Helferflut
Helferflut
Einsatz in Passaus Epizentrum: Die Fluthelfer, und warum sie sich über Ikea-Möbel freuen.
Passau. Eine verbogene Stehlampe. Ein großes Stück Holz, aus dem rostige Nägel ragen. Ein Pappkarton voller feuchter Akten. Eine durchweichte, tonnenschwere Matratze.Groteske Dinge sind das, die über eine Menschenkette aus den Häusern geholt und weitergegeben werden, bis hin zu den großen Containern eine Straße weiter.
Vor knapp einer Woche noch Alltagsgegenstände im Leben ihrer Besitzer. Heute, ein paar Tage nach Passaus höchstem Hochwasserstand seit 500 Jahren, nur noch Müll.
Überhaupt sieht es in Ort, an der Ortsspitze der Drei-Flüsse-Stadt, verheerend aus. An der schmutzigen Verfärbung an den Hauswänden kann man sehen, wie hoch das Wasser hier gestanden hat. Jedenfalls da, wo keine Schutthaufen, die stellenweise sogar noch höher als die Schlamm-Markierung reichen, sie verdecken.
Ich bin unter den vielen Fluthelfer hier, die sich Stück für Stück den Sperrmüll weiterreichen. Es ist Mittag, die Sonne scheint, und es wird immer heißer. Und eng ist es, denn die Schutthaufen haben die ohnehin schon schmale Gasse nochmal um die Hälfte verkleinert. Die Müllsäcke sind glitschig vom Schlamm und unterschiedlich schwer, es ist sehr anstrengend, sie weiterzuhieven. Oft sind kaputte Möbelstücke dabei, dann gehen Warnrufe durch die Reihe. „Vorsicht, Nägel!" – „Achtung, Glassplitter, weitersagen." Hin und wieder ruft jemand „Ikea!", dann freuen sich alle. Die Ikea-Möbel bestehen innen nämlich tatsächlich nur aus Pappe und sind deshalb leicht zu heben. Dafür gibt es oft auch Einrichtungsgegenstände, die nicht durch die Kette getragen werden können. Dann werden mehrere Helfer auf einmal gebraucht. „Ein Job für Männer!", beschließt stolz ein schlaksiger Teenager, der für ein kaputtes Sofa mit seinen Kumpels anrückt. „Mhm, das sind mir die richtigen dafür, diese 45-Kilo-Männer," kommentiert das brünette Mädchen neben mir und grinst. Und dann kommt schon der nächste Müllsack.
Hierher, nach Ort, geschickt hat mich am Residenzplatz eine dunkelhaarige Frau in grelloranger Warnweste, eine der Fluthilfe-koordinatoren, die dafür zuständig sind, die Flut an Helfern in möglichst produktive Bahnen zu lenken. Was nicht so einfach ist. „Brauchst du Leute? Ich hab‘ hier 250 Helfer und weiß nicht, wohin damit!", höre ich einen weiteren Koordinator ihr zurufen, der über Funk mit den Einsatzstellenleitern verbunden ist. Zuviele Helfer, zuwenig „Baustellen" momentan. Auch ich und ein paar weitere Jugendliche, die sich mit Schaufeln und Besen am Residenzplatz eingefunden haben, sollen erstmal dort bleiben und auf Anweisung warten. Schließlich gibt es aber doch noch eine Einsatzstelle für uns: Die Ortsspitze. „Das Epizentrum", so drückt sich die Koordinatorin aus. Also dahin, wo es am war mit der Flut.
Zwar war es kein Erdbeben, sondern „nur" das Hochwasser, das in Passau für Verwüstung gesorgt hat, aber bis zu einem gewissen Punkt ist Naturkatastrophe gleich Naturkatastrophe, wenn man die Folgen betrachtet: Unser Weg nach Ort führt durch verschlammte, übelriechende Gassen, in denen sich meterhoch der Schutt stapelt. Die Häuser selbst sind größtenteils von ihren Bewohnern verlassen worden, die Fensterscheiben kaputt, die Türen stehen offen – wir gehen oft als Abkürzung einfach mitten durch. Auch durch das Kloster Niedernburg, in dem sogar noch das Wasser steht.
Ein seltsames Erlebnis. Letzte Woche waren diese Stätten der Verwüstung noch die alltäglichen Wege, auf denen man zur Uni, zur Arbeit, nach Hause gegangen ist. In den Kneipen an den Flüssen oder auf der Innwiese hat man sich danach getroffen und schöne Abende verbracht. Heute sind die Straßen kaum passierbar, die Kneipen geschlossen und die Innwiese gesperrt. Überhaupt scheint Passau kaum noch Passau zu sein, sondern nur noch eine dieser irgendwie anonymen, gleich aussehenden Katastrophenstädte, wie man sie aus dem Fernsehen kennt. Die so weit entfernt schienen und plötzlich Realität geworden sind, vor der eigenen Haustür.
Die Stadt sieht in diesen Tagen anders aus, ihre Bewohner allerdings auch. In Ort, wo ich schließlich angekommen bin und als Teil der menschlichen Kette Sperrmüll weiterreiche, ähneln sich die Helfer sehr in ihrer optischen Erscheinung: Gummistiefel, alte, löcherige Hosen, einfache T-Shirts, Gartenhandschuhe und Kopfbedeckungen trägt hier eigentlich jeder. Hinzu kommt der Schlamm, von dem man innerhalb kürzester Arbeitszeit von Kopf bis Fuß beschmutzt wird. Man käme nie drauf, dass das zarte, dunkelhaarige Mädchen mit dem Pferdeschwanz und dem weißen Shirt, das sie ein paar Minuten vergeblich sauberzuhalten versucht, im vierten Semester Jura studiert. Oder dass der akut sonnenbrandgefährdete, rothaarige Mitt-Dreißiger mit der weißen Kappe mir gegenüber Christian Große heißt und als Doktor der Philosophie Deutsch und Englisch am Gymnasium Vilshofen unterrichtet. Doch so verschieden alle Fluthelfer im Alltag auch sein mögen, im Angesicht der Krise sind alle gleich, vereint in ihrem gemeinsamen Ziel: Aufräumen.
Und das, obwohl viele selbst nicht direkt betroffen sind. „Meine Wohnung liegt zum Glück außerhalb der Gefahrenzone", erzählt Christian Große. „Aber Passau ist meine Heimat, und nichts zu tun wäre da einfach unerträglich." Auch Eva, die Jurastudentin, hilft aus Solidarität, sie hat viele Bekannte an der Uni, die betroffen sind vom Hochwasser.
Und gemeinsam kommen wir voran. Der Schuttberg, der sich mittags noch die ganze Gasse entlangzog und anfangs kaum kleiner zu werden schien, ist gegen Abend zu einem überschaubaren Haufen geschrumpft. Und als dann noch ein frischer Helfertrupp eintrifft, mache ich mich schließlich schlammbeschmiert auf den Weg zurück zum Bahnhof. Unterwegs hält mich eine alte Dame auf und bedankt sich wortreich bei mir und „all den anderen jungen Leuten" für unseren Einsatz für die Stadt. In Zukunft werde sie sich nie mehr beschweren, wenn die Jugendlichen in Passau zu lang feiern. Das hätten wir uns verdient.