Gelebte Schreibkultur
Wer eine Füllfeder von Montblanc besitzt, kann in der Regel eine ganz persönliche Geschichte dazu erzählen. Unsere Autorin Wilma Bögel suchte am Hauptsitz des Hamburger Unternehmens nach dem Grund, der diese Schreibgeräte so besonders macht. Was sie im hohen Norden vorfand, ist gelebte Schreibkultur.
Mit einem Handschuh nimmt die Verkäuferin vorsichtig den Füller aus der Vitrine und streckt ihn mir lächelnd entgegen: «Fühlen Sie ruhig. Das Gehäuse wurde nach dem Vorbild einer Vinylplatte angefertigt und wenn sie genau hinschauen, dann erkennen sie, dass der Clip die Form einer Gitarre hat.» Hastig wische ich meine Hände an den Hosenseiten ab. Als ich das edle Schreibgerät entgegen nehme, schiessen mir zwei Gedanken durch den Kopf. Erstens: Bloss nicht fallen lassen. Zweitens: Keine Fingerabdrücke hinterlassen. Dann halte ich ihn in der Hand, den zu Ehren John Lennons angefertigten Montblanc-Füller.
Ein paar Tage später stehe ich der Hauptzentrale von Montblanc in Hamburg vor einem ähnlichen Problem. Um den für mich passenden Füller zu finden, soll ich den Satz «Der höchste Berg in Europa ist der Mont Blanc» auf das vor mir platzierte elektronische Tablet schreiben. Ich schreibe, oder nennt man das krakeln, den Satz so, wie ich halt nun einmal schreibe, wobei die Augen von Stefan Friedrich jeden Schwung und jede Bewegung beobachten. Obwohl ich nichts verkehrt machen kann, bin ich überzeugt, alles falsch zu machen. Grund für meine Nervosität ist die Aussage des stellvertretenden Abteilungsleiters der Hamburger Montblanc-Federmanufaktur: «Jeder Schreibende hinterlässt eine individuelle Tintenspur auf dem Papier und aus dieser können wir einiges über den Charakter des Urhebers herauslesen.»
Diagnose Raupenschreiber
«Bespoke nib» heisst das Verfahren, mit dem die Experten des Luxusgüter-Herstellers die Schreibcharakteristika eines Kunden testen. Immer mit dem Ziel, ihm ein einzigartiges und vor allem individuelles Schreiberlebnis zu bescheren. Nach dem Test können mir die Spezialisten treffsicher eine der acht sich im Portfolio befindenden Federbreiten zuordnen. Ebenso erkennen sie, ob ich eine runde, eine flache oder vielleicht sogar eine abgeschrägte Feder benötige und wie dick der Korpus sein sollte. Während ich von Stefan Friedrich kurz darauf die Diagnose Raupenschreiber erhalte – «Sie ziehen Ihre Hand nicht regelmässig nach, sondern raupenartig zuerst die Finger und dann erst die Handfläche» –, gehen die Handwerksmeister der Federmanufaktur nebenan routiniert und mit höchster Präzision ihrer Arbeit nach.
In knapp vierzig Schritten fertigen sie die Goldfeder, das Herzstück eines Montblanc-Füllers. Dazu werden nicht nur die eigens hier am Standort Hamburg hergestellten Maschinen benötigt, sondern vor allem die menschlichen Sinne und das Talent der Meister. Präzise Fingerfertigkeit, ein nahezu perfektes Gehör, Adleraugen und die Liebe zum Detail – gepaart mit jahrelanger Erfahrung. Das sind die Zutaten, die aus einem schlichten Stück Goldblech ein einzigartiges Prestigeobjekt machen.
Die perfekte Mischung machts aus
Geliefert wird das Gold einmal wöchentlich, jeweils dreissig bis vierzig Kilo, 14 bis 18 Karat, fein gewickelt als gewalztes Band auf einer Rolle. Aus diesem wird die Grobform der Feder ausgestanzt, die anschliessend je nach Kollektion ihre charakteristische Prägung erhält. Bei Sonderkollektionen und Einzelanfertigungen wird diese sogar von Hand eingraviert. Allen gemein ist die Zahl 4810. Sie steht für die Höhe des Mont Blanc, des namensgebenden Berges. Anschliessend wird die Feder in Form gepresst und mit einer aus einer Iridiumkugel bestehenden Spitze versehen. «Gold gehört zu den wertvollsten, aber auch biegsamsten Metallen», erklärt Stefan Friedrich. «Durch die harte Iridiumspitze schaffen wir die perfekte Mischung einer flexiblen, aber lebenslang haltenden Schreibfeder.»
Anschliessend wird die Feder geschnitten, poliert, geschliffen, mit dem Zuführeraggregat zusammengesetzt und auf Kratzgeräusche getestet. Besonders faszinierend ist der Schleifvorgang. Mit weichen, kunstvollen Drehungen (be)schreibt die Meisterin Achten auf die sich drehende Rolle und gibt dem Glanzstück so den richtigen Schliff. «Hinter dieser Perfektion stecken Jahre an Übung, bereits die Ausbildung dauert ein Jahr», sagt der stellvertretende Abteilungsleiter Friedrich, der seit über 16 Jahren im Unternehmen tätig ist und nahezu jeden Arbeitsschritt selber erlernt hat. Neben der richtigen Handhabung ist es vor allem ein geschultes Auge, das die Meister zu wahren Meistern werden lässt. Denn auch wenn die Lupe in der Fertigungshalle ein absolutes Muss ist und jeder hier seine persönliche besitzt, erkennen die oftmals schon Jahrzehnte im Unternehmen tätigen Angestellten bereits mit blossem Auge, ob und was an einer Feder noch nicht passt; und das auf den Mikromillimeter genau.
Sondereditionen und Einzelanfertigungen finden ihre Meister im hauseigenen Atelier. In dem separaten Arbeitsbereich wacht Sabine Bach über das Team. Sie ist auch verantwortlich dafür, dass die ganz teuren Stücke eine angemessene Sonderbehandlung erhalten. Aktuelle und besondere Kollektionen thronen auf einem schwarzen Podest mitten im Raum. Unter einem kleinen Glaskasten liegt auch der zu Ehren von Prince Rainier III. von Monaco gefertigte, mit Diamanten besetzte Füller, der auf 81 Exemplare limitiert und 219 000 Franken wert ist. Während ich staune, erklärt Sabine Bach: «Jeder einzelne Stein wurde vorsichtig mit der Hand in das Metall eingesetzt. Stück für Stück wurden so insgesamt 996 Diamanten und 92 Rubine im Wert von acht Karat verarbeitet.»
Manchmal betritt sogar ein Kunde persönlich das Atelier und lässt sich zusammen mit Sabine Bach und ihrem Team ein Einzelstück fertigen. Wer nun denkt, dass dieses Vergnügen ausschliesslich Scheichs, Firmenbossen oder Adligen vorbehalten sei, liegt falsch. Vor ein paar Monaten beispielsweise sass der deutsche Komiker Mario Barth neben Sabine Bach und entwarf sein Meisterstück. Entstanden ist ein Werk in sattem Orange, dessen Clip die Treppen zum Erfolg symbolisiert.
Kunstvolle Kultur
In Gedanken noch bei der Vielfalt der Meisterstücke, treffe ich im Anschluss meines Besuchs in der Produktion und im Atelier auf Christian Rauch. In seiner Position als Director Manager Writing Culture trägt er die kaufmännische Verantwortung für alle Schreibgeräte. Im Unternehmen ist der smarte Bayer seit 2009, Tinte und Feder gehören aber seit Kindertagen zu seinem Leben. Nachdem ihm sein Opa den mit vielen Geschichten belegten Pelikanfüller schenkte, entdeckte Rauch seine Passion für diese besondere Form der handschriftlichen Kunst. Und nicht nur das. Als seine Eltern ihm zum Abitur 1991 den ersten Montblanc-Füller schenkten, konnte er bereits treffend feststellen: «Die Feder passt nicht zu meinem Schreibstil.»
Christian Rauch erzählt mir nicht nur die persönliche Geschichte seines ersten Montblancs, sondern bringt auch gleich das Geheimnis des Unternehmenserfolgs auf den Punkt: Die individuelle Inszenierung des handgeschriebenen Wortes. «Die fortschreitende Digitalisierung lässt die Sehnsucht nach der Handschrift immer grösser werden. Der persönliche Brief, handgeschrieben, ist eine Geste für Gefühle und suggeriert dem Adressaten: Ich nehme mir Zeit für dich.» Das wird auch unter den Mitarbeitern von Montblanc gelebt. So drucken sie fertiggetippte Emails vor dem Versand stets aus, fügen eine persönliche Anrede hinzu und verschicken das Schriftstück als Scan.
«Bei uns geht es nicht darum, den Umsatz durch immer grössere Produktmassen zu steigern», führt Christian Rauch weiter aus. «So wie jedes unserer Stücke einzigartig ist, so individuell ist auch der Kunde und dem gilt es gerecht zu werden. Wir verkaufen Emotionen und Gefühle gepaart mit Qualität und binden so die Menschen an die Marke Montblanc.»
Dem kann ich nach diesem Tag nur zustimmen. Denn natürlich haben Materialen wie Gold und Edelsteine ihren Wert, aber erst die Liebe und Passion, mit der die Menschen diese verarbeiten, machen die Füller von Montblanc so wertvoll. Ich jedenfalls verlasse kurz darauf das Werk am Hellgrundweg und habe nun auch meine persönliche Geschichte: Ich bin ein Raupenschreiber mit einer charakterstarken, temperamentvollen Handschrift. Eine Mediumfeder mit einer runden Spitze eben.
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