Fazit zu einer Untersuchung zu morpho-syntaktischen Reduktionen in der Kiezsprache und im autochthonen Deutsch

Nachdem die Reduktionen, die im Kiezdeutsch zu beobachten sind, eingehend analysiert wurden, konnten wir feststellen, dass sich diese zum Teil auch in autochthonen Deutsch wiederfinden. Die Hypothese, dass eben jene Reduktionen auf der morpho-syntaktischen Ebene denen der zumeist gesprochenen deutschen Sprache entnommen wurden und lediglich in ihrem Anwendungsbereich ausgeweitet wurden, kann anhand der Studie von Wiese (2012) bestätigt werden.

Erstellt von tascha vor 8 Jahren
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Sie konnte beobachten, dass im autochthonen Deutsch vollständige PPs zu bloßen Ortsangaben wie Ich bin grade erst Zooreduziert werden. Die Parallelen zu einer kiezdeutschen Äußerung wie Wir gehen Görlitzer Park sind offensichtlich: es fehlen jeweils eine Präposition wie ein Determinierer. Einzig der Kontext ist unterschiedlich. Während sich die bloßen Ortsangaben in unseren standarddeutschen Äußerungen nur im Kontext von Haltestellen grammatisch anhören, können sie im Kiezdeutsch bei allen Ortsangaben und teils auch in Zeitangaben auftreten.

Siegel (2014) zog ebenfalls Parallelen zwischen dem Türkenslang und der standarddeutschen Sprache. Sie stellte fest, dass Präpositionen und Determinierer in einigen Fällen scheinbar entfallen können, wenn man eine PP durch eine NP austauscht: Wir trafen uns am letzten Sonntag vs. Wir trafen uns letzten Sonntag. Ebenso konnte sie beobachten, dass es bei paarigen Präpositionen zu Kürzungen kommen kann, ohne dass ein Satz ungrammatisch wird. So macht es keinen Unterschied, ob man sagt Er studiert von Mai bis September oder Er studiert Mai bis September. In beiden Fällen wird der Zeitraum angegeben, in dem die genannte Person studiert. Dennoch ist es nur möglich, die erste Präposition wegzulassen, lässt man die zweite weg, wird der Satz ungrammatisch. Reduktionsphänomene in der autochthonen Sprache sind also immer sehr kontextgebunden und oft beschränkt. Dennoch treten sie auf. Auch bei Äußerungen, die im Zuge der Studien der Kiez-Sprache zugeschrieben wurden, finden sich manchmal Äußerungen, die auch im autochthonen Deutsch nicht unüblich sind. Das ausschlaggebende Beispiel war Beispiel (5d) wenn äh wir erste Pause haben. Im schulischen Kontext sind Äußerungen, in denen ein definiter Artikel fehlt zum Teil möglich, sodass Sätze wie Hast du Deutsch? oder Wenn wir große Pausen haben, dürfen wir etwas essen durchaus grammatisch klingen und somit wieder Parallelen zwischen dem Kiezdeutsch und dem informellen Standarddeutsch offenbaren.

Dass jegliche Reduktionen, sei es von Präpositionen oder von Determinierern, ihren Ursprung aus der L1 der Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben, wird an mehreren Stellen widerlegt. Zum einen ist es sehr unwahrscheinlich, da die Sprecher des Kiezdeutsch multiethnischer Herkunft sind und damit verschiedene Muttersprachen mit verschiedenen Grammatiken aufweisen. Auch wenn man davon ausgeht, dass sich die Kiezsprache ursprünglich aus dem Deutsch der Gastarbeiter über Jahre entwickelt haben soll, sind Interferenzen dennoch auszuschließen, da die deutschen PPs im Türkischen zumeist nur durch kasusmarkierte Nomen wiedergegeben werden, da die türkischen Kasus lokale Relationen ausdrücken können. Wenn eine lokale Relation betont werden möchte, gibt es primäre und sekundäre Postpositionen, die suffixartig an das Nomen treten. Würden Interferenzen auftreten, so wären sie eher dadurch gekennzeichnet, dass an das deutsche Nomen eine Präposition als Suffix gehangen wird (vgl. Wiese 2012: 57).

Ausgehend davon, dass kiezsprachliche Reduktionen Übergeneralisierungen und Erweiterungen der autochthonen deutschen Sprache sind, war es mein Ziel, diese einmal genauer zu analysieren. Die Ergebnisse, die Wiese mit ihrer Studie zu bloßen Ortsangaben bei Haltestellenangaben im gesprochenen Deutsch feststellen konnte, konnte ich bei geschriebenen Wegbeschreibungen nicht bestätigen. Zwar finden sich zahlreiche Reduktionen im geschriebenen, dennoch nicht so ausgeweitet wie im gesprochenen Kontext. Dennoch ließ sich erkennen, dass es tatsächlich so ist, dass PPs mit Haltestellenangaben verglichen mit solchen mit anderen Ortsangaben reduziert werden können und dennoch grammatisch klingen. Das konnte man an den Beispielen bis 'Schloss Benrath' und bis zum Schulgelände sehen. Ersteres ist eine Haltestellenangabe und ist grammatisch, obwohl die Präposition zur fehlt. Lässt man beim zweiten Beispielsatz die Präposition zum weg, wird der Satz ungrammatisch und bekommt kiezsprachlichen Charakter: *bis Schulgelände. Ob es tatsächlich so ist, dass es in geschriebenen Wegbeschreibungen im Bus- und Bahnkontext keine bloßen Ortsangaben bzw. nur abgeschwächte Varianten gibt, müsste mit einer größeren Datensammlung weiter geprüft werden. Für die 25 untersuchten Beschreibungen kann ich zwar zahlreiche Reduktionen von Präpositionen und Artikeln feststellen, jedoch bloße Ortsangaben wie Da müssen Sie Frankfurter Allee fahren, in denen tatsächlich jegliche Präpositionen und Artikel wegfallen, kann ich nicht bestätigen.

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