Hier ein Auszug aus meiner Bachelorarbeit

Erstellt von Vokalmatador vor 7 Jahren
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2. Textfassungen 2.1 Fakten zu den Textfassungen  Es handelt sich bei Jer um das längste Buch der Bibel1, welches in zwei verschiedenen Textfassungen erhalten ist. Zum einen in der hebräischen Überlieferung, der masoretischen Textfassung, wie sie z.B. im Codex Leningradensis erhalten ist (MT-Jer) und zum anderen in der griechischen Überlieferung, der Septuaginta, wie sie z.B. im Codex Vaticanus erhalten ist  (LXX-Jer2). Die beiden Textfassungen unterscheiden sich in einigen Punkten wesentlich voneinander. So ist LXX-Jer in etwa um ein siebtel3 kürzer als die masoretische Textfassung.4 Darüber hinaus verfügen die beiden Textfassungen über einen unterschiedlichen Buchaufbau5, etwa im Hinblick auf die Anordnung der Fremdvölkersprüche6 und setzen "unterschiedliche Schwerpunkte."7 So beginnt MT-Jer beispielsweise mit "Worte Jeremias ..." und LXX-Jer mit "Das Wort Gottes ...". Die Theologische Gesamtdeutung von Jer ist in hohem Maße davon abhängig, auf welchen Text man sich bezieht. Aufgrund der z.T. großen Unterschiede entwickelte sich im Verlauf der Jer-Forschung eine Debatte darüber, welcher der beiden Texte der ursprünglichere darstellt. Für die Entwicklung dieser Debatte spielten antike Textfunde (allen voran aus der Qumranbibliothek) eine große Rolle.8 Es wurden bis heute neun (sechs aus der Qumranbibliothek) Jeremiahandschriften aus der Zeit des Zweiten Tempels gefunden.9 Der führende Qumranforscher Armin Lange klassifiziert antike Jer-Funde, welche „für Fragen der Textgeschichte des Jeremiabuches besonders bedeutsam[e]“ sind, in dem Aufsatz „Zur Textgeschichte des Jeremiabuches in der Antike: Überblick und neue Einsichten“10 unter: 1. proto-masoretische Texte11 2.semi-masoretische Texte12 3. Texte, die der hebräischen Vorlage der LXX-Jer nahekommen13 und 4.Textveränderungen durch (Kopisten-)Schreiber14 und Redaktoren15.2.2 Thesen zu den Textfassungen2.2.1 Grundsätzliches:Grundsätzlich gibt es im Hinblick auf die Frage, welcher der beiden Texte der ursprünglichere darstellt, zwei entgegengesetzte Forschungspositionen. Zum einen wird argumentiert, dass LXX-Jer die ursprünglichere Textfassung darstellt und MT-Jer zahlreiche Ergänzungen und Umstrukturierungen erfuhr. Diese Position stellt die heutige Mehrheitsmeinung dar.16 (Vertreter: Bogaert, Tov, Janzen, Cross, Stipp, Finsterbusch, Lange, Jacoby u.v.m.)  Zum anderen wird argumentiert, dass MT-Jer die ursprünglichere Textfassung darstellt und entweder die Vorlage der LXX-Jer gekürzt wurde oder der griechische Übersetzerkreis Kürzungen und Umstrukturierungen vorgenommen habe. Dabei handelte es sich lange Zeit um die anerkanntere These.172.2.2 Wieso und wie sich der Forschungsstand verändert hat:Lange Zeit wurde die Kürzungsthese von der Mehrheit der Jer-Forscher anerkannt, wobei der diesbezügliche Forschungsstand bereits im 18. Jahrhundert äußerst kontrovers war. Es entstanden sowohl eine Reihe von Kürzungsthesen18, welche bis Mitte des 20. Jahrhunderts von der Mehrheit anerkannt wurden, als auch einige Deutungen, die sich für eine LXX-Priorität aussprachen.19 Dabei sei allerdings angemerkt, dass die Debatte bis Mitte des 20. Jahrhunderts von „konfessionellen und ideologischen Vorurteilen geprägt“ war und ein empirisches Arbeiten, aufgrund der noch nicht entdeckten Qumran-Funde, noch nicht in der Form möglich war wie dies heute der Fall ist.20 Das Umschwingen der Mehrheitsmeinung21 geht hauptsächlich auf die, im Jahr 1973 veröffentlichte, Dissertation von Gerald Janzen zurück.22 Die im Anhang seiner Dissertation enthaltenen Qumran-Handschrift 4Q7123 bekräftigte seine Thesen und ist bis heute eine der Hauptargumentationsgrundlagen der Befürworter der LXX-Prioriät, da es deutlich größere Übereinstimmungen zwischen 4Q71 und LXX-Jer gibt, als zwischen 4Q71 und MT-Jer.24 Die Tatsache, dass es Übereinstimmungen zwischen LXX-Jer und 4Q71 gibt, wird auch von Kritikern der LXX-Priorität unbestritten anerkannt.25 Allerdings gab es auch, relativ zeitnah nach der Veröffentlichung seiner Dissertation, einige Kritiker, die die Thesen Janzens in Frage stellten.26 Die größeren Übereinstimmungen zwischen LXX-Jer und 4Q71, im Gegensatz zu den wenig vorhandenen Übereinstimmungen zwischen MT-Jer und 4Q71, führten zur Annahme27, die Vorlage der LXX-Jer bildet keine proto-masoretische-Textfassung, sondern eine nicht-masoretische-Textfassung28.  Durch den präzisen Vergleich der Handschrift 4Q71 und der LXX-Jer konnten Isomorphismus29 und die genaue Nachahmung der hebräischen Wortfolge und Satzstruktur30, als Hauptanliegen des griechischen Übersetzerkreises31 ausgemacht werden. Die beiden Hauptanliegen des griechischen Übersetzerkreises (so originalgetreu wie möglich zu übersetzen) stehen somit im extremen Kontrast32 zu der Behauptung, der griechische Übersetzerkreis habe zahlreiche Simplifizierungen und Kürzungen vorgenommen.33 Daraus wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass die nicht-masoretische-Textfassung, welche der LXX-Jer als Vorlage diente, als die ursprünglichere Textfassung, im Gegensatz zu der MT-Jer als Vorlage dienenden proto-masoretischen-Textfassung, angesehen wurde.34 Als weiteres Argument für eine LXX-Priorität, kam der von Stipp geschaffene Terminus „prämasoretischer Idiolekt“35 hinzu. Dieser sei laut Stipp eindeutig auf Ergänzungen von MT-Jer zurückzuführen und nicht auf Straffungen in der alexandrinischen Textfassung.362.2.3 Befürworter der MT-Priorität:Befürworter der masoretischen Priorität argumentieren, dass stattdessen eine proto-masoretische-Textfassung die Vorlage der LXX-Jer bilden würde, welche von den griechischen Übersetzern massiv umgestaltet wurde37 und wiesen die Behauptung, ein anderer hebräischer Text sei die Vorlage der LXX-Jer gewesen, als reine Spekulation zurück.38 Darüber hinaus weist Fischer, der "derzeit  engagierteste[n] und kompromissloseste[n] Verfechter der masoretischen Priorität"39, in seinen zahlreichen Publikationen, auf problematische Aspekte des Fundes 4Q71 hin. So verweist er immer wieder auf Eigentümlichkeiten des Fundes, etwa im Hinblick auf seine Handschrift, der Zeilenlänge und generellen Eigenarten, aus denen keine voreiligen Schlüsse gezogen werden sollten.40 Ein weiteres Problem in der heutigen Jer-Forschung sieht Fischer in einer Zirkelargumentation41, bei der "von Vorannahmen beginnend [...] ohne Gegen-Prüfen wieder darauf zurückgeschlossen" wird.42 Des Weiteren beanstandet er, dass eine Vielzahl von Jer-Forschern einfach die Position von Janzen unreflektiert übernehmen und davon ausgehend eigene Beobachtungen anschließen würden.43 Seine Hauptargumente für eine MT-Priorität stützen sich vor allem auf externe Textvergleiche44, literarische Verweise auf MT-Jer45, Qumranfunde, welche MT-Jer bezeugen46 und die Bezeugung der Ketib- und Qere-Lesarten von MT-Jer47. Infolgedessen zieht Fischer das Resultat, dass MT-Jer "als der bessere [Text] zu gelten habe" und es "in ganz Jer keine einzige Stelle [gibt] an der eine LXX-Lesart gegenüber MT wahrscheinlicher oder zu bevorzugen wäre".48 Allerdings steht Fischer mit dieser Meinung in der heutigen Jer-Forschung relativ alleine49 da. In Folge dessen wurden diverse Debatten über Fischers Position geführt50. 2.2.4 Datierungsdebatten:Armin Lange datiert die griechische Übersetzung von Jer vor das Ende des 2. Jahrhunderts v. Christus.51 Allerdings ist bis heute ungeklärt weshalb sich der griechische Übersetzerkreis dazu entschlossen hat eine nicht-masoretische Textfassung, anstatt einer proto-masoretischen Textfassung, zu übersetzen.52 Die neusten Untersuchungen53  datieren die proto-masoretische Textfassung von Jer auf das frühe 3. Jahrhundert v. Christus.54 Darüber hinaus werden die proto-masoretischen Redaktoren als "priesterliche Gruppe ägyptischer Juden [...] die den Geschehnissen am Jerusalemer Tempel und im Juda ihrer Zeit kritisch gegenüberstanden" klassifiziert.55 2.2.5 Die neusten Erkenntnisse:Besonders im Hinblick auf das unterschiedliche Buchprofil und der unterschiedlichen Buchstruktur, der MT-Jer- und LXX-Jer-Textfassung, ergaben sich vor wenigen Jahren neue Argumentationsansätze zugunsten einer LXX-Priorität.56 Die aktuellsten Funde stellen die beiden Handschriften Ms Schoyen 4612/957 und DSS F.Jer258, welche im Jahr 2016 veröffentlicht wurden, dar. Teile dieser beiden Handschriften stimmen mit LXX-Jer überein.59 Die aus dem Fund 4Q71 geschlossene These, dass der LXX-Jer eine nicht-masoretische-Textfassung als Vorlage diente, wird durch die neueren Funde somit untermauert und bestätigt. 2.2.6 Conclusion:Die Mehrheitsmeinung, einer LXX-Priorität, scheint somit auch für die nähere Zukunft gesichert zu sein. Allerdings erscheint es unrealistisch, dass die Gegenposition (allen voran Fischer) die Meinung einer MT-Priorität nun schlagartig zu Gunsten einer LXX-Priorität ändert. Somit scheint in der Debatte um die ursprünglichere Textfassung, zum Trotz der empirischen Beweislast die mittlerweile nahezu unumstößlich klar für eine LXX-Priorität spricht, vorerst noch nicht das letzte Wort gesprochen zu sein.

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