Entwicklung der Dramentheorie
1 Altertum: Klassische Dramentheorie
Die klassische Dramentheorie geht auf Aristoteles (384 - 321 v. Chr.) zurück. In seinem grundlegenden Werk „Über die Dichtkunst“ legte er die Charakteristika des „Klassischen Dramas“ fest, an denen sich die Dramatiker über viele Jahrhunderte hinweg orientierten. Kennzeichnend für das klassische Drama sind u.a.
· Einheit von Ort, Zeit und Handlung
· Chor
· Gehobene Sprache
Unter klassischem Drama verstand man damals die Tragödie. Durch Identifizierung mit den dargestellten Personen sollte beim Zuschauer Gefühle wie Mitleid, Furcht hervorgerufen und dadurch eine „Katharsis“ (Reinigung) erwirkt werden.
2 Aufklärung: Weiterentwicklung durch Lessing
Die nächste große Weiterentwicklung erfuhr die Dramentheorie durch Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781) zur Zeit der Aufklärung. Bereits in seinem „17. Literaturbrief“ wandte er sich gegen seinen Zeitgenossen Johann Christoph Gottsched (1700 – 1766), der der Dichtkunst die strengen Regeln der Französischen Tragödie auferlegen wollte. Lessing vertrat jedoch die Ansicht, dass diese lediglich die antike Form nachahmt, ohne jedoch einen entsprechenden Inhalt bzw. Gehalt aufzuweisen. Stattdessen empfahl Lessing, die Dichtkunst der Engländer (insbesondere die Werke Shakespeares) als Vorbild zu nehmen, da sie menschliche Emotionen wie Eifersucht, Leidenschaft, Furcht hervorrufen können – Ziele, die auch die griechische Tragödie hatte. In seiner „Hamburgischen Dramaturgie“ befasste sich Lessing ausführlich mit den Gesetzen und dem Wesen der Tragödie und vertrat die Ansicht, dass als oberstes Vorbild weiterhin die Antike gelten sollte.
3 Moderne 1: Das Epische Theater
In der klassischen (= dramatischen) Form des Theaters war oberstes Ziel des Dichters, den Zuschauer zur Einfühlung in das Bühnengeschehen zu bewegen. Im Gegensatz dazu wollte Bert Brecht (1898 – 1956) das Publikum zu Distanzierung und kritischer Reflexion führen. Er nannte diese neue Form des Theaters das „Epische Theater“ und erläuterte in seinem Werk „Kritik der ´Poetik´ des Aristoteles“ die wesentlichen Merkmale: Theater sollte so zu gestaltet sein, dass es die Zuschauer zu kritischer Stellungnahme zwingt und so letztlich zu einer gesellschaftlichen Veränderung führt. Das epische Theater sollte den Zuschauer in kritischer Distanz zum Bühnengeschehen halten, dafür wurden neue Stilmittel wie Verfremdungseffekte, die Einführung eines Erzählers, die Form der Parabel usw. eingesetzt. Der Dichter wollte nicht – wie im klassischen Drama - allgemeingültigen Lösungen vorgeben, sondern zum Nachdenken anregen. Nicht die Akteure auf der Bühne, sondern die Zuschauer sollten nach einer Lösung suchen. Brechts Theater kann somit als Lehrtheater mit klarer didaktischer, ja politischer Zielsetzung verstanden werden.
4 Moderne 2: Dramentheorie Dürrenmatts
Der Schweizer Dramatiker Friedrich Dürrenmatt (1921 – 1990) beschäftigte sich bereits während seines Literatur- und Philosophiestudiums mit den dramen-theoretischen Arbeiten von Aristoteles, Lessing und Brecht. Viele der darin dargelegten Grundsätze wandte Dürrenmatt in seinen Stücken an, ging jedoch auch deutlich über seine Vorgänger hinaus. In „Theaterprobleme“ entwickelte er eine eigene Dramentheorie, deren zentrale Aussage lautete, dass das Drama den veränderten gesellschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragen muss: Nach Meinung des Autors ist die Welt heute zu unüberschaubar und unpersönlich, zu grausam und mechanisch geworden. Das Geschehen wird nicht länger von Personen, sondern von anonymen Machtapparaten bestimmt. Der einzelne kann unter solchen Bedingungen nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Dürrematt schlussfolgert, dass unter diesen Umständen Tragödien im klassischen Stil Fehl am Platze sind, „denn sie setzen Schuld, Not, Übersicht, Verantwortung voraus“. Zentrale Aussage ist daher: „Uns kommt nur noch die Komödie bei.“ Außerdem sei es in dieser Gattung am besten möglich, dem Missverständnis entgegenzuwirken, im Theater sei eine Abbildung der Realität bezweckt (es ist eben episches Theater !). Als wäre die Komödie allein noch nicht ausreichend, überspitzt der Autor seine Stücke häufig ins Groteske und Paradoxe, grenzte sich jedoch entschieden gegenüber dem Absurden Theater ab.
5 Moderne 3: Das Absurde Theater
Das Absurde Theater bildete sich in den 1950er Jahren als ein Sammelbegriff für (hauptsächlich fremdsprachige) Dramen mit grotesk-komischen, teils irrealen Szenen. Charakteristisch ist der Handlungs-, Geschichts- und Sinnverlust, die Fremdbestimmung und Ohnmacht des Individuums: Es steht nicht mehr der Welt und seinen Mitmenschen, sondern dem Chaos, dem Nichts gegenüber. Bekannte Vertreter sind Eugene Ionesco (1909 – 1994), Samuel Beckett (1906 – 1989) und Harold Pinter (1930 – 2008). Kennzeichnend für das Absurde Theater ist die Darstellung der Alltagswelt in stark verzerrter, erschreckender oder unheimlicher Form. Der Verlauf der Stücke ist statisch: Es wird keine logisch fortschreitende Handlung dargestellt, sondern nur Reflexionen, Dialoge ohne augenscheinlichen „Sinn“. Die Figuren sind keine Personen mehr, sondern nur noch Typen oder gar Marionetten, die von Einsamkeit, innerer Leere und namenloser Angst geprägt sind. Kommunikation ist stereotyp oder gar nicht möglich (daher auch häufige pantomimische Darstellungen).