[Essay] Wahlkampf? Let me entertain you!
US-Präsident Barack Obama schaut direkt in die Kamera und sagt bei sanfter musikalischer Untermalung: „Now is not the time to make school more expensive for our young people.“ Die Kamera schwenkt auf Comedian und Moderator Jimmy Fallon, der lustvoll „Oh yeah!“ ins Mikrofon haucht und das Publikum seiner Late Night Show auffordert: „You should listen to the President. Or as I like to call him: the Preezy of the United Steezy.“ Wahlkampf 2012, Obama möchte wiedergewählt werden. Seine Wahlkampftour führt ihn auch in eine Sondersendung der „Late Show with Jimmy Fallon“, die an diesem Abend in der University of North Carolina gefilmt wurde. Passende Kulisse für das Thema, das Fallon und Obama im Segment „Slow Jam the News“ aufgreifen: Sie sprechen sich gegen die Erhöhung der Zinsen für Studienkredite aus.Wird so in Zukunft auch der Wahlkampf in Deutschland aussehen – ernste Themen verpackt in unterhaltsame Formate? Immer wieder wird die Amerikanisierung des Wahlkampfs beschworen, auch Philippe J. Maarek schreibt in „Campaign Communication & Political Marketing“ (Chichester, 2011), dass die moderne politische Kommunikation in den USA entstanden ist und die dort etablierten Methoden in der ganzen Welt imitiert werden. Westliche Demokratien adaptierten sie als erste, so Maarek. Wie amerikanisch ist und wird der deutsche Wahlkampf?Ein Spitzenpolitiker, der in den Sketchen einer Comedysendung mitwirkt, ist in Deutschland bisher undenkbar. Vertreter kleinerer Parteien wie Anton Hofreiter, Vorsitzender der Grünen, wagen sich manchmal zum Interview in die heute-show. Will ein US-amerikanischer Politiker hingegen modern erscheinen und ein junges Publikum erreichen, kommt er um möglichst ausgefallene TV-Auftritte nicht mehr herum. Ob „Preezy of the United Steezy“ eine würdevolle Bezeichnung für POTUS ist, spielt dabei keine Rolle. Neben Late Night Shows besuchen US-amerikanische Spitzenkandidaten besonders gerne die Sketchcomedy- und Varietyshow „Saturday Night Live“, ein reines Unter-haltungsformat. In den letzten Jahren ist Obama hier genauso aufgetreten wie John McCain, Hillary Clinton, Donald Trump oder Sarah Palin.„[S]ieh zu, dass dein ganzer Wahlkampf eine gute Show ist, brillant, glänzend und po-pulär, die größte Aufmerksamkeit und höchstes Prestige erzielt – und auch, wenn das denn irgendwie zu arrangieren möglich ist, dass man Skandalgeschichten über die Verbrechen, sexuellen Ausschreitungen und Bestechungen deiner Konkurrenten erzählt.“2 Diese Tipps zum Entertainment-Faktor, Negativ-Campaigning und zur Boulevardisierung des Wahlkampfs stammen nicht aus einem modernen Ratgeber. Quintus Cicero schrieb sie 64 v. Chr. für seinen Bruder Marcus auf, der im Römischen Reich als Konsul kandidierte. US-amerikanische Politiker mögen den Unterhaltungsfaktor von Wahlkämpfen gegenwärtig ins Extreme treiben, erfunden haben sie die Strategie nicht – eher neu für sich entdeckt und entsprechend ihrer Bedürfnisse adaptiert.In anderen Bereichen, beispielsweise Technologie und Medien, sind die USA hingegen tatsächlich Wegbereiter. Maarek identifiziert die rasante Ausdehnung moderner Medien und deren Nutzung für politische Zwecke als einen der wichtigsten Faktoren in der Entwicklung der modernen politischen Kommunikation. Als ihr Geburtsjahr bezeichnet er 1960, das Jahr der ersten TV-Debatte zwischen den Präsidentschaftskandidaten John F. Kennedy und Richard Nixon. Deutschland zog erst 42 Jahre später nach: Das erste Fernsehduell fand 2002 zwischen den Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder und Edmund Stoiber statt.3Als weiteren Meilenstein nennt Maarek die Nutzung des Internets und besonders der sozialen Medien im Wahlkampf. 2004 erreichte der relativ unbekannte Demokrat Howard Dean nationale Aufmerksamkeit, indem er das Internet als wichtigen Kommunikationskanal seiner Kampagne nutzte: Als erster bedeutender Politiker richtete er ein Blog ein, sammelte online viele Spenden und nutzte soziale Netzwerke, um Anhänger zu mobilisieren. Zwar schaffte es Dean letztendlich nicht, Präsidentschaftskandidat der demokratischen Partei zu werden, jedoch etablierte er viele Praktiken des modernen Internetwahlkampfs. Barack Obamas Kampagne baute 2008 laut Maarek auf Deans Erfahrungen auf und nutzte somit das Internet noch effektiver für den Wahlkampf.Einen ähnlich erfolgreichen Einsatz digitaler Kommunikationskanäle gab es in deutschen Wahlkämpfen bisher nicht. Deutsche Politiker und Parteien nutzen soziale Netzwerke zwar verstärkt im Wahlkampf sowie in der alltäglichen Kommunikation, jedoch eher als Ergänzung zu klassischen Methoden.Manch amerikanische Wahlkampf-Praktiken könnten deutsche Politiker durchaus schneller adaptieren, beispielsweise im Bereich Fundraising. Aufgrund der Unterschiede im Wahlsystem spielt Fundraising in den USA eine große Rolle, denn die Kandidaten treten auf eigene Initiative an, um bei den Primaries von der Basis ihrer Partei gewählt zu werden. Das kostet viel Geld. In Deutschland wird ein Großteil des Wahlkampfes durch staatliche Zuschüsse und Parteimitgliedsbeiträge finanziert, so dass Spenden eine untergeordnete Rolle spielen.Wozu also mehr Fundraising? Laut der Kandidatenstudie 2013 im Rahmen der German Longitudinal Election Study gaben Politiker beim letzten Bundestagswahlkampf auch eigene Ersparnisse aus. Die Höhe variiert: Kandidaten der CDU/CSU bezuschussten ihren eigenen Wahlkampf mit durchschnittlich rund 10.500 Euro, Kandidaten der SPD mit rund 6.500 Euro und Kandidaten von Die Linke mit etwa 1.000 Euro. Menschen mit geringem Einkommen sind vor allem bei den beiden großen Parteien im Nachteil. Das ist sicherlich einer von mehreren Gründen, warum im Bundestag überdurchschnittlich viele Juristen und Steuerberater, aber nur drei Hausfrauen bzw. Hausmänner vertreten sind.4 Verstärktes Fundraising könnte private Vermögensunterschiede ausgleichen.Deutsche Wahlkämpfer adaptieren also durchaus US-amerikanische Methoden, gerade im medialen Bereich. Dabei zeigen sie sich zurückhaltender als ihre amerikanischen Kollegen und manchmal dauert es Jahrzehnte, bis in den USA etablierte Methoden auf dem europäischen Festland ankommen. Ein Gutes hat das: Wir müssen nicht befürchten, dass Angela Merkel im Wahlkampf beim Neo Magazin Royale auftritt und mit Jan Böhmermann über die Flüchtlingskrise rappt, um ein junges Publikum zu erreichen.1 https://www.youtube.com/watch?v=ziwYbVx_-qg, Stand: 09.01.2018.2 Cicero, Quintus: Tipps für einen erfolgreichen Wahlkampf. Stuttgart 2013, S. 53.3 Vgl. http://www.bpb.de/politik/wahlen/bundestagswahlen/62584/amerikanisierung, Stand: 09.01.2018.4 Vgl. https://www.bundestag.de/abgeordnete/biografien18/mdb_zahlen/berufe/260132, Stand: 09.01.2018.