten die Kommunisten, sich als „Reformer“ zu profilieren.
Der sich in dieser Zeit zuspitzende Konflikt mit Serbien führte schließlich zum offenen Bruch mit dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens (SKJ). Nachdem in der Sitzung des Außerordentlichen Gesamtjugoslawischen Kongresses am 14. Januar 1990 die Durchsetzung weitgehender demokratischer Reformen auf Bundesebene am serbischen Widerstand gescheitert war, trat der SKH im Februar 1990, zeitgleich mit der slowenischen Kommunistischen Partei, aus dem SKJ aus.[24]
Weitere wichtige Parteien, die bis Mai 1990 gegründet wurden, waren: die regionale Istrische Demokratische Versammlung (IDS), die Kroatische Partei des Rechts (HSP; hierbei handelte es sich um eine Wiedergründung der 1861 von Ante Starčević und Eugen Kvaternik gegründeten gleichnamigen Partei [25]), die Mitteleuropäische Aktion (SEA), der Primorje-Gorski-Kotar-Bund (PGS) als weitere Regionalpartei, die Kroatische Republikanische Partei (HRS) und die Kroatische Christdemokratische Union (HKDU) und die Sozialdemokratische Partei Kroatiens (SDP).[26]
Am 22. April und am 6. Mai 1990 fanden in Kroatien die ersten freien Wahlen seit dem Ende des II. Weltkrieges statt. Diese Wahlen wurden auf der Grundlage des reinen Mehrheitswahlrechtes[27] durchgeführt, welches das kommunistisch dominierte Parlament im Februar 1990 per Wahlgesetz eingeführt hatte. Die Wahl bestand aus zwei Wahlgängen. Im ersten Wahlgang war gewählt, wer die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhielt. In den Wahlkreisen, wo dies keinem Bewerber gelang, wurde ein zweiter Wahlgang durchgeführt, zu dem alle Bewerber mit mindestens sieben Prozent Stimmenanteil zugelassen wurden. Nunmehr reichte die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen aus, um gewählt zu werden.[28]
Die HDZ erreichte mit 196 von 356 Sitzen[29] und damit einem Anteil von 55,1 Prozent klar die absolute Mehrheit der Sitze in allen drei Kammern und konnte die neue Regierung bilden. Die reformierte Kommunistische Partei – sie trat mit dem Namen „Bund der Kommunisten Kroatiens – Partei der demokratischen Veränderung“ (SKH-SDP) an – erreichte 105 Sitze (29,5 Prozent) und bildete damit die größte Oppositionsfraktion. Drittstärkste Kraft wurde die aus HSLS, HDS, HKDU und SDP gebildete Listenverbindung „Koalition der nationalen Verständigung“, die mit dem gemeinsamen Spitzenkandidaten Miko Tripalo, einem der Protagonisten des „Kroatischen Frühlings“ Anfang der Siebziger Jahre, in den Wahlkampf zog.[30] Die Milošević-treue Serbische Demokratische Partei (SDS) erreichte fünf Sitze (1,4 Prozent).[31]
Das ausschlaggebende Wahlthema war nach der übereinstimmenden Bewertung verschiedener Kommentatoren nicht ein zu reformierendes Jugoslawien und somit der Übergang von der kommunistischen Herrschaft zur Demokratie, sondern die Frage der Unabhängigkeit Kroatiens.[32] Die HDZ, welche eine konsequente Lösung der kroatischen Frage verfolgte, profitierte von dieser Situation.
Nach diesem deutlichen Wahlsieg der HDZ wurde Franjo Tuđman am 30. Mai 1990 vom Parlament zum Vorsitzenden des kroatischen Staatspräsidiums gewählt. Weitere Mitglieder des Staatspräsidiums wurden Anton Vrdoljak (HDZ), Dalibor Brozović (HDZ) und Dušan Bilandžić (SDP).[33] Der HDZ-Mitbegründer Stipe Mesić wurde neuer kroatischer Ministerpräsident; Außenminister wurde Frane Golen, Petar Kriste übernahm das Amt des Verteidigungsministers.
[1] Ein Austritt aus dem jugoslawischen Staat und die Schaffung eines völlig unabhängigen Sloweniens stand zu diesem Zeitpunkt in der slowenischen Führung jedoch noch nicht zur Diskussion.
[2] Vgl. Svein Mønnesland: Land ohne Wiederkehr; Ex-Jugoslawien: Die Wurzeln des Krieges. Klagenfurt 1997, S. 326
[3] Vgl. Matthias Rüb: Jugoslawien unter Milošević, in: Dunja Melčić (Hg.) Der Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen. Opladen 1999, S. 338
[4] Vgl. Kap. 2.5.3
[5] Vgl. Allan Little, Laura Silber: Bruderkrieg. Der Kampf um Titos Erbe. Graz 1995, S. 34 ff.
[6] Vgl. Mønnesland: Land ohne Wiederkehr, S. 329
[7] Vgl. ebd., S. 330
[8] Vgl. Rüb: Jugoslawien unter Milošević, in: Melčić (Hg.) Der Jugoslawien-Krieg, S. 338
[9] Vgl. Mønnesland: Land ohne Wiederkehr, S. 331
[10] Vgl. Kap. 3.3
[11] Vgl. Franjo Tuđman: Povijesna sudba naroda: izabrani tekstovi. Zagreb 1996, S. 629. Grundlage für die Hinrichtung waren demnach Anweisungen und Beschlüsse des damaligen jugoslawischen Polizeizentrums in Belgrad für die Beseitigung aller tatsächlichen und möglichen ideologischen Gegner.
[12] Vgl. ebd., S. 630 f.
[13] Bezeichnung für die kroatische Stiftungsgesellschaft zur Förderung der Volkssprache, Literatur und Kultur
[14] „PEN“, in Anlehnung an engl. pen (Schreibfeder); Abkürzung für engl. poets (Lyriker), playwrights (Dramatiker), essayists (Essayisten), editors (Herausgeber), novelists (Romanschriftsteller). PEN-Club: Internationale Schriftstellervereinigung, gegründet 1921 von der englischen Schriftstellerin Catherine Amy Dawson-Scott (1865-1934)
[15] Vgl. Klaus Peter Zeitler: Deutschlands Rolle bei der völkerrechtlichen Anerkennung der Republik Kroatien unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Außenministers Genscher. Marburg 2000, S. 45
[16] Jugoslawien war seit dem Frühjahr 1989 spezieller Gast des Europarates, nachdem es fünf Konventionen akzeptiert hatte und erklärte, weitere 42 zu ratifizieren. Es liefen erfolgversprechende Aufnahmeverhandlungen mit der EFTA und – jedoch erst ab November 1989 – auch Assoziationsverhandlungen mit der EG sowie der OECD. Vgl. Jens Reuter: Jugoslawiens Stellung in Europa, in: Südosteuropa 6/1990, S. 351
[17] Vgl. Johann Georg Reißmüller: Der Krieg vor unserer Haustür. Hintergründe der kroatischen Tragödie. Stuttgart 1992, S. 110
[18] Vgl. Arno Weckbecker / Frank Hoffmeister: Die Entwicklung der politischen Parteien im ehemaligen Jugoslawien. München 1997, S. 143
[19] Vgl. Werner Weidenfeld: Kroatien, in: Werner Weidenfeld (Hg.): Demokratie und Marktwirtschaft in Europa. Bonn 1995, S. 306
[20] In der Auseinandersetzung innerhalb des SKJ, wo sich zu dieser Zeit die slowenische Position der Umwandlung Jugoslawiens in eine marktwirtschaftliche Demokratie einerseits und das serbische Beharren auf der sozialistischen Gesellschaftsordnung andererseits unversöhnlich gegenüberstanden, verhielt sich die kroatische Führung zunächst weitestgehend passiv. Man stand dem Standpunkt der slowenischen Kommunisten zwar näher, unterstützte jedoch nur halbherzig deren Forderungen.
[21] Vgl. Weckbecker / Hoffmeister: Parteien im ehemaligen Jugoslawien, S. 143
[22] Vgl. Kap. 2
[23] In Slowenien hatte die Kommunistische Partei bereits im Januar 1989 die Einführung des Parteienpluralismus in ihr Programm aufgenommen. Bis Ende des Jahres entstanden in Slowenien über 20 Parteien. Am 7. Dezember 1989 schlossen sich die nichtkommunistischen Parteien und Gruppen zum Oppositionsbündnis DEMOS zusammen.
[24] Vgl. Kap. 3.2.
[25] Vgl. ebd.
[26] Vgl. Hrvatska informacijsko-dokumentacijska referalna agencija (HIDRA): Političke stranke registrirane u Republici Hrvatskoj, URL: http://www.hidra.hr/stranke/501int4.htm (01.06.2005)
[27] Im Gegensatz zum Verhältniswahlrecht stehen im Mehrheitswahlrecht keine Parteien zur Wahl, sondern Kandidaten in Einerwahlkreisen. Beispiel: Großbritannien.
[28] Vgl. Ivan Grdešić: The Dynamics of the Croatian Electorate, in: Südosteuropa 5/1993, S. 289 ff.
[29] Das damalige Dreikammerparlament bestand aus der Komitatenkammer (116 Sitze), der Kammer der Vereinigten Arbeit (116 Sitze) und der Soziopolitischen Kammer (80 Sitze). Die übrigen 44 Sitze waren Vertretern der ethnischen Minderheiten vorbehalten.
[30] Vgl. Kap. 2
[31] Vgl. Weckbecker / Hoffmeister: Parteien im ehemaligen Jugoslawien, S. 14
[32] Vgl. Dunja Melčić: Nationalgefühl oder Machtkalkül?, in: Josip Furkeš / Karl-Heinz Schlarp (Hg.): Jugoslawien. Ein Staat zerfällt. Reinbek 1992
[33] Der Vorsitzende des Staatspräsidiums hatte zu dieser Zeit hauptsächlich repräsentative Aufgaben. Durch eine Verfassungsänderung im Juli 1990 wurde er zum Präsidenten der Republik. Die übrigen Mitglieder des Staatspräsidiums wurden von dort an zu stellvertretenden Ministerpräsidenten.
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