Fingierte Oralität in der Gegenwartsliteratur: Eine Analyse des gesprochenen Französisch am Beispiel von Tonino Benacquistas Roman „Le serrurier volant"

"Französische Sprachwissenschaft: Le français parlé" verfasst habe.

Erstellt von Minerva vor 9 Jahren
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(Note: 1,0)

1. Einleitung

Heutzutage scheint es nicht mehr möglich die gesprochene als eine von der geschriebenen Sprache separierte homogene Praxis zu betrachten, da sich die gesprochene Sprache nicht auf eine spontane, umgangssprachliche Praxis reduzieren lässt. Mit seiner Aussage „C’est la parole qui fait évoluer la langue“ weist Saussure der Parole, der individuellen Komponente, eine besondere Rolle im Sprachsystem der Langue zu, die in Saussures Strukturalismus für das Soziale und Gesellschaftliche steht.

In der Gegenwartsliteratur ist fingierte Oralität zu einem gängigen Phänomen geworden, welches sich seinen Platz vor allem in Romanen gesichert hat. Nach einer Annäherung an den Begriff der fingierten Oralität soll auf die Nähe- und Distanzsprache nach dem Modell der Linguisten Koch und Oesterreicher eingegangen werden. Anschließend werden die universalen und einzelsprachlichen Merkmale gesprochener Sprache erläutert und die Kennzeichen fingierter Oralität herausgestellt und erklärt, zu denen auch die Erscheinungsform der direkten Rede zählt. Diese Aspekte der fingierten Oralität sollen am Beispiel von Tonio Benacquistas Roman „Le serrurier volant“ analysiert werden, der, wie viele von Benacquistas Kriminalromanen, das Phänomen der fingierten Oralität illustriert und dessen Inhalt nachfolgend kurz zusammengefasst wird.

Marc, der fünfunddreißigjährige Protagonist des Romans, ist ein introvertierter Mensch, der sein ordinäres, ruhiges Leben schätzt. Wohnhaft in einem Pariser Vorort widmet er sich so der Pflege seines kleinen Hauses und verdient seinen Lebensunterhalt als Transporteur, während sein soziales Umfeld ein einziger Freund und eine Liebesbeziehung mit der geschiedenen Magali, seine Freundin aus Kindertagen, bilden. Eines Tages jedoch, während der Ausführung eines Auftrags fallen Marc und seine beiden Kollegen einem Verbrechen zum Opfer, bei dem Marcs Kollegen getötet werden, wohingegen er selbst schwerverletzt überlebt. In den folgenden Monaten der Operationen, Genesung, Rehabilitation und zahlreichen Suizidversuchen, verliert Marc zunächst seinen Beruf und sein Haus sowie seine Kontaktpersonen und gerät schließlich in einen Teufelskreis der Depression und des Alkoholkonsums. Als er sich eines Morgens versehentlich aus seinem Apartment aussperrt, verständigt ein hilfsbereiter Nachbar die SOS-Pannenhilfe, die für ihn wie eine Offenbarung ist und zu seinem neuen Lebensinhalt wird. Das Öffnen verschlossener Türen ermöglicht Marc eine neue Sichtweise auf die Lebensgewohnheiten und Geheimnisse seiner Mitmenschen und führt ihn zufällig auf die Spur des Attentats, das sein Leben veränderte und ihn erneut zwingt sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzten.

2. Eine Annäherung an den Begriff der fingierten Oralität

Fingierte Oralität bezeichnet allgemein die Evokation gesprochener Sprache im geschriebenen Medium. Durch die Verwendung des Attributs fingiert gibt bereits die Bezeichnung Hinweis darauf, dass es sich bei diesem Phänomen um eine erfundene, vorgetäuschte (vgl. Müller 1997: 798) oder erdichtete (vgl. Kroeber et al. 2001: 262) Form der Mündlichkeit handelt. An ihrer Erschaffung ist folglich stets ein „Agens“ beteiligt (Brumme 2008b: 7).

Im deutschsprachigen Raum befasste sich Goetsch (1985) als einer der ersten Forscher literaturwissenschaftlich mit diesem –von ihm als fingierte Mündlichkeit bezeichneten– Phänomen. Er stellte fest, dass Mündlichkeit in geschriebenen Texten „stets fingiert“ sei, und dass „ihr Bezug zur Schriftlichkeit gesehen und ihr Stellenwert als Bestandteil des geschriebenen Textes gewürdigt werden“ müsse, da sie zum Schreibstil des Autors zähle (Goetsch 1985: 202). Seiner Ansicht nach sei fingierte Oralität genauso vielfältig wie tatsächliche und dürfe demnach nicht auf einige wenige Kennzeichen wie beispielsweise „formelhafte Sprache“ reduziert werden (Goetsch 1985: 206).

Diese Einschätzung teilt auch Brumme (2008b: 11), wobei sie sich auf eine spätere Veröffentlichung dieser Autoren (vgl. Koch et al. (1990) bezieht. Neben der Verwendung in der Literatur trifft dieses Phänomen auch auf andere Kunstformen wie Film (Synchronisation und Untertitelung), Theater und Werbung zu (vgl. Brumme 2008b: 8-9). Die Gemeinsamkeit liege hier in dem Ziel, Mündlichkeit in einem geschriebenen Text, der möglicherweise im Nachhinein gesprochen wird, mithilfe bestimmter oraler Mittel darzustellen, weswegen auch Moderation und Nachrichtensprechen in Radio und Fernsehen als eine Form der fingierten Oralität betrachtet werden könnten (Brumme 2008b: 9).

Zur Beschreibung von fingierter Oralität halten beide Sprachwissenschaftler das von Koch und Oesterreicher (1985) erstellte Modell der Nähe- und Distanzsprache sowie die damit verbundenen universalen und einzelsprachlichen Merkmale gesprochener Sprache für geeignet (Goetsch 1985: 210), welche im nächsten Kapitel erläutert werden sollen.

2.1 Die Nähe- und Distanzsprache nach Koch und Oesterreicher

Mit Hilfe ihres im Artikel „Sprache der Nähe – Sprache der Distanz“ erschienenen Nähe-Distanz-Modells erklären Koch und Oesterreicher die Unklarheiten im Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache, beispielsweise in Bezug auf die Relation zu einzelsprachlichen Varietäten oder auf das Vorkommen von Merkmalen der Mündlichkeit in schriftlichen Texten und umgekehrt (vgl. Koch et al. 1985: 15). Sie vertreten die Auffassung, dass das von Coseriu vorgeschlagene Diasystem einer Einzelsprache um den Aspekt gesprochen/geschrieben erweitert werden müsse (Koch et al. 1985: 16). Die Vorüberlegungen dazu stammen von Söll (1985), der zwischen der Konzeption sprachlicher Äußerungen, also der „Kommunikationsstrategie“, und dem Medium, also dem „Kommunikationsweg“ (Söll 1985: 17), unterscheide (Koch et al. 1985: 17). Zur Konzeption zählt Söll die Modi ‚gesprochen‘ und ‚geschrieben‘, zum Medium den phonischen und den graphischen Code (vgl. Koch et al. 1985: 17). Die jeweiligen Ausprägungen von Medium und Konzeption lassen sich beliebig kombinieren, wobei die Zuordnung von „‚gesprochen + phonisch‘ (Beispiel: vertrautes Gespräch) und ‚geschrieben + graphisch‘ (Beispiel: Verwaltungsvorschrift)“ als besonders typisch gelte (Koch et al. 1985: 17). Essentiell ist dabei, dass das Medium entweder graphisch oder phonisch, also im Sinne einer Dichotomie, realisierbar, zwischen den extremen Ausprägungen der Konzeption ‚gesprochen‘ und ‚geschrieben‘ jedoch keine feste Grenze, sondern ein Kontinuum anzusetzen sei (Koch et al. 1990: 6). Koch und Oesterreicher konzentrieren sich in Bezug auf das Konzept von Mündlichkeit und Schriftlichkeit– konzeptionell und medial (Koch et al. 1990: 5)– nun auf dieses Kontinuum zwischen den Polen ‚gesprochen‘ und ‚geschrieben‘, ohne das Medium weiter zu berücksichtigen. Ihrer Ansicht nach lassen sich aus der Zuordnung zum graphischen bzw. phonischen Code keine Erkenntnisse gewinnen, da beispielsweise auch Verwaltungsvorschriften verlesen und Gespräche transkribiert werden können (vgl. Koch et al. 1990: 6).

In einer Erweiterung des Nähe-Distanz-Modells wird davon ausgegangen, dass die Form einer sprachlichen Äußerung von fünf zum Teil von Koch & Oesterreicher schon vorgegebenen Kriterien bestimmt wird: von der Wahrnehmbarkeit der Kommunikationspartner (physische Nähe), der Vertrautheit der Kommunikationspartner (persönliche Nähe), der Reziprozität (interaktive Nähe), der Rezeptionsdistanz (zeitliche Nähe) und der Involviertheit des Sprechers (thematische Nähe). Liegt jeweils der höchste Nähegrad vor, entspricht die Kommunikationssituation einer prototypischen Mündlichkeitssituation, also der „mundanen Mündlichkeit“ (Freunek 2007: 26), vorausgesetzt, die Partner sind einer gemeinsamen Sprache und des Sprechens mächtig. Die für ein Gelingen der Kommunikation in dieser Situation geeigneten sprachlichen Mittel sind ausschließlich nähesprachliche. Authentische Mündlichkeit kann nun beschrieben werden als die Auswahl sprachlicher Mittel, die in Situationen höchster Nähe angebracht sind. Fingierte Mündlichkeit wiederum kann beschrieben werden als die dosierte Aufnahme nähesprachlicher Merkmale in literarischen Texten. Da solche Texte an eine geradezu typische Distanz-Situation gebunden sind, müssten die aufgenommenen nähesprachlichen Mittel prinzipiell disfunktional sein. Erst eine geschickte Auswahl und Distribution dieser Mittel garantiert – nach einer möglichen ersten Irritation bei der Lektüre – die Entfaltung der angestrebten ästhetischen Wirkung.

Soll eine Kommunikationshandlung, deren Ergebnis nach Koch et al. (1990: 8) „Diskurs“ (bei phonischer Realisierung) oder „Text“ (bei graphischer Realisierung) genannt werden könne, innerhalb des Kontinuums eingeordnet werden, bedarf es der Kommunikationsbedingungen zur Orientierung (Koch et al. 1990: 8-9, 12):

a) der Grad der Öffentlichkeit (Privatheit vs. Öffentlichkeit)

b) der Grad der Vertrautheit der Partner (Vertrautheit vs. Fremdheit)

c) der Grad der emotionalen Beteiligung (Emotionalität vs. keine Emotionalität)

d) der Grad der Situations- und Handlungseinbindung (Situations- und Handlungseinbindung

vs. Situations- und Handlungsentbindung)

e) der Referenzbezug (Nähe vs. Entfernung des Bezeichneten zur Sprecherorigo)

f) die physische Nähe der Kommunikationspartner (physische Nähe vs. physische Distanz)

g) der Grad der Kooperation (Mitwirkung vs. keine Mitwirkung)

h) der Grad der Dialogizität (Dialogizität vs. Monologizität)

i) der Grad der Spontaneität (Spontaneität vs. Reflektion)

j) der Grad der Themenfixierung (freie vs. festgelegte Themenentwicklung)

(Henjum 2003: 13)

Mithilfe dieser Kommunikationsbedingungen lassen sich zahlreiche Kommunikationsformen beschreiben und in das Kontinuum zwischen den Polen ‚gesprochen‘ und ‚geschrieben‘ einordnen (vgl. Koch et al. 1990: 9). Dabei steht das erste Argument in der Klammer jedes Punktes jeweils für das Extrem ‚gesprochen‘ und das zweite für ‚geschrieben‘. Koch und Oesterreicher übertragen nun das Konzept der physischen Nähe und Distanz auf die Kommunikation und sprechen für alle aufgeführten Punkte a) bis j) jeweils von kommunikativer Nähe bzw. kommunikativer Distanz (Koch et al. 1990: 10). Die entsprechenden Kommunikationsformen bezeichnen sie als Sprache der Nähe und Sprache der Distanz (vgl. Koch et al. 1985: 21), und die dazugehörigen Versprachlichungsstrategien als „Nähesprechen“ und „Distanzsprechen“ (Koch et al. 1990: 10). Offenkundige Unterschiede in der Sprache der Nähe bzw. der Distanz zeigen sich in der Aktivierung möglicher Kontexttypen:

1. situativer Kontext: in der Kommunikationssituation wahrnehmbare Personen, Gegenstände und Sachverhalte.

2. Wissenskontext:

(a) einerseits ein individueller Wissenskontext (gemeinsame Erlebnisse der Partner,

Wissen übereinander usw.);

(b) andererseits ein allgemeiner Wissenskontext, der soziokulturelle und universal

menschliche Wissensbestände umfaßt (kulturelle Tatsachen, Werte usw.; logische

Relationen, physikalische und biologische Gesetzmäßigkeiten usw.)

3. sprachlich-kommunikativer Kontext: vorige und folgende Äußerungen und Äußerungsteile

(auch ‘Ko-Text‘ genannt).

4. andere kommunikative Kontexte:

(a) parasprachlich-kommunikativer Kontext: intonatorische Phänomene;

(b) nichtsprachlich-kommunikativer Kontext: begleitende Gestik, Mimik usw.

(Koch et al. 1990: 10-11)

Während beim Nähesprechen auf jeden Kontexttyp zurückgegriffen werden könne, gelte dies für das Distanzsprechen nur mit Einschränkungen (Koch et al. 1990: 11). Der fehlende Bezug zu situativem, individuellem Wissens -und parasprachlichem/nichtsprachlichem Kontext ließe sich dann nur durch eine erhöhte Versprachlichung, beispielsweise syntaktisch und unter verstärktem Einsatz des sprachlichen Kontextes, ausgleichen (Koch et al. 1990: 11). Aufgrund der Situationsferne sei für die geschriebene Sprache ein höherer Planungsaufwand hinsichtlich der Erarbeitung und Übermittlung des Themas vonnöten (Koch et al. 1985: 20). Für Äußerungen in der Sprache der Nähe gilt dies entsprechend nicht. Durch die offene Sprecherrollenverteilung entstehe größere Spontaneität, wodurch Expressivität und affektive Teilnahme gefördert werden (Koch et al. 1985: 19-21). Ein Merkmal des Nähe-Diskurses stellt auch die im Vergleich zur Sprache der Distanz viel geringere Informationsdichte dar (Koch et al. 1990: 11). Im Folgenden soll auf die universalen und einzelsprachlichen Merkmale gesprochener Sprache Bezug genommen werden.

2.2 Die universalen und einzelsprachlichen Merkmale gesprochener Sprache

Die Einordnung verschiedener sprachlicher Äußerungen in das Nähe-Distanz-Kontinuum geschieht nach von Koch und Oesterreicher beschriebenen Kriterien, anhand derer sich die Affinität eines Diskurses zur Sprache der Nähe bzw. der Distanz festlegen lässt. In Anlehnung an Coseriu bezeichnen Koch et al. (1985: 27) diese Kriterien als „universale und einzelsprachliche Merkmale“ gesprochener und geschriebener Sprache. Koch und Oesterreicher zufolge werden diese Merkmale nur für die Sprache der Nähe erläutert (vgl. Koch et al. 1985: 27). Universale Merkmale besitzen sprachübergreifend Gültigkeit für das Nähesprechen. Die Linguisten ordnen die universalen Merkmale vier linguistischen Bereichen zu: dem textuell-pragmatischen, syntaktischen, lexikalisch-semantischen und lautlichen Bereich. Der umfassendste ist dabei der textuell-pragmatische Bereich, der Gesprächswörter und äquivalente Verfahren sowie Makrostrukturen umfasst (Koch et al. 1990: 50-51). In den Bereich der Gesprächswörter fallen Gliederungssignale, Turn-taking-Signale, Kontaktsignale (Sprecher- und Hörersignale), Überbrückungsphänomene (hesitation phenomena), Korrektursignale, Interjektionen und Abtönungsphänomene (vgl. Koch et al. 1990: 51-71). Die Einteilung in Gesprächswörter und äquivalente Verfahren stelle sich jedoch als problematisch heraus und ließe sich möglicherweise durch eine vorläufige Zuordnung zu „nähesprachlichen Funktionsbereichen“ (Koch et al. 1990: 72) und in Bezug auf die Einzelsprachen mit der Bezeichnung in den dort üblichen Kategorien lösen. Unter dem Oberbegriff Makrostruktur vereinen Koch et al. (1990: 73-81) das Problem der Kohärenz und des Aufbaus von Nähediskursen, das mündliche Erzählen sowie die mündliche Redewiedergabe. Zum syntaktischen Bereich zählen „Kongruenz-‘Schwächen’ und constructio ad sensum“ (Koch et al. 1990: 83), „Anakoluthe, Kontaminationen, Nachträge, Engführungen“ (Koch et al. 1990: 84ff.), „‘[u]nvollständige Sätze’(Koch et al. 1990: 86ff.), „Segmentierungserscheinungen und Rhema-Thema-Abfolge“ (Koch et al. 1990: 89ff.) sowie „[s]yntaktische Komplexität: Parataxe und Hypotaxe“ (Koch et al. 1990: 96ff.). Der semantische Bereich zeichne sich durch „[g]eringe syntagmatische Lexemvariation: ‘Wort-Iteration‘“ (Koch et al. 1990: 102ff.), „[g]eringe paradigmatische Differenzierung und Unschärfen in der Referentialisierung: passe-partout-Wörter“ (Koch et al. 1990: 104ff.), spezifischem Gebrauch von Präsentativen (vgl. Koch et al. 1990: 109ff.) und Deiktika (vgl. Koch et al. 1990: 111ff.) sowie durch „[e]xpressiv-affektive Ausdrucksverfahren bei starker Emotionalität“ (Koch et al. 1990: 114ff.) aus. Der lautliche Bereich sei je nach Sprechgeschwindigkeit Entdeutlichungsprozessen unterworfen, die jedoch zur Phonologie der Einzelsprachen und somit zu den einzelsprachlichen Merkmalen zählen (Koch et al. 1990: 123-124). Die einzelsprachlichen Merkmale beziehen sich demzufolge auf die konkrete Umsetzung der oben aufgeführten universalen Merkmale in einer historischen Einzelsprache. Dabei kann es jeweils zu Unterschieden in der Häufigkeit (z.B. Partikelreichtum im Deutschen) oder in der Umsetzung (z.B. Zuordnung zu verschiedenen Funktionsbereichen) kommen. Als Gesprächswörter fassen Koch et al. (1990: 51) diejenigen sprachlichen Zeichen zusammen, die „direkt auf Instanzen und Faktoren der Kommunikation verweisen“. Unter diesen sind Gliederungssignale, Turn-taking-Signale, Kontaktsignale, Überbrückungselemente, Korrektursignale, Interjektionen, Abtönungspartikel (Koch et al. 1990: 71), Kontaktsignale wie hm; Pausen und Dehnungen als Überbrückungselemente, Korrektursignale, sekundäre Interjektionen (vgl. Schwitalla 2006: 156), Abtönungsverfahren ohne Partikel (Koch et al. 1990: 71), Gliederung, turn-taking, Kontakt, Überbrückung, Korrektur, Emotionalität und Abtönung zu verstehen (Koch et al. 1990: 72). Das Phänomen der fingierten Oralität soll nun explizit auf den literarischen Kontext bezogen und mögliche Kritik am Schaubild von Koch und Oesterreicher in Bezug auf fingierte Oralität untersucht werden.

3. Fingierte Oralität und das Nähe-Distanz-Modell

Auf das Phänomen der fingierten Oralität machen Koch und Oesterreicher aufmerksam, indem sie bemerken, dass auch in literarischer Schriftlichkeit Merkmale konzeptioneller Mündlichkeit wie Spontaneität, Vertrautheit und Expressivität zu finden seien (Koch et al. 1985: 24). Sie bezeichnen dies jedoch als „eine mit Hilfe einzelner nähesprachlicher Kennzeichen hergestellte Nähe“ (Koch et al. 1985: 24). Sie trete entweder global im ganzen Text (in Erzählerrede und Figurenrede) oder partiell, beispielsweise in wörtlicher Rede zur Personencharakterisierung oder Vermittlung von Lokalkolorit, auf (Koch et al. 1985: 24). Wichtig sei es, die Verwendung der Sprache der Nähe als stilisierten Gebrauch zu interpretieren, der den Rezipienten zu mehr Konzentration, Phantasie und Kreativität anregen solle (Koch et al. 1985: 24). Goetsch (1985: 210) ist hingegen der Ansicht, dass fingierte Mündlichkeit im Schaubild von Koch und Oesterreicher keinen Platz habe, gerade weil sie fingiert ist. Sie stelle vielmehr ein eigenes Kontinuum innerhalb des Nähe-Distanz-Modells dar, welches mithilfe der Merkmale des letztgenannten eingeschätzt werden könne (Brumme 2008a: 5-6). Dennoch dürfe der Bezug der fingierten Mündlichkeit zur tatsächlichen nicht überbetont werden (Goetsch 1985: 217). Der gewünschte Effekt ergebe sich vielmehr aus der Kontrastwirkung zu anderen distanzsprachlicheren Textteilen als aus der Nachahmung tatsächlicher Mündlichkeit (Goetsch 1985: 217). Fingierte Oralität sei somit lediglich eine rhetorische Darstellungsstrategie unter vielen, die zudem noch Rückschlüsse auf den Status von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der jeweiligen Kultur zulasse (Goetsch 1985: 218). Die Auffassung bekräftigt außerdem, dass gesprochene und geschriebene Sprache, unabhängig von ihrem jeweiligen Stellenwert innerhalb einer Kultur, nie gänzlich voneinander separiert betrachtet werden kann. Die Verwendung des literarischen Dialekts in der englischen Literatur beispielsweise habe sich von einer komischen Charakterisierung der Unterschicht zu einer Eingrenzung der Sprechergemeinschaft und Beziehungssprache verändert (Goetsch 1985: 215-216). Im Folgenden sollen die Kennzeichnen fingierter Oralität betrachtet werden.

3.1 Kennzeichen fingierter Oralität

Der Zweck fingierter Oralität liege darin, dem Leser die Erzählsitutation anschaulicher zu machen, seine Phantasie anzuregen und ihn zum Weiterlesen zu animieren (Goetsch 1985: 217-218). Außerdem diene sie der sozialen Einordnung der Figuren, wodurch deren Glaubwürdigkeit erhöht wird und im Kontrast zu distanzsprachlichen Elementen ironische Effekte hervorgerufen werden (Blank 1991: 29). Fingierte Oralität ist somit vor allem auch ein Stilmittel (vgl. Blank 1991: 29, Czennia 1992: 32). Besonders häufige Erscheinungen, die in einem Text Mündlichkeit markieren, seien Dialoge, simuliertes mündliches Erzählen, bestimmte zur mündlichen Kommunikation gehörige Merkmale von Sprechstilen und Registern sowie Dialekt (Goetsch 1985: 202). Die Schwierigkeit liegt jedoch darin, das richtige Gleichgewicht zwischen Authentizität und Lesbarkeit sicherzustellen. Wie von Transkriptionen bekannt, ist es technisch kein Problem, beinahe alle Aspekte der Sprache der Nähe wie beispielsweise Phonetik, Pausen und Tonhöhe schriftlich darzustellen (vgl. Henjum 2003: 18). Der Rezipient kann dies jedoch als eine ermüdende und eintönige Lektüre empfinden, was in der Regel nicht im Sinne eines Schriftstellers ist. Die Lösung dieser Problematik liege im Rückgriff auf distanzsprachliche Merkmale: Nicht die Häufung mimetischer Details gibt den Ausschlag, sondern die Tatsache, dass der Schriftsteller durch Planung, Komprimierung, Auswahl und Zuspitzung die Möglichkeiten der Sprache der Distanz dazu benützt, die Merkmale der Sprache der Nähe schärfer herauszuarbeiten [...] (Goetsch 1985: 213). Die in der gesprochenen Sprache gegebenen zahlreichen Möglichkeiten zur Modifikation einer Aussage auf der suprasegmentalen Ebene mithilfe von Tonhöhe, Artikulation und Satzmelodie sowie deren Untermalung durch parasprachliche Elemente wie beispielsweise Mimik und Gestik ließen sich nur umständlich versprachlichen und stellen somit eine echte Herausforderung für literarische Texte dar (Blank 1991: 24- 26). Die Darstellung der segmentalen Ebene der gesprochenen Sprache in der Graphie sei hingegen leichter, da hier die Orthograpie und Interpunktion der Schriftsprache das Bezugssystem bilden (Blank 1991: 21). Phonetische Merkmale gesprochener Sprache ließen sich beispielsweise durch Satzzeichen (Ausrufezeichen, Gedankenstriche, Apostrophe etc.), besondere typografische Verfahren (Kursivdruck, Fettdruck, Unterstreichen, Großschreibung, Blockschreibung, Sperrsatz) zur Betonung von Einzelworten oder phonetischer Schreibung auf die Graphie übertragen (Czennia 1992: 32). In der Syntax können in der fingierten Sprache der Nähe die allgemeinen Merkmale gesprochener Sprache wie die Tendenz zu kurzen Sätzen, syntaktischer Einfachheit und Unvollständigkeit, grammatischer Inkongruenz, Satzabbrüchen, Herausstellungen und Ausklammerungen übernommen werden (Henjum 2003: 24-26). Da tatsächliche sprechsprachliche Syntax oft lückenhaft, unverständlich und redundant wirke, empfehle es sich nicht, sie in vollem Umfang in der Graphie nachzuahmen, da es wiederum die Lektüre erschwere und den Text weniger lesenswert mache (Blank 1991: 21-22). Im lexikalisch-semantischen Bereich gelte geringe syntagmatische sowie paradigmatische Lexemvariation, Referentialisierungsunschärfe, häufiger Gebrauch von Deiktika und expressiv-affektive Ausdrucksverfahren als typisch nähesprachlich (Henjum 2003: 22). Zur suprasegmentalen Ebene zählen „Lautstärke, Stimmqualität, Wortakzent, Tonhöhe, affektische Betonung bestimmter Silben, Satzmelodie, undefinierbare Laute“ (Henjum 2003: 15). „Die segmentale Ebene der Sprache ist, was man unter Sprache zuerst und im engeren Sinne versteht: Lautinventar, Morphosyntax, Lexikon.“ (Blank 1991: 21), könne aber entweder zu Missverständnissen (fehlende physische Nähe bei Deiktika, Notwendigkeit der Versprachlichung von Passe-partout-Wörtern) oder Langeweile beim Leser führen (Blank 1991: 23-24). Im Hinblick auf die expressiv-affektiven Ausdrucksverfahren würden sich dem Schriftsteller mit Synonymreihungen, Metaphernbildung, diasystematisch markierten Lexemen und Neologismen zahlreiche stilistische Möglichkeiten zur Darstellung von fingierter Oralität bieten (Blank 1991: 24). Die von Koch und Oesterreicher aufgezeigten Merkmale des textuell-pragmatischen Bereichs wie beispielsweise Gesprächswörter ließen sich leicht in der literarischen Sprache der Nähe ausdrücken (vgl. Henjum 2003: 22-24). Eine beliebte Erscheinungsform der fingierten Oralität ist die direkte Rede, die Gegenstand des folgenden Kapitels ist.

3.2 Direkte Rede als Erscheinungsform fingierter Oralität

Die direkte Rede ist eine Form der Redewiedergabe in einem erzählenden Werk und kann synonym als wörtliche Rede bezeichnet werden. Direkte Rede lässt sich im Deutschen durch typografische Mittel wie Doppelpunkt und Anführungszeichen und im Französischen üblicherweise durch Gedankenstriche, sowie mithilfe von Redeeinleitungen wie Inquit-Formeln in Verbindung mit verba dicendi (z. B. Mein Vater sagte: / ..., erzählte er.) leicht von anderen Formen der Figurenrede abgrenzen (vgl. Henjum 2003: 17, Vogt 2008: 151). Die Inquit-Formel kann dabei vor, nach oder innerhalb der wörtlichen Rede stehen. Modus der direkten Rede ist stets der Indikativ. Diese Markierungen reichen somit aus, um kenntlich zu machen, dass eine Figur spricht. Allerdings bedarf es der zusätzlichen Signale fingierter Oralität, diese auch glaubhaft erscheinen zu lassen (Goetsch 1985: 209-210). Innerhalb eines literarischen Werks leiste die wörtliche Rede einen wichtigen Beitrag zur Figurencharakterisierung und lasse Rückschlüsse auf die soziale, regionale und berufliche Situation der Figuren zu (Henjum 2003: 19). Weiterhin könne damit das Verhältnis zwischen Romanfiguren markiert sowie deren Persönlichkeit und Psychologie charakterisiert werden (Henjum 2003: 20). Nachfolgend sollen die linguistischen Errungenschaften von Koch und Oesterreicher hinsichtlich fingierter Oralität auf Tonio Benacquistas Roman „Le serrurier volant“ angewandt werden.

4. Nähesprachliche Merkmale in „Le serrurier volant“

Die Erzählperspektive in „Le serrurier volant“ ist die eines auktorialen Erzählers, in der die extradiegetische Perspektive, in diesem Fall die Er-Erzählung, dominiert. Durch diese epische Distanz ist dem Erzähler das unbeschränkte Wechseln der Schauplätze innerhalb seiner Geschichte sowie die Bestimmung der chronologischen Abfolge der erzählten Ereignisse gestattet. In „Le serrurier volant“ wird der Protagonist Marc beispielsweise während seiner neuen Arbeit bei der SOS-Pannenhilfe vom Trauma seiner Vergangenheit eingeholt und dem Leser eine Rückblende vom Haus eines Kunden auf die Straße des Unglücks präsentiert. Auch Wertungen und Urteile tauchen gelegentlich in der Erzählung auf, die teilweise auch eine Vorausdeutung des weiteren Geschehens anspielen: „Jour après jour, il sculptait sa vie avec la patience de l‘arisan qui sait que dans les objets le plus simples on trouve aussi de la belle ouvrage.“ (Benacquista 2006: 10). Durch die Distanz des Erzählers zu seinen Figuren, aber seiner Allwissenheit in Bezug auf ihren Lebenslauf, ihren Charakter und ihre Handlungen lässt sich ein deutliches Näheverhältnis zu den Figuren aufbauen, da diese authentisch gestaltet sind. Die nähesprachlichen Kennzeichen hergestellter Nähe treten hierbei partiell in der direkten Rede zur Personencharakterisierung auf. Da authentische Mündlichkeit die Auswahl sprachlicher Mittel in Situationen höchster Nähe und fingierte Mündlichkeit die dosierte Aufnahme nähesprachlicher Merkmale in literarischen Texten darstellt, sind Romane wie „Le serrurier volant“ an Distanz-Situationen gebunden. Erst die Auswahl und Distribution dieser nähesprachlichen Mittel garantiert die Entfaltung der angestrebten ästhetischen Wirkung. Im Folgenden sollen die vier Bereiche der universalen Merkmale nach Koch und Oesterreicher am Beispiel von „Le serrurier volant“ aufgezeigt und analysiert werden.

4.1 Der textuell-pragmatische Bereich in „Le serrurier volant“

Der textuell-pragmatische Bereich umfasst den größten Bereich der universalen und einzelsprachlichen Merkmale gesprochener Sprache nach Koch und Oesterreicher. Ein charakteristisches Merkmal der fingierten Oralität ist das Auftreten von Pausen, Versprechern und „Gesprächswörter(n) oder régulateurs phatiques“ (Söll 1974: 139). Pausen haben mehrere Funktionen. Sie verlangsamen den Gesprächsverlauf und dienen dazu, Zeit zu gewinnen, wie beispielsweise bei „eh“ (Benacquista 2006: 34), „bien“ (ibid), „alors“ (ibid S. 67) und „puis“ (ibid S.86). Einige Gesprächswörter werden bewusst gesetzt, um sich der Zustimmung oder der Aufmerksamkeit des Gegenübers bzw. des Gesprächspartners zu versichern, beispielsweise erwidert Marc Magali, der ihre Antwort auf eine Frage erwartet: „hein?“ (ibid S.45). Daher werden sie auch Kontaktsignale genannt, da sie eine Verbindung zum Gesprächspartner herzustellen suchen. Um im Gegenzug dem Gegenüber die eigene Zustimmung anzudeuten, oder zu zeigen, dass man dem Gesagten folgt, erwidert Laurent auf Marcs Auskunft beispielsweise „ouais“ (ibid S.78). Interjektionen sind ein typisches Merkmal der Mündlichkeit, da sie besonders in mündlicher Sprache auftreten und auch in schriftlichem Umgang und literarischer Sprache als Stilmittel vorgetäuschter Mündlichkeit dienen. Als Äußerungstyp mit besonderer expressiver oder appellativer Funktion beziehen sich Interjektionen auf die Sprechsituation mit Sprecher und Empfänger und simulieren oder ersetzen dort typischerweise nonverbale oder paraverbale Kommunikationshandlungen, um Emotionen spontan auszudrücken, beispielswiese nachdem Marc erstaunliche Entdeckungen im den Wohnungen seiner Kunden macht: „Ah“ (ibid S.98, 111). Sehr häufig treten auch Korrektursignale auf, um an die eigene Meinung oder die des Gesprächpartners anzuknüpfen und das bereits Gesagte zu berichtigen, zu erweitern oder abzuändern: „enfin“ (ibid S.56), „bon“ (ibid S.58), „mais“ (ibid S.78) und „en fait“ (ibid ibid), sowie Abtönungspartikel: „alors“ (ibid S.67), „donc“ (ibid S.78) und „quand même“. Typisch für die fingierte Oralität, die in „Le serrurier volant“ deutlich wird, sind auch Wortwiederholungen, wie beispielsweise „les...les...hommes“ (ibid S.116).

4.2 Der syntaktische Bereich in „Le serrurier volant“

Der zweitgrößte Bereich universaler und einzelsprachlicher Merkmale ist Koch und Oesterreicher zufolge der syntaktische Bereich. Mündliche Sprache ist vor allem durch ihre Simplizität und Unvollständigkeit gekennzeichnet. In spontaner, gesprochener Sprache werden Wörter bzw. Sätze meist schneller realisiert als in der Schriftsprache, um die Kommunikation der Gesprächspartner interessant zu gestalten. Dadurch entstehen häufig Ellipsen, die von denen in schreibsprachlichen Textsorten enthaltenen unterschieden werden müssen, da sie nicht stilistisch begründet liegen, sondern dazu dienen den Sprechakt zu beschleunigen. So zählen Abkürzungen wie „flic“ (Benacquista 2006: S. 18) und „fac“ (ibid S.25), die Elision von Vokalen, das Wegfallen des ne bei einer Negation, beispielsweise bei „tu regardes pas“ (ibid S.45), das Nichtbesetzen der Subjektpronomen, vor allem bei unpersönlichen Verben, und das seltene Auftreten von Satzverbindern, beispielswiese bei „Je ne pense pas bien qu’il soit un bon ami“ (ibid S.33) zu sprechsprachlichen Charakteristiken. Eine Vereinfachung der Satzstruktur findet ebenso durch die Möglichkeit statt, kompliziertere Passivkonstruktionen durch eine unpersönliche on-Phrase im Aktiv zu ersetzen, beispielsweise bei „il a été trouvé dans sa voiture“ vs. On l‘a trouvé dans sa voiture (ibid S.23). Dadurch, dass sich der Sprecher meist in dialogischer Situation befindet (im Gegensatz zu einer linearen Situation der Schriftsprache), kommt es häufig zu Satzabbrüchen oder Abweichungen von begonnenen Satzstrukturen, beispielsweise durch Unterbrechungen der Gesprächspartner, was auch Anakoluthe, die Überlagerung zweier Sprecher, zur Folge haben kann, beispielsweise im Satz: „Euh…je t’ai dis…“ (ibid S.56) (nächster Sprecher): „rien!“ (ibid). Doch auch ohne solche Störfaktoren kommt es zu thematischen Abbrüchen/Gedankensprüngen, da bei einem unvorbereiteten Sprechakt die Zeit fehlt, die Aussagen einwandfrei zu ordnen, was häufig zu Rekurrenz führt. Daher herrschen in „Le serrurier volant“ hinsichtlich der fingierten Oralität eher die parataktische Satzkonstruktionen vor, wohingegen ein sparsamer Umgang mit Hypotaxen die Regel ist und zudem zum besseren Verständnis für den Gesprächspartner führt. Die gesprochene Sprache ist somit „un mélange de phrases correctes (selon la norme grammaticale classique), de bouts de phrases, de faux départs, de syntagmes et de mots fragmentaires ou isolés“ (Müller 1985: 97). Ein wichtiges Merkmal der fingierten Oralität in „Le serrurier voant“ ist die „mise en attente“ (ibid), die beispielsweise die ‚dislocation à gauche‘ oder eine Segmetierung im Allgemeinen verursacht, also die Betonung auf das dem Sprecher wichtige Element legt (vgl. Söll 1974: 47.) Ein weiteres wichtiges Element der fingierten Oralität sind spezifische Textkonstitutionen. Söll nennt hierbei Gliederungs- bzw. Eröffnugssignale, wie beispielsweise Vorspannsätze oder einzelne Wörter wie alors und mais (Söll 1974: 134), die auch mehrfach in „Le serrurier volant“ vorkommen. Außerdem kommen Unterbrechungssignale sehr häufig vor, um nach einer Unterbrechung durch den in dialogischer Rede stehenden Gesprächspartner oder durch eine Parenthese wieder an den Ausgangspunkt anzuknüpfen, beispielsweise durch „enfin“ (Benacquista 2006: 23), „donc“ (ibid) und Schlusssignale wie beispielsweise „n’est-ce pas“ (ibid S.78) oder „hein“ (ibid S.89).

4.3 Der lexikalisch-semantische Bereich in „Le serrurier volant“

Ein weiterer Bereich universaler und einzelsprachlicher Merkmale nach Koch und Oesterreicher ist der lexikalisch-semantische Bereich. Im Gebiet der Lexik ist vor allem die Tatsache, dass aus zeittechnischen Gründen meist keine „variation delectat“ (Söll 1974: 142) möglich ist, von Bedeutung. Die Folge sind Wiederholungen, aber auch eine große Anzahl von Formen, wie beispielsweise „quelqu’un“ (Benacquista 2006: .5,13,77), „quelque chose“ (ibid S.5,23,45) und „on“ (ibid S.6,32,89) ebenso wie Passepartout-Wörter, hier „truc“ (ibid S.25) „chose“ und „type“ (ibid S.36). Auch Deiktika sind sprechsprach-spezifisch, da sie eine Präsenz der Gesprächspartner und somit einen Einblick in den situativen Kontext voraussetzen. Ein treffendes Beispiel hierfür ist Marcs Bitte gegenüber Magali, in den Park zu gehen: „On y va“ (ibid S.13). In diesem Kontext weiß Magali, dass Marc den Park meint. Eine dialogische Situation fördert auch Füllwörter/Fatische Wörter, wie sie in „Le serrurier volant“ des Öfteren auftauchen, beispielsweise „euh“ (S. 9,14,30,45,87,123). Sie dienen dazu den Redefluss beizubehalten und die Absicht des Weitersprechens zu verdeutlichen, ebenso wie das „quoi énontiatif“ (Söll 1974: 144) dazu dient eine Bestätigung des Gesprächspartners zu erhalten. An dieser Stelle sind auch Hörersignale, wie „mmh“ (Benacquista 2006: 16, 22, 56), und Interjektionen, wie „oh“ (ibid S.45) und „ah“ (ibid S.78) zu nennen, die diese Bestätigung liefern. Versprecher werden durch das „hestitation phenomena“ (Söll 1974: 147) zu verringern versucht. Auf der anderen Seite wird versucht den Redefluss nicht abreißen zu lassen, um den Gedankengang ohne Unterbrechungen zu Ende führen zu können, wodurch keine Satzpausen eingehalten werden und versucht wird, möglichst schnell alle Informationen mitzuteilen. Dies wiederum hat die Verwendung von wenigen Satzverbindern (z.B. Relativpronomen+Beispiel) und zudem Abkürzungen zur Folge. Eine häufig auftretende Form der Abkürzung in „Le serrurier volant“ ist die Apokope, bei der die letzte(n) Silbe(n) eines Wortes gestrichen und nur der Wortstamm stehen gelassen wird, an den zum Teil wieder ein Suffix oder einzelne Buchstaben angehängt werden, wie beispielswiese „bon aprèm“ (ibid S.24), statt bon après-midi, „fac“ (ibid S.25), statt faculté, „le cam“ (ibid S.26), statt le camion und „sympa“ (ibid S.113), statt sympathique.

4.4 Der lautliche Bereich in „Le serrurier volant“

Der vierte Bereich universaler und einzelsprachlicher Merkmale nach Koch und Oesterreicher ist der lautliche Bereich. Die bereits bei Syntax und Lexik angesprochene Tendenz des mündlichen Französisch zur Kürze macht sich auch hinsichtlich der Aussprache bemerkbar. So werden Personalpronomen, vor allem das unpersönliche il, häufig entweder ganz weggelassen, verkürzt zu „i“ (Söll 1974: 148) oder mit dem darauf folgenden Verb fusioniert. Wie die folgenden Beispiele zeigen, sind Wortverschmelzungen im Roman „Le serrurier volant“ keine Seltenheit: Tu sais wird somit zu „tsais“ (Benacquista 2006: 49), il n’y a pas de moyens wird zu „iapamoyens“ (ibid S.89), je suis wird zu „chui“ (ibid S.112), je ne la connais pas wird zu „connais pas“ (ibid S.122), je ne savais pas wird zu „savais pas“ (ibid) und je ne comprends pas wird zu „comprends pas“ (ibid S.132). Ein gängiges Mittel zur Verkürzung von Sätzen stellen auch Apostrophe dar. Statt Tu es méchant sagt Marc beispielsweise „T’es méchant“ (ibid S.57), obwohl der Endbuchstabe u und der Anfangsbuchstabe e im Standardfranzösisch problemlos aufeinander treffen dürfen. Durch gewisse Satzzeichen und besondere typografische Verfahren werden Wörter, Phrasen und Sätze hervorgehoben. So wird die Dringlichkeit bei der Aussage von einem von Marcs Kunden durch die Verwendung eines Ausrufezeichens am Satzende betont: „Ouvriez la porte!“ (ibid S.95) die Zögerung, Nachdenklichkeit und Ergänzungen werden dagegen durch Gedankenstriche ausgedrückt. „Je voudrais quitter la maison –mais ce n‘est pas important– il me regardait attentivement” (ibid S.78). Die Abgrenzung zwischen tatsächlich Gesagtem und Gedachtem einer Figur wird durch Kursivdruck kenntlich gemacht: „Bien sûr, monsieur! Il est dégoûtant.“ (ibid S.77). Gelegentlich treten auch onomatopoetische Äußerungen zwischen den Dialogpartnern auf. Eine häufige Begrüßungsformel zwischen dem Protagonisten Marc und seiner Freundin Magali ist beispielsweise der Begriff „coucou“ (ibid S.49), der lautlich dem Ausruf des Kuckucks ähnelt.

5. Résumé

Au cours de dernières décennies, il ne semble plus possible de séparer la langue parlée de la langue écrite. Le modèle de la langue de proximité et de distance de Koch et Oesterreicher ainsi que les recherches de Brumme et Söll attirent l'attention sur le phénomène de l'oraltité imaginaire en remarquant qu'aussi la littérature écrite présente une oralité conceptuelle qui implique de la spontanéité, de la familiarité et de l’expressivité qui sont présentées de façon exemplaire dans le roman «Le serrurier volant» de Tonio Benacquista.

Avec l’aide d’un narrateur auctoriale qui est capable de juger les caractères et leur actions –particulièrement de façon ironique– de changer les scènes et la chronologie de l’histoire, il paraît que l’identification du lecteur avec les caractères soit simplifiée et une relation de proximité est créé. Notamment, la phantaisie du lecteur est stimulée et ainsi l’attrait de continuer à lire. De plus, les quatre domaines linguistiques concernant les aspects universels de la langue parlée –le domaines textuel-pragmatique, syntaxique, lexical-sémantique et phonétique– sont principals pour la langue de proximité dans «Le serrurier volant». Les pauses pragmatiques, les signes de contact et les mots répétés, les anacoluthes, les parenthèses et les structures paratactiques, les deictica, les explétifs et les apocopes ainsi que les fusions de parole, les signes de ponctuation et l’onomatopoetica sont utilisés fréquemment dans ce roman. Comme la mimique et la gestuelle ainsi que l’expression vocale d'une figure ne peuvent pas être représentées dans l'écrit, des aspects grammaticaux sémantiques et phonétiques prennent ce but. En résumé, l’oralité imaginaire est surtout un moyen de style littéraire qui soutient le mode de narration et l’imagination du lecteur.

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