Die Kategorienlehre des Aristoteles unter besonderer Berücksichtigung der Substanz
Die Kategorienlehre des Aristoteles unter
besonderer Berücksichtigung der Substanz
Das zwölfte Buch der „Metaphysik“ setzt ein mit dem Hinweis, dass der Gegenstand der Betrachtung die Wesenheit/Substanz (ousía) ist, da die Frage nach ihren Ursachen und Prinzipien gestellt werden soll.
Der Begriff der ousía nimmt eine zentrale Stellung in der aristotelischen Metaphysik und Ontologie ein. Aristoteles räumt der ousia den Vorrang gegenüber allem anderen ein, da sie nach jeder Hinsicht und Bedeutung ein Erstes ist, nämlich sowohl dem Begriff als auch der Erkenntnis und der Zeit nach (Met. VII 1, 1028a30-33) und als solches zugleich das eigentlich Seiende und das am meisten Erkennbare ist. Bei dem Terminus handelt es sich im Griechischen um eine Nominalbildung von „sein“ (eínai) und lässt sich entsprechend mit „Seiendheit“ oder der Bedeutung nach mit „eigentlich Seiendes“ übersetzen. In der vorphilosophischen Verwendungsweise, in der bereits die Betonung auf das Bestandhabende, das Stabile einer Sache gelegt ist, bedeutete „ousía“ Landgut, Grundbesitz, Vermögen oder auch Anwesen. Der genuin philosophische Gebrauch des Begriffs, welcher auf Platon zurückzuführen ist, zielt auf das an sich und eigentlich Seiende, also auf die Idee bzw. das Wesen einer Sache, und meint damit das Ewige, Notwendige und Unveränderliche, im Unterschied zum bloßen Werden und Zufälligen. Um genauer verstehen zu können, was Wesenheit, Wesen, beziehungsweise Substanz[1] (lat. essentia, substantia), womit der Begriff ins Deutsche üblicherweise übersetzt wird, bedeutet, muss ein Rückbezug zu der Kategorienlehre des Aristoteles hergestellt werden. Diese entwickelt er in der „Topik“ und hauptsächlich in der gleichnamigen „Kategorienschrift“, welche nach der überlieferten Reihenfolge den Anfang des Organons bildet, also derjenigen Schriften, die sich mit der Logik als Werkzeug der Wissenschaften befassen.
Etymologisch entstammt der Begriff „katêgorein“ einem juridischen Sprachgebrauch und bedeutet ursprünglich „anklagen“, bzw. „jemanden etwas auf den Kopf zusagen“ oder „etwas mit Entschiedenheit behaupten“. Aristoteles entlehnt diesen Begriff und verwendet ihn um damit die höchsten Aussagenschemata bzw. die Grundmerkmale des Seienden zu bezeichnen. Die Kategorien sind allgemeine Aussageweisen im Sinne von obersten, d.h. grundlegenden Gattungsbegriffen, Grundbedeutungen des Seienden, unter denen sich alle anderen Begriffe subsumieren lassen. Mit diesen Aussagenschemata, bei denen es sich um logische Ausdrücke oder Prädikationsweisen handelt, wird ein Instrument bereitgestellt, durch welches sich alles Seiende klassifizieren lässt bzw. klassifizieren können lassen muss, insofern nämlich die Kategorien Heidegger zufolge „Bestimmungen [sind], die jedem Sein schon zugrunde liegen, die jedes Seiende sein muß, wenn es sein soll.“[2] Die zehn von Aristoteles aufgelisteten Kategorien, die gewissermaßen ein Inventar der gesamten Wirklichkeit darstellen, können als Prädikationsweisen bzw. auch als grundlegende und elementare Aussageformen angesehen werden, mit denen man etwas bezeichnen und aussagen kann. Die einzelnen Kategorien sind im vierten Kapitel der „Kategorien“ genannt und lauten im Einzelnen: (1) Substanz, (2) Quantität, (3) Qualität, (4) Relation, (5) Ort, (6) Zeit, (7) Lage, (8) Haben, (9) Wirken, (10) Erleiden. Die aufgezählten Kategorien werden nicht hergeleitet oder deduziert, so dass sich die Frage stellt warum genau diese Kategorien und nicht andere gewählt wurden? Aus welchem Grund werden in der „Kategorienschrift“ genau zehn genannt, aber an anderer Stelle nur drei, sechs oder acht? Zu welchem Zweck wurde diese Liste überhaupt erstellt? Weil sich in den aristotelischen Schriften auf diese Fragen keine definitiven Antworten finden lassen, kann der Anschein einer gewissen Willkür oder Beliebigkeit, die zur Auflistung der Kategorien geführt haben mag, entstehen.[3] Was sich zur Entwicklung und Bildung der einzelnen Kategorien zumindest sagen lässt, ist, dass diese Fragepronomen nachempfunden und anhand der verschiedenen Weisen gebildet sind, von etwas auszusagen, dass es „ist“. Alle Bestimmungen, die von einer Sache ausgesagt werden können, sind auf diese Kategorien zurückzuführen, wohingegen die Kategorien als oberste Gattungen der Aussageformen ihrerseits nicht aufeinander rückführbar sind. In gewisser Hinsicht sind die Kategorien daher aus der Logik des Urteils entwickelt, da sie elementare Ausdrücke darstellen und Bestandteile von Urteilen sind, die etwas bezeichnen. Entscheidend ist, dass die Kategorien, als elementare Ausdrücke, nicht zusammengesetzt sein können bzw. dass sie zu dem „nicht in einer Verknüpfung Ausgesagten“ (Cat. 4, 1b25) gehören. Deshalb lassen sich die Kategorien auch weder bejahen noch verneinen und sind können weder wahr noch falsch sein. Auch wenn sie elementare Bestandteile von Aussagen sind, gehören logische Ausdrücke („alle“, „keiner“), die Kopula („ist“) und die Junktoren („und“, „oder“) nicht zu den Kategorien.[4] Die Kategorien können einerseits in einem ontologischen Sinn als allgemeinste Gattungsbegriffe aufgefasst werden, womit die allgemeinsten Bestimmtheiten des Seienden selbst gemeint sind. Andererseits kann man sie aber auch in einem urteilslogischen Sinn als allgemeine Aussage- oder Prädikationsweisen verstehen, wodurch sie gleichermaßen Sprache und Wirklichkeit betreffen.
Die erste und wichtigste Kategorie ist die der Substanz oder Wesenheit (ousía). Im fünften Kapitel der „Kategorien“ wird die Substanz einer näheren Analyse unterzogen, in deren Verlauf die weitere Unterscheidung zwischen erster Substanz (proté ousía) und zweiter Substanz (deutera ousía) erfolgt. Die ersten Substanzen sind konkrete Einzeldinge, d.h. bestimmte Individuen (tode ti) wie Sokrates oder dieses Pferd, aber auch Pflanzen oder Artefakte und demnach numerisch eins und unteilbar. Erste Substanzen lassen sich nicht in ihre Bestandteile auflösen, ohne dass sie aufhören würden, erste Substanzen zu sein. Gleichwohl sie aufgrund der Bestimmung als Zugrundeliegendes für Gegensätze akzidenteller Art empfänglich sind, gibt es zu ihnen kein konträres Gegenteil. Substantiell sind sie unveränderlich und behalten ihre Identität, den Veränderungsprozessen, denen sie ausgesetzt sind, zum Trotz. Die zweiten, bzw. abgeleiteten Substanzen umfassen Arten (wie z.B. „Mensch“) und Gattungen (wie z.B. „Lebewesen“), sind also Allgemeinbegriffe (Universalien), zu denen die Einzeldinge gehören und mit deren Hilfe sich etwas über sie sagen lässt. Die zweiten Substanzen, welche zwischen den ersten Substanzen und den Akzidenzien stehen, sind nicht akzidentelle Eigenschaften, oder genauer: Wesensmerkmale, die das Wesen der ersten Substanzen angeben. Mit den Allgemeinbegriffen wird die Wesensaussage bzw. die Definition gebildet. Ihrer Natur nach, kommen die Allgemeinbegriffe mehreren Einzelwesen als Gemeinsames zu. So ist der Artbegriff „Mensch“, im Unterschied zu Eigennamen wie „Sokrates“, von allen Menschen aussagbar. Weil die Art spezifischer ist als die Gattung, steht diese den ersten Substanzen näher und ist in höherem Grad Substanz als diese. Die Gattung (genos) ist der übergeordnete Allgemeinbegriff als das Bestimmbare in einer Definition und wird von der Art ausgesagt. Die Art (eidos) ist der Gattung untergeordnete, von den Einzelwesen aussagbare Allgemeinbegriff als das Bestimmende in einer Definition. Die unterste Art (atomon eidos) ist nicht weiter teilbar, da das Einteilungsverfahren (dihairesis) keine, das Wesen betreffenden Unterscheidungen mehr zulässt. Über den artbildenden Unterschied werden die ersten Substanzen wesentlich bestimmt. Das, was die jeweilige erste Substanz ist, wird über die Angabe der Art mitgeteilt. Die zweite Substanz ist, insbesondere aus erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Sicht von Bedeutung, weil sie die erste Substanz „offenkundig macht“ (Cat. 5, 2b3-6), indem sie in einer Definition, den Wesensbegriff oder das wesentliche Wassein einer ersten Substanz angibt. Anders als die Akzidenzien inhärieren sie den ersten Substanzen aber nicht, und sind nicht untrennbar mit diesen verbunden. Die zweiten Substanzen existieren auch unabhängig von diesem bestimmten Einzelwesen, sind aber nicht generell von den Einzelwesen abgetrennt. Anders als Platon, der den Universalien eine ontologische Existenz und Unabhängigkeit zuspricht, geht Aristoteles davon aus, dass die Existenz der Universalien, die Existenz der Einzelwesen voraussetzt.
Die erste Substanz unterscheidet sich grundlegend von den neun anderen Kategorien, die zusammengenommen auch als Akzidenzien (symbebêkos) bezeichnet werden. Die Unterscheidung von Substanz und Akzidenz ergibt sich daraus, dass die Kategorie der ersten Substanz, als das zu Bestimmende, von den neun anderen Kategorien in der Aussage bestimmt wird. Die Akzidenzien können deshalb auch als Eigenschaften bezeichnet werden, mit denen eine Substanz näher beschrieben wird, wobei es sich bei den neun Akzidenzien allerdings um unselbstständige, nicht wesentliche bzw. nicht essentielle Eigenschaften handelt, die zu ihrer Existenz eines Zugrundeliegenden bedürfen, zu dem sie der lateinischen Wortbedeutung nach „hinzutreten“ (accedere). Dem Zugrundeliegenden kommt eine eigene, selbstständige Existenz zu, wohingegen die Akzidenzien nur „an“ oder „in“ anderem vorkommen können. Alle der ersten Substanz anhaftenden Bestimmungen, die nicht wesentlich oder notwendig sind, werden akzidentell genannt. Diese zufälligen Eigenschaften können in ihr Gegenteil umschlagen oder ganz wegfallen, ohne das die erste Substanz aufhörte Substanz zu sein. Die Substanz ist gekennzeichnet, durch die Konstanz, ihre Identität durch alle Veränderungen hindurch zu erhalten. Die Sonderstellung, die der Substanz innerhalb der Kategorien zukommt, besteht demnach darin, der Bezugspunkt, das Subjekt und das Zugrundeliegende bzw. Substrat (hypokéimenon) zu sein, auf dass sich die anderen Kategorien, die Akzidenzien, beziehen. Alles, was überhaupt ausgesagt werden kann, wird von einem Zugrundeliegenden, von einer Substanz ausgesagt. Entscheidend ist, dass die erste Substanz als Substrat, in welchem anderes enthalten ist, nie selbst in einem anderen Substrat enthalten sein und auch nie von einem anderen ausgesagt werden kann: „Substrat ist aber ist dasjenige, von dem das übrige ausgesagt wird, ohne daß es selbst wieder von einem anderen ausgesagt würde“ (Met. VII 3, 1028b35). Eine erste Substanz kann daher niemals an der Prädikatstelle stehen bzw. als Prädikat von etwas anderem auftreten. Aufgrund dessen ist die erste Substanz sowohl in ontologischer als auch in logisch-grammatischer Hinsicht der Ermöglichungsgrund dafür, dass überhaupt etwas gibt und dass etwas ausgesagt werden kann. Gäbe es keine ersten Substanzen, könnten die Akzidenzien nicht ausgesagt werden. Die Akzidenzien sind daher notwendigerweise auf das Vorhandensein einer Substanz angewiesen. Weil den ersten Substanzen diese seins-ermöglichende Funktion zukommt und weil sie den Bezugspunkt für alles andere Seiende darstellen, werden sie das eigentlich Seiende genannt. Die ersten Substanzen bestehen selbstständig und für sich, alle anderen Kategorien sind auf sie hin geordnet und erlangen nur durch den Bezug auf diese ihre Bedeutung. Um es zusammenzufassen: Erste Substanzen sind sowohl logisch-grammatische Subjekte, von denen etwas ausgesagt wird, als auch Substrate im ontologischen Sinn, denen als Träger von Eigenschaften, akzidentelle Bestimmungen zukommen oder nicht zukommen können. Eine erste Substanz kann weder in einem anderem Zugrundeliegenden sein, noch kann eine erste Substanz von etwas anderem ausgesagt werden - es kann nur von ihr selbst etwas ausgesagt werden. So kann man beispielsweise von Sokrates aussagen, dass er ein Mensch ist, aber das Prädikat „Sokrates-sein“ lässt sich etwas anderem nicht zusprechen. Vermutlich ist die Kategorienlehre als Reaktion auf Platons Ideenlehre und in kritischer Absetzung zu dieser entstanden. Indem nämlich Aristoteles das Individuum als das eigentlich Seiende auszeichnet, auf das sich alle anderen Eigenschaften beziehen müssen, wird der erhebliche Unterschied zur platonischen Konzeption deutlich, nach welcher nur die höchsten Gattungen des Denkens und die ewige und unveränderliche Idee als das Allgemeine, welche völlig getrennt von der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit existiert, als wirklich und eigentlich Seiendes gelten gelassen wird. Aristoteles räumt dagegen dem Individuum uneingeschränkten Vorrang vor dem Allgemeinen ein. Das Allgemeine kann nach Aristoteles ontologisch ohne sinnlich wahrnehmbares Einzelnes nicht existieren und bleibt auf es angewiesen.
In den „Kategorien“ liegt das Hauptaugenmerk auf dem Subjekt/Substratcharakter der Substanz, einhergehend mit der Bestimmung der ersten Substanz als bestimmtes Einzelwesen. In den wahrscheinlich später entstandenen Schriften, die heute als „Metaphysik“ überliefert sind, entwickelt Aristoteles, insbesondere in Met. VII, VIII und IX (Ζ, Η, Θ), den sogenannten Substanzbüchern, eine weitere Konzeption der Substanz, die allerdings keinen Bruch zur Substanzlehre von Cat. 5, sondern vielmehr eine differenzierte Weiterentwicklung und Modifikation dieses Ansatzes darstellt.[5] Hierbei wird das Moment der begrifflichen und ontologischen Bestimmtheit und Abgegrenztheit (chôriston) in den Mittelpunkt gerückt, woraus sich die Substanz als primärer Gegenstand des Erkennens und Definierens ergibt[6]. Aristoteles fragt in „Metaphysik“ in einer, im Verhältnis zu den „Kategorien“, vertieften Analyse danach, woraus das Zugrundeliegende besteht bzw. was die Substanzialität der Substanz ausmacht, wodurch der Substanzbegriff in der „Metaphysik“ eine Erweiterung erfährt. In der „Metaphysik“ stehen daher für Aristoteles weniger die Akzidenzien und deren Verhältnis zur Substanz im Vordergrund, sondern vielmehr das, was die Substanz als solche ausmacht, wodurch ihre Identität gekennzeichnet ist. Aus diesem Grund wird auch die Unterscheidung von ersten und zweiten Substanzen, der innerhalb der „Kategorien“ eine tragende Rolle zukommt, in der „Metaphysik“ und anderen, späteren Werken nicht mehr hervorgehoben oder findet zumindest keine direkte Erwähnung mehr.
In Buch IV der „Metaphysik“ wird die Substanz als Untersuchungsgegenstand eingeführt. Im Anschluss an eine allgemeine Bestimmung der ersten Philosophie als Wissenschaft vom Seienden als Seienden, wird festgestellt, dass das Seiende (to on) auf mehrfache Weise ausgesagt wird, da es nicht nur eine, sondern mehrere Bedeutungen hat, und dies nicht im Sinne der bloßen Namensgleichheit. Diese verschiedenen Aussageweisen stehen allerdings in einem systematischen Zusammenhang und befinden sich in einem hierarchischen Ordnungsgefüge, da nämlich die unterschiedlichen Bedeutungen auf eines, im Sinne der pros hen-Relation (im Hinblick auf eines), ausgerichtet sind. Dieses eine ist die Substanz, welche als das vorrangig und primär Seiende gekennzeichnet wird, insofern alles andere nur deshalb seiend genannt werden kann, weil es von der Substanz „entweder eine Quantität oder eine Qualität oder eine Affektion oder etwa anderes der Art ist.“ (Met. VII 1, 1028a18-20) Die Wissenschaft vom Seienden als Seienden muss sich daher in erster Linie auf die Substanz richten, da diese das primär Seiende ist, vom dem alles andere abhängt. Wenn die erste Philosophie nach den ersten Ursachen und Prinzipien fragt und die Substanz die Ursache für alles andere ist, dann müssen auch konsequenterweise ihre Ursachen untersucht werden. In Met. V 8 werden einige Merkmale bzw. Eigenschaften aufgezählt, die auftreten, wenn von einer Substanz die Rede ist. Aristoteles teilt in diesem Zusammenhang den Substanzbegriff in zwei Grundbedeutungen ein, die für den weiteren Verlauf der Untersuchung von entscheidender Bedeutung sind. Substanz wird erstens als Zugrundeliegendes, als Substrat bestimmt, weshalb jedes einzelne Seiende, bzw. konkrete, materielle und natürliche Ding in diesem Sinne Substanz sein kann: „Wesenheit heißen die einfachen Körper, z.B. Erde, Feuer, Wasser und was dergleichen mehr ist, und überhaupt die Körper und die aus ihnen bestehenden lebenden Wesen und die göttlichen Dinge, die Himmelskörper, und ihre Teile. Alles dies heißt Wesenheit, weil es nicht von einem Substrat ausgesagt wird, sondern vielmehr das andere von ihm.“ (Met. V 8, 1017b14) Die Bestimmung der Substanz als Träger bzw. Substrat deckt sich mit derjenigen, die in den „Kategorien“ von der ersten Substanz gegeben wird. Dieser bereits bekannten Bedeutung wird nun allerdings eine weitere gegenübergestellt: „In einer andern Weise heißt Wesenheit, was immanent in solchen Dingen, welche nicht von einem Substrat ausgesagt werden, wie z.B. die Seele in dem Tiere, Ursache des Seins für dieselben ist.“ (Met. V 8, 1017b14-17) In dieser zweiten Bedeutung wird dasjenige als Substanz bestimmt, was als Ursache für das Sein der Substanz auftritt und als Beispiel für eine solche Ursache wird die Weise, wie die Seele in einem Lebewesen ist, genannt. Substanz in diesem Sinne ist als die immanente Ursache eines Zugrundeliegenden verstanden, d.h. die Ursache für dessen Substanzialität, also dafür, dass es ein selbstständiges Seiendes ist. Substanz wird drittens als der konstitutive Bestandteil eines Ganzen gefasst. Gemeint sind die Teile, die dem Einzelwesen notwendig, nicht nur akzidentell zukommen. In einem vierten Sinn wird Substanz als Wesen, Wesenswas oder Essenz (tò tí ên eînai) verstanden, das „Was-es-war-zu-Sein“ eines Zugrundeliegenden. In einer Zusammenfassung führt Aristoteles schließlich diese vier Bestimmungen zu zwei Hauptbedeutungen zusammen:
„Es ergibt sich also, daß man Wesenheit in zwei Bedeutungen gebraucht, (a) einmal als das letzte Substrat, das nicht weiter von einem anderen ausgesagt wird (hypokéimenon), (b) dann als dasjenige, welches ein bestimmtes Seiendes und selbstständig ist (todé tí); solcherlei aber ist eines jeden Dinges Gestalt (morphe) und Form (eidos). (Met. V 8, 1017b 23-26)“
In der zweiten Bedeutung tritt die Substanz in einem relationalen Verhältnis auf, als Wesen bzw. Essenz von etwas. Diese Bedeutung richtet sich auf den Umstand, dass die Substanz ontologisch etwas Abgetrenntes ist, was sie zu einem erkennbaren, identifizierbaren Etwas macht. Wohingegen die Substanz in der erstgenannten Bedeutung in absoluter, nicht-relationaler Hinsicht fungiert und in diesem Fall auch den Plural (ousiai) annehmen kann.[7] An der zitierten Stelle kündigt sich bereits die Auffassung an, welche ausführlich in Metaphysik VII diskutiert wird, nämlich dass die Substanz Ursache ist und inwieweit die artbildende Form als Ursache für das Sein des einzelnen Seienden in Frage kommt.
Diese Bedeutungen aufgreifend und an sie anknüpfend werden im dritten Kapitel von Buch VII wiederum vier Bedeutungen der Substanz aufgezählt, nämlich als Wesenswas (tò tí ên eînai), als Allgemeines, als Gattung oder als Substrat (hypokeímenon). Im weiteren Verlauf werden im Einzelnen diese vier Bedeutungen als Kriterien bzw. Bedingungen untersucht, die erfüllt sein müssen, damit etwas als Substanz bezeichnet werden kann. Im Zuge dessen wird sowohl das Allgemeine, als auch die Gattung, als Kriterien verworfen. In Met. VII 13 bestreitet Aristoteles, dass das Allgemeine Substanz sein kann und revidiert somit einen Aspekt seiner frühen Ontologie der „Kategorien“[8], nach welcher die Arten und Gattungen zweite Substanzen waren. Weil Gattungen notwendigerweise allgemein sein müssen, sind diese von dem Ausschluss ebenfalls betroffen. Begründet wird diese Auffassung unter anderem damit, dass zum einen die Substanz eines jeden Einzelnen, diesem eigentümlich ist, wohingegen das Allgemeine immer mehreren gemeinsam ist und zum anderen weil das Allgemeine, im Unterschied zur Substanz, von einem Substrat ausgesagt werden kann. Aufgrund dieser „Entsubstantialisierung der Universalien“[9] vergrößert sich die Differenz zur platonischen Ideenlehre, für die das Allgemeine sowohl in erkenntnistheoretischer als auch in ontologischer Hinsicht das eigentlich Seiende ist.
Somit verbleiben einerseits das Substrat-Kriterium, woran die weitere Bedingung geknüpft ist, ob das Einzelding selbstständig existieren kann bzw. unabhängig von Anderem (chôriston) ist und andererseits das Wesens-Kriterium, mit welchem sich die Definierbarkeit und damit auch Erkennbarkeit (horismos) von etwas verbindet. Dabei geht es um das wesentliche Was einer Sache, die Washeit, bzw. um dasjenige worauf eine Definition abzielt oder die charakteristische Seinsweise einer bestimmten Art. Das wesentliche Was von Sokrates, seine Wesensform, ist sein allgemeines Menschsein, das seine bleibende und notwendige Identität bildet, solange er selbst existiert. Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach dem wesentlichen, prägenden, substanzialitätsstiftenden Moment der Substanz gestellt; danach, was die Substanz zur Substanz macht. Im Rahmen seiner Lehre vom Hylemorphismus, welcher eine grundlegende Bedeutung für die Substanztheorie der „Metaphysik“ zukommt, bestehen die sinnlich wahrnehmbaren Einzeldinge aus zwei Momenten bzw. Prinzipien: zum einen aus Materie (hýlê) und zum anderen aus Form (morphe, eidos). Wichtig ist, dass die beiden Substanzmomente nicht selbstständig existenzfähig sind, d.h. dass Materie und Form nur gedanklich, nicht sachlich voneinander getrennt werden können. Neben diesen beiden Momenten zieht Aristoteles als dritten Kandidaten für die Substanz im eigentlichen, primären Sinne das aus beiden Konstituentien zusammengesetzte Einzelding, das konkrete Ganze (synholon) in Betracht. Diese drei Kandidaten werden in Buch VII daraufhin untersucht, ob und wie sie die beiden Kriterien der Substanz erfüllen.
Zunächst wird die Materie, bzw. der Stoff als Gegenbegriff zur Form in Erwägung gezogen. Die Materie ist das Zugrundeliegende, was von der Form bestimmt wird, was von einer Form geprägt wird und ist als solche völlig unbestimmt. Da die Materie aber immer ein Moment eines aus Form und Materie Zusammengesetzten ist, kann sie nicht getrennt bestehen, d.h. als solche kann sie nicht in Erscheinung treten. Da die Materie das völlig Unbestimmte ist, ist sie aktuell überhaupt nichts, weshalb sie nur der Möglichkeit nach ein bestimmtes Etwas ist (Met. VIII 1, 1042a27) und somit nicht das geforderte Selbstständigkeitskriterium für das Zugrundeliegende erfüllt. Sie fällt deshalb auch unter keine Kategorie und kann auch von keiner Kategorie erfasst werden, weshalb sich die Materie auch als trans-, oder subkategoriales Indefinitum bezeichnet lässt. Weil die Materie „an sich unerkennbar“ (Met. VII 10, 1036a8) ist, kann sie sich auch nicht definiert oder bestimmt werden (Met. VII 11, 1037a27) und verfehlt deshalb außerdem das Wesens-Kriterium. Obwohl die Materie das Zugrundeliegende der Veränderung ist, kommt sie als Substanz im eigentlichen Sinn nicht in Betracht, da ihr sowohl Selbstständigkeit, als auch Bestimmtheit fehlen und sie somit nur dem Schein und der Möglichkeit nach Substanz ist. Das aus Materie und Form Zusammengesetze (synholon) kann als Substanz im primären Sinn ebenfalls nicht in Frage kommen: Da die Frage danach gestellt ist, was ein bestimmtes Einzelding substanziell ausmacht, kann etwas, das zusammengesetzt ist und aus zwei Momenten besteht, nicht das schlechthin zugrunde liegende sein, da diesem als Zusammengesetzten schließlich etwas vorangehen muss. Als letzter verbleibender Kandidat für das substanzialitätsstiftende einer Sache steht das eidos zur Diskussion, welches auch tatsächlich als das eigentlich Seiende in Met. VII erwiesen wird. Aristoteles verwendet den Begriff in zweifacher Hinsicht. Zum einen bezeichnet „eidos“ die Art/Spezies und zum anderen die Form, wobei in dieser Bedeutung auch der Begriff „morphe“ Verwendung findet. Wird eidos als Art verwendet, dann handelt es sich um einen Allgemeinbegriff. Eine Definition erfolgt durch die Angabe der nächsthöheren Gattung und der spezifischen Differenz, dem artbildenden Unterschied. Dadurch wird das Individuum, als solches unbestimmt, der Wissenschaft zugänglich gemacht. Wie bereits erläutert, wird in Met. VII 13 ausgeschlossen, dass das Allgemeine Substanz sein kann. In der zweiten Verwendungsweise tritt das eidos als substantielle Form, als Formursache auf. Diese Form meint allerdings nicht den sichtbaren Umriss oder die Gestalt einer Sache, sondern zielt vielmehr auf die innere Struktur von etwas ab. Als das gestaltende, die unbestimmte Materie prägende Moment ist die Wesensform für die wesentliche Bestimmtheit einer Sache verantwortlich. Die Wesensform gibt für das Individuum das an, was es an sich ist, und bildet somit den Gegenstand, der in einer Definition erfasst wird. Die Einzeldinge sind nur über ihre Wesensform, welche ursprünglicher als das Einzelding ist, wissenschaftlicher Untersuchung zugänglich. Während die aus Materie und Form zusammengesetzten Einzeldinge dem Entstehen und Vergehen unterliegen, stellt die Wesensform einen konstanten, unteilbaren und immer gleich bleibenden Faktor dar (Met. VIII 3). Das eidos wird zur Substanz im ursprünglichen und eigentlichen Sinne erklärt, sowohl als Art in Bezug auf die Einzeldinge als auch als Form hinsichtlich der Substanzmomente der Einzeldinge, weil das eidos aus sich selbst heraus die Substanz bestimmt und als Ursache dafür dient, dass eine Substanz selbstständig sein und abgegrenzt vorkommen kann.[10] Da allerdings die Form, zumindest in Bezug auf die sinnlich wahrnehmbaren Einzelwesen, ebenso wenig wie die Materie, abgetrennt vorkommen kann, ist diese nicht absolut bzw. an sich, sondern nur der Definition nach selbstständig, d.h., dass die Form nicht ontologisch, sondern dem Begriff nach abgetrennt ist. Die Wesensform kann dementsprechend nicht außerhalb des Einzeldings vorkommen (Met. Z 11, 1037a29), sie ist diesem wesentlich immanent, was nicht mit einer akzidentellen Inhärenz gleichgesetzt werden kann. Trennen lässt sich die Form von der konkreten Substanz nur gedanklich.
[1] Problematisch ist die Übersetzung von „ousia“ mit dem Begriff „Substanz“ insofern, als dass dieser zum einen in der modernen Philosophie ausschließlich in Bezug auf Einzeldinge gebraucht wird, während „ousia“ in der aristotelischen Philosophie eine differenzierte Anwendung erfährt – was hier ansatzweise gezeigt werden soll – und zum anderen weil durch den Begriff lediglich zum Ausdruck gebracht wird, dass etwas zugrunde liegt, wobei der für die „ousia“ wichtige Bezug zum Sein unberücksichtigt bleibt.
[2] Heidegger, Martin, Die Grundbegriffe der antiken Philosophie, Frankfurt 1993, S. 298.
[3] Dementsprechend äußert sich auch Kant, der eine deduktive Ableitung der Kategorien aus einem Prinzip vermisst, hinsichtlich der Auswahl: „Es war ein eines scharfsinnigen Mannes würdiger Anschlag des Aristoteles, diese Grundbegriffe aufzusuchen. Da er aber kein Prinzipium hatte, so raffte er sie auf, wie sie ihm aufstießen, und trieb deren zuerst zehn auf, die er Kategorien (Prädikamente) nannte. In der Folge glaubte er, noch ihrer fünfe aufgefunden zu haben, die er unter dem Namen Postprädikamente hinzufügte. Allein seine Tafel blieb noch immer mangelhaft.“ in: Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft, A81/B107, zitiert nach: Zekl, Hans Günther (Hrsg.) Aristoteles, Organon, Bd. 2. Kategorien [u.a], Hamburg 1998, S. XV.
[4] Vgl. Höffe, Otfried, Aristoteles, München 1996, S. 171.
[5] Wie genau sich die Ontologie der „Kategorien“ zu derjenigen der „Metaphysik“ verhält und ob überhaupt eine konsistente Substanztheorie vorliegt, ist äußerst umstritten: Neben einer häufig vertretenen, auf P. Aubenque zurückgehenden, aporetischen Auffassung, bestehen wenigstens drei prinzipiell voneinander verschiedene Sichtweisen. Das Hauptproblem besteht darin, dass die Substanz nach Aristoteles weder allgemein noch individuell sein kann. Nach Met. VII 13 kann kein Allgemeines ousia sein; das Individuelle, Einzelne ist dagegen als solches nicht erkennbar. Da sich das eidos bzw. Form in Met. VII als Substanz erweist, dieses aber im Rahmen der Definitionslehre etwas Allgemeines sein muss, gleichzeitig aber nichts Allgemeines Substanz sein kann, ergeben sich Interpretationsprobleme, die bis heute Gegenstand kontroverser Forschungsdebatten sind.
[6] Vgl. „Ousia“ in: Höffe, Otfried (Hrsg.), Aristoteles-Lexikon, Stuttgart 2005, S. 411.
[7] Vgl. ebd., S. 410.
[8] Auch diesbezüglich gehen die Meinungen auseinander. Man kann beispielsweise der Auffassung sein, in Met. VII 13 werde lediglich behauptet, dass das Allgemeine nicht Substanz im Sinne von Wesen von etwas oder als Zugrundeliegendes sein kann, wodurch kein Widerspruch zur Konzeption der Universalien als zweite Substanzen entstünde. So etwa in: Cho, Dae-Ho, Ousia und Eidos in der Metaphysik und Biologie des Aristoteles, Stuttgart 2004, S. 137.
[9] Fonfara, Dirk, Die Ousia-Lehren des Aristoteles. Untersuchungen zur Kategorienschrift und zur Metaphysik, Berlin 2003, S. 6.
[10] Vgl. Höffe 2005, S. 416.
Kommentare
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