Höfische, städtische und überregionale Repräsentationsräume in barocker Kasualdichtung am Beispiel von Jacob Baldes Epithalamium (1635)

Im Frühsommer des Jahres 1635 machte in der kurbayerischen Landeshauptstadt München die Nachricht die Runde, Herzog Maximilian wolle sich zum zweiten Mal vermählen. Seine erste Ehe war durch den Tod der Gattin Elisabeth Renata von Lothringen am 4.

Erstellt von Homer vor 8 Jahren
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Januar 1635 beendet worden, ohne dass dem Paar der ersehnte männliche Nachwuchs geboren worden war.

Die Nachricht von den bevorstehenden Feierlichkeiten fiel in eine Periode politischer Entspannungsbemühungen, als Kaiser Ferdinand II. im sog. Prager Frieden ein Einvernehmen mit dem sächsischen Kurfürsten erzielte und damit nach den drei Jahre dauernden Gräueln des Schwedenkrieges eine realistische Chance für einen Reichsfrieden in greifbare Nähe gerückt war. Für Bayern drohte die Situation freilich ins Negative auszuschlagen, da mit der Verstetigung des Prager Friedens die Auflösung der katholischen Liga und der Machtverlust für Maximilian, seit Wallensteins Tod unangefochten der zweite Mann auf katholischer Seite, verbunden gewesen wäre. Dem sollte offensichtlich Maximilians Werbung um Kaiser Ferdinands 25-jährige Tochter Maria Anna entgegenwirken, um deren Hand der bayerische Kurfürst, immerhin 37 Jahre älter als sie, im Frühsommer 1635 durch seine Diplomaten am Wiener Hof anhalten ließ.

Maximilian, der Bayern in schwieriger politischer Lage das Recht der Kaiserwahl erwirkt hatte, war ‒ in Fortführung der Bestrebungen seines Vaters, Wilhelms V. ‒ auch ein bedeutender Förderer von Kunst und Religion. Ein wichtiges Instrument zur Umsetzung dieser Politik war der Jesuitenorden, der seit der Regierungszeit Wilhelms IV. seinen Einfluss auf Kultur, Bildung und Religion in Bayern stetig vergrößern konnte. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die heikle Aufgabe einer offiziellen literarischen Hochzeitsgabe, die den bayerischen Interessen in dieser komplizierten diplomatischen Situation gerecht wurde, von Angehörigen des Jesuitenordens übernommen wurde. Sehr wohl verwunderlich ist freilich die Wahl der Person, der man diese Aufgabe zumindest teilweise übertrug, nämlich Jacob Balde, zu dieser Zeit gerade 31 Jahre alt und bereits durch einige kleinere Gelegenheitswerke als Dichter hervorgetreten. Die Auszeichnung, die in dieser Wahl bestand, wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass eine weitere poetische Huldigungsgabe von dem 15 Jahre älteren Andreas Brunner beigesteuert wurde, der zu dieser Zeit bereits als Hofhistoriograph des Kurfürsten anerkannt war. Brunner, gerade aus schwedischer Geiselhaft entlassen, schrieb für die Hochzeit eine umfangreiche biblische Tragikomödie über den Nebukadnezar-Stoff, seinen bei der Ankunft des Brautpaares aus Wien im Münchener Jesuitenkolleg aufgeführten Nabuchodonosor. Baldes Gedicht ist verglichen mit diesem Drama wesentlich geringer im Umfang, doch stellt der junge Dichter anders als Brunner eine erstaunliche Fähigkeit unter Beweis, mit der konkreten historischen Situation und den Gegebenheiten des Festkontextes umzugehen. Es gelingt ihm, drei sehr disparate Themen zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufügen ‒ eine Ekphrasis des Münchener Hofgartens, eine lange Werbungsrede des Landesgöttin Bavaria vor Kaiser Ferdinand II. mit eindringlichen Kriegsschilderungen, sowie einen virtuos komponierten Schlussteil, in dem er in Art eines Potpourris den Musengott Apollo über Szenen aus Brunners Drama fantasieren lässt. Alle diese Themen stehen in Bezug zur Hochzeitsthematik ‒ die Naturschilderung des frühlingshaften ersten Teils ist eine verschlüsselte Verherrlichung der Liebe, der zweite Teil liefert die historische Dimension des aktuellen Werbungsgeschehens, und der dritte Teil führt direkt in den Festkontext der Sommermonate des Jahres 1635. Doch Balde geht noch einen Schritt darüber hinaus, indem er sich intensiv mit einer poetischen Vorlage auseinandersetzt, die als Muster dichterischer imitatio für weite Strecken des Gedichts Pate steht.

Balde wählt für seine Hochzeitsdichtung nämlich die Form des epischen Epithalamions, wie wir sie vor allem aus zwei Gedichten der lateinischen Antike kennen, dem Epithalamion für Stella und Violentilla des Statius, und dem Hochzeitsgedicht Claudians für Kaiser Honorius, der im Jahr 398 die Tochter seines Heermeisters Stilicho, Maria, geheiratet hatte und von seinem Hofdichter mit einem epischen Gedicht bedacht wurde. Episch sind diese Epithalamien, weil sie, anders als etwa Catulls carmen 61, eine epische Handlungsstruktur mit entsprechender räumlich-zeitlicher Dimensionierung aufweisen. Balde wählt vor allem Claudians Gedicht als Modell, wobei er freilich charakteristische Veränderungen seiner Vorlage vornimmt, die den spezifischen Gegebenheiten von Privatheit und Öffentlichkeit in der frühneuzeitlichen Repräsentationskultur Rechnung tragen. Ich möchte im Folgenden versuchen, diese intertextuellen Bezüge unter dem Aspekt des in den Gedichten jeweils repräsentierten epischen Raumes zu beschreiben. Betrachten wir zunächst die Handlungsstruktur von Claudians Epithalamion etwas genauer.

Das Gedicht gliedert sich in drei Teile. Der erste Abschnitt dieses Gedichts führt den liebeskranken Kaiser Honorius vor Augen. Dann folgt ein abrupter Ortswechsel: Der Liebesgott Amor bekundet seine Freude über das jüngste Opfer (46b-48) und begibt sich nach Zypern in den Palast der Mutter Venus. Diesem wird eine ausführliche Ekphrasis gewidmet: Der umliegende Garten ist ein Ort des ewigen Frühlings, die Macht der Liebesgöttin wirkt bis in die Vegetation hinein (49-68). Der Garten ist von allerlei Personifikationen bevölkert, die verschiedene Aspekte der Liebe repräsentieren (69-85a). Amor trifft Venus, umgeben von den Grazien, bei der Haarpflege an. Stolz berichtet der Liebesgott von seinem Triumph über Honorius und bittet Venus um ihr Einverständnis (166b-122a). Ohne zu antworten schnürt die Göttin ihren Liebesgürtel um, geht zum Meeresufer und lässt die Überfahrt vorbereiten. Der folgende Abschnitt hat transitorischen Charakter: Venus reitet auf Triton über das Meer, gefolgt von einer großen Schar von Meeresgottheiten. ‒ In Ligurien angelangt legt Venus den letzten Teil der Reise in der Luft zurück und erscheint in Mailand; das Ziel der Reise ist erreicht. Die Göttin wendet sich an die hier stationierten Soldaten und fordert sie auf, sich für den feierlichen Anlass der Hochzeit bereitzumachen. Sie gibt nun verschiedenen Gottheiten detaillierte Anweisungen für das bevorstehende Fest. Dann begibt sich die Liebesgöttin zu Maria und trifft die Tochter Stilichos mit ihrer Mutter Serena beim Unterricht an. Sie versucht, Maria für die Hochzeit zu gewinnen, indem sie ihre Schönheit und Würde preist (251-281). Ohne dass Marias Einwilligung explizit erwähnt wird, schildert der nächste Abschnitt die Vorbereitungen zur Hochzeit. (282-294). Dann versammelt sich das Heer um den Schwiegervater Stilicho (295-299). Der letzte Abschnitt des Gedichts gibt den Lobgesang der Soldaten auf ihren Feldherrn wieder, wobei auffälligerweise die Vorzüge des Brautvaters Stilicho gepriesen werden; am Ende stehen Wünsche für das Brautpaar (300-341).

Die Schauplätze gliedern den Text also in drei Teile von ungleicher Länge: Der liebeskranke Honorius in Mailand, die Amor-Venus-Handlung auf Zypern, und ‒ nach kurzer Überleitung ‒ die Zusammenführung der „realen“ mit der „mythologischen“ Handlung in Mailand. Fragt man nun nach der semantischen Struktur der einzelnen Abschnitte, so rückt ein Thema in den Vordergrund, nämlich die Opposition von Krieg und Frieden, die in unterschiedlicher Gewichtung und Akzentuierung in den einzelnen Großteilen durchgespielt wird. Honorius in Mailand wird uns als elegischer Liebhaber präsentiert, der überwältigt von der Liebe seinen Aufgaben als Feldherr und Krieger untreu wird und sich ganz auf die militia amoris verlegt. Der Vergleich mit Achill, der sich auf Skyros in Frauengewändern vor der Fahrt nach Troja zu drücken versucht, bringt das auf den Punkt, wie aus Text 1 zu entnehmen.

In der Beschreibung des Venuspalastes wird die elegische Umwertung der Werte in gewisser Weise auf die Spitze getrieben. Wenn hier von Krieg die Rede ist, so nur im spielerischen Sinne auf Amor bezogen, der mit seinen Pfeilen die höchsten Götter trifft. Venus spricht ihren Sohn an, indem sie ihn nach den von ihm durchstandenen proelia fragt, worauf er mit seinen Erfolgen im Liebeskrieg prahlt (Text 2).

Dass es sich beim Venuspalast um ein Kontrastbild zu der folgenden Mailänder Szenerie handelt, wird sofort deutlich bei der Ankunft der Venus in Mailand. Rosen bedecken spontan die Kriegsstandarten der Soldaten, und Venus wendet sich an die Truppen, indem sie sich ganz im Sinne der Forderung make peace, not war alles Kriegsgerät für die anstehenden Feierlichkeiten verbittet (Text 3).

Sie bewirkt damit gewissermaßen eine Erotisierung des Soldatenlagers. Auf der Handlungsebene schlägt sich das insofern nieder, als auch die Soldaten am Ende des Gedichts bei ihrer Huldigungsansprache an Stilicho ganz unkriegerisch erscheinen. Das wird schon in den Einleitungsversen des abschließenden Soldatenlobs deutlich, wie aus Text 4 hervorgeht.

Nun aber zu Baldes Interpretation dieser Vorlage. Der Gegenstand des ersten Teils, der Ekphrasis des Münchener Hofgartens, ist bereits im ersten Wort hortus des Proöms angekündigt. Balde wählt damit für die einleitende Partie statt wie bei Claudian einen halbmythischen Ort ein reales Prestigeobjekt Kurfürst Maximilians, nämlich den in den Jahren 1613 bis 1617 errichteten Hofgarten der Münchener Residenz. Baldes Beschreibung, das dichterische Kernstück des Werks, gilt also einem Repräsentationsbau, in dem der politische Machtanspruch Maximilians symbolisiert war. Zugleich ist zu berücksichtigen, dass der Hofgarten natürlich den Blicken der Öffentlichkeit entzogen war, er hat als Refugium privaten, als Repräsentationsraum öffentlichen Charakter.

Wie bei Claudian ist die topographische Ekphrasis dem epischen Narrativ vorgeschaltet und kontrastiert als gewissermaßen statisches Erzählelement mit den nachfolgenden handlungsreicheren Partien.

Welche Aussagen macht Balde nun aber über den Hofgarten? Er präsentiert ihn schon im Proöm als paradiesähnliche Anlage, der selbst der Sonnengott als Wohnung für seinen Vogel Phoenix den Vorzug gegeben hätte (Text 5). Anders als bei Claudian wohnen hier nicht die personifizierten Gottheiten der freizügigen Liebe, sondern der Garten ist beherrscht vom Hochzeitsgott Hymen, den Balde als ein Gegenbild zu seinem frivolen antiken Vorgänger stilisiert (Text 6). In der Anlage des Gartens selbst kommen verschiedene Motive zum Tragen: Natürlich finden sich zahlreiche Elemente der traditionellen locus-amoenus-Topik, wie kühle Quellen, schattige Rückzugsorte, Obstbäume und Vogelgesang. Doch ist Balde sichtlich bemüht, seiner Gartenbeschreibung Bezüge zur übergeordneten panegyrischen Thematik des Gedichts zu verleihen. So findet sich in den Versen 60 bis 77 eine längere Passage, in denen die Herkulesstatuen in den Nischen der Umfassungsmauern beschrieben werden ‒ eindeutig ein Bezug auf die Herkulesmotivik am Wittelsbacher Hof. Die Blumenbeete in den Versen 78 bis 98 werden nicht einfach als farbenfrohe Vegetation geschildert, sondern die Scharen der Blumen stellen für Balde die aufziehenden Soldatenheere dar, die unter dem Oberbefehl der Blumengöttin Chloris gegen Unkraut und Wildwuchs in die Schlacht ziehen ‒ ein Vorverweis auf die Schlachtschilderungen im zweiten Hauptteil des Gedichts. Das bestimmende Thema des Gartens ist freilich die keusche Liebe, deren Macht sich bis auf die Bäume erstreckt, die ganz anthropomorph geschildert werden.

Erst am Ende wird der Sinn dieser idyllischen Schilderung klar: Euphrosyne wendet sich klagend an Hymen und bedauert, dass eine Person, und zwar die wichtigste, an den Freuden im Garten nicht teilhaben kann (Text 7). Damit ist natürlich Maximilian gemeint, der als Witwer tatsächlich im Kontrast zu den geschilderten Lustbarkeiten steht. Hymen entgegnet, dass er schon längst um dieses Problem wisse und sich um eine neue Braut für seinen Herrn gekümmert habe.

Bei Claudian war es ein anderer Grund gewesen, der die Brautwerbung motiviert hat: Amor hatte der Liebesgöttin ja davon berichtet, dass Honorius von seinem Pfeil verwundet jetzt die Qualen des Verliebten erleidet (Claud. 10,117-122). Hier ist wie schon in der einleitenden Partie deutlich auf das erotische Begehren des Kaisers abgehoben. Balde hingegen meidet in seinem ganzen Gedicht solche für antike Epithalamien übliche anzügliche Anspielungen und setzt damit dichterisch um, was er auf der Ebene des poetischen Personals schon mit der Unterscheidung zwischen dem antiken und dem christlichen Hochzeitsgott vorbereitet hatte (vgl. vv. 11-48).

Damit schwenkt die Erzählung nach Wien hinüber, wohin sich Bavaria einige Zeit vor der geschilderten Hofgartenepisode aufgemacht hatte. Das zeitliche Verhältnis zwischen der Hofgartenekphrasis und dem nun folgenden zweiten Hauptteil des Werks wird mit interea (v. 230) bezeichnet. Die Göttin ist nach dem Entschluss der Hochzeitsgottes zur Eheschließung und vor dem Gespräch zwischen Hymen und Euphrosyne in die Heimat der Braut aufgebrochen und hat sich in einen abgelegenen Teil des Palastes zu Ferdinand begeben (Text 8). Claudian hatte Venus und ihr Gefolge wie erwähnt in einer pittoresken Cortège von Zypern nach Mailand reisen lassen, wo sie die Tochter Stilichos um Einwilligung in die Hochzeit bittet. Bei Balde fehlt eine Beschreibung der Fahrt; die Erzählung setzt unmittelbar mit der Ankunft des Löwenwagens in der Kaiserstadt ein. Auch bittet Bavaria nicht die Braut selbst um ihre Einwilligung, sondern wendet sich an den Brautvater, Kaiser Ferdinand II. Bei Claudian fehlt ein ausführliches Lob der Vorzüge und Leistungen des Bräutigams, das dieser Partie entsprechen würde ‒ Honorius war zum Zeitpunkt seiner Hochzeit noch keine 14 Jahre alt! ‒, stattdessen preist Venus die körperlichen Qualitäten der Braut. Ganz anders die Landesallegorie bei Balde: Sie stellt Maximilian in aller gebotenen Ausführlichkeit als idealen Staatsmann und Feldherrn dar, der sich in schwerer Zeit für die Rettung des Reiches eingesetzt hat und damit die Hand der Kaisertochter verdient hat. Öffentlich wird die Szenerie erst wieder nach der Einwilligung des Kaisers: Bavaria und Austria wechseln die Kleider ‒ Austria ist jetzt in blau-weiße Rauten, Bavaria in rot-weiße Gewänder gekleidet ‒ und der ganze Palast tönt wieder von Lobgesängen (Text 9).

Nicht nur in Wien verbreitet sich die Nachricht, auch entlang der Isar erfahren Adel und niederes Volk ‒ Balde nennt die proceres und den populus, vgl. Text 10 ‒ von den anstehenden Feierlichkeiten. Dann folgt ein Gespräch zwischen Hymen und Apollo, in dem der Hochzeitsgott Aufträge für die Festvorbereitung erteilt, weil er selbst bei der Hochzeit in Wien anwesend sein muss. Dabei bleibt der ausdrückliche Befehl an den Musengott nicht aus, auf anzügliche Gedichte zu verzichten. Apollo ruft die anständigeren Götter zu einer Versammlung zusammen. Er bringt die Rede in einem ausführlichen certamen honoris auf die beiden Brautleute. Ergänzend zu den von Bavaria in Wien vorgetragenen Taten im Krieg stehen hier der Charakter und die persönlichen Tugenden Maximilians und der Braut im Vordergrund. Die Abschnitte der Partie wechseln in rascher Folge miteinander ab: Einer Tugend Maximilians wird jeweils ein Vorzug Maria Annas gegenübergestellt. Nimmt man die Reden Bavarias und Apollos zusammen, so rückt bei Balde der Fokus anders als bei Claudian von der Braut hin zum Bräutigam.

Im Anschluss erteilt Apollo den anwesenden Göttern Aufträge für das anstehende Fest. Bei Claudian sind diese Festanordnungen, die hier Venus vorbringt, vor die Werbungsrede gestellt, entsprechen aber denen Apollos bei Balde bis in manche Details (Claud. 10,190-227). Die Jagdgöttin Diana schlägt bei Balde zur Belustigung des Brautpaares eine Hirschjagd vor, die ihr Apollo auch zugesteht ‒ doch nicht ohne auch selbst ein eigenes Jagdspiel, freilich ganz eigener Art, anzukündigen! Die Begründung, die Apollo hierzu gibt, ist von besonderem Interesse (Text 11). Er hebt hervor, dass eine Hirschjagd auf wenige, v. a. adlige Zuschauer beschränkt ist, und deshalb soll seiner Meinung nach statt der Hirsche ein anderes Untier gejagt werden, nämlich der babylonische König Nabuchodonosor. Diese „Jagd“ ist nichts anderes als Brunners biblisches Schauspiel über den in ein Tier verwandelten Nabuchodonosor, dem nun eine phantastische prophetische Rede Apollos gilt. Mit seinem Vorschlag, den Huldigungsakt für das ankommende Brautpaar aus der Exklusivität der adligen Jagd in die bürgerliche Öffentlichkeit zu verlegen, weist Apollo zugleich auf eine wesentliche Funktion frühzeitlicher Festkultur hin, geht es hier doch nicht allein darum, einseitig die Huldigung der niederen Stände an den Landsherren darzubringen, sondern das Fest wird von Apollo als wechselseitiges Vergnügen, von dem auch das beteiligte Volk profitieren soll, dargestellt.

Schließlich werden Apollos Ausführungen jäh unterbrochen und es beginnt das furiose Finale. Noch in seiner Schilderung begriffen, sieht der Musengott plötzlich in einer Vision das Brautpaar kommen, erst hier finden sich also gewisse Anklänge an die Meeresfahrt der Venus bei Claudian, allerdings übertragen auf die Heimreise des Brautpaares. Die Götter proben hastig ihren Begrüßungschor, doch bringen sie wegen allerhand Text- und Gesangsschwierigkeiten in der Kürze der Zeit nichts Aufführbares zustande. Zuletzt muss Apollo alleine mit den Musen die Verse zur Begrüßung des Paares vortragen (vv. 684-696). Mit dem abschließenden Chor, der an das Brautpaar gerichtet ist, spannt Balde wieder den Bogen zu Claudians Epithalamium, das mit dem wörtlich wiedergegebenen Soldatenlob auf Stilicho endet (Claud. 10,300-341).

Fassen wir zusammen: Die Dreiteilung des Aufbaus mit seiner Gliederung nach Handlungsschauplätzen hat Balde von Claudian übernommen, wobei er die quantitative Unregelmäßigkeit ausgleicht, indem er sein Gedicht in drei etwa gleich lange Teile gliedert. Sein Epithalamion beginnt und endet im Münchener Hofgarten, der sich als Heimat des christlichen Hochzeitsgottes zugleich als Schauplatz für den Huldigungschor Apollos qualifiziert. Der mythische locus amoenus ist damit kein abgeschiedener Ort mehr, zu dem die normalen Menschen keinen Zutritt haben, sondern er ist als Element der repräsentativen Residenzanlage Teil der empirischen Welt. Daher kann Balde auf eine Imitation der phantastischen Meerfahrt der Venus verzichten, die bei Claudian die Verbindung von mythischer und empirischer Welt narrativ nachvollziehbar macht. Bei Balde ist das mythische Personal immer schon in die geschichtliche Welt integriert, bei Claudian tritt es von außen in diese hinein. Privater und öffentlicher Raum werden in ihrer jeweiligen narrativen Funktion deutlich unterschieden: Der Hofgarten changiert zwischen privatem Rückzugsort und nach außen wirkendem Repräsentationsraum. Er ist die heitere Negativfolie, die im Kontrast zur Trauer des Witwers Maximilian das epische Geschehen im Gespräch zwischen Hymen und Euphrosyne in Gang setzt. Am Wiener Hof hebt sich das private Audienzzimmer des Kaisers als Schauplatz der Unterredung zwischen Bavaria und Ferdinand vom Hof als Ort der öffentlichen Hochzeitsfreude ab, die konkretisiert ist in den Figuren Bavaria und Austria. Eine weitere Handlungsebene wird schließlich im Schlussteil vorgestellt: Apollo lehnt Dianas Vorschlag einer Jagd als eines traditionell aristokratischen Vergnügens ab und schlägt dagegen ein „Jagdvergnügen“ media in urbe, nämlich Brunners Theaterstück vor. Leider wissen wir nicht, wo genau der Nabuchodonosor aufgeführt wurde ‒ in Frage kommen die öffentlichen Plätze in München bzw. der Innenhof des Jesuitenkollegs ‒, doch ist immerhin bezeugt, dass es sich um eine Freilichtaufführung handelte. Der Kontrast von privilegierter Jagd außerhalb und öffentlichem Theatervergnügen innerhalb der Stadt ist hier jedenfalls diskursiv im Streit zwischen Apollo und Diana umgesetzt. Nicht nur an dieser Stelle wird deutlich, wie Balde die lokalen Verhältnisse bei Claudian verändert, indem er sie an die Gepflogenheiten der Festkultur seiner Zeit und die lokalen Gegebenheiten der Münchener Topographie anpasst. Seine Claudian-imitatio dürfte jedenfalls beim Kurfürsten auf wohlwollende Ohren gestoßen sein, wird er doch wenige Jahre danach ‒ wohl nicht zuletzt auch wegen des virtuosen Kriegsberichts, den er seiner Bavaria im Epithalamium in den Mund gelegt hat ‒ zum Hofhistoriographen Maximilians ernannt.

Text 1: Claud. Epith. Hon. 16-19

Scyria sic tenerum uirgo flammabat Achillem

fraudis adhuc expers bellatricesque docebat

ducere fila manus et, mox quos horruit Ide,

Thessalicos roseo pectebat pollice crines.

So entflammte das Mädchen von Skyros, das bis dahin noch keine List kennengelernt hatte, den jungen Achilles, lehrte die Hände des Kriegers Spinnfäden ziehen und kämmte seine thessalischen Haare, vor denen bald darauf das ganze Idagebirge erschrecken sollte, mit ihrem rosigen Daumen.

Text 2: Claud. Epith. Hon. 111-122a

‘quid tantum gauisus?’ ait; ‘quae proelia sudas,

inprobe? quis iacuit telis? iterumne Tonantem

inter Sidonias cogis mugire iuuencas?

an Titana domas? an pastoralia Lunam

rursus in antra uocas? durum magnumque uideris debel­lasse deum.’

suspensus in oscula matris

ille refert: ‘laetare, parens; inmane tropaeum

rettulimus. nostrum iam sensit Honorius arcum.

scis Mariam patremque ducem, qui cuspide Gallos

Italiamque fouet, nec te praeclara Serenae

fama latet. propera; regalibus adnue uotis,

iunge toros.’

„Warum so fröhlich? Von welchen Kämpfen steht dir der Schweiß auf der Stirn, du Schelm? Wer ist deinen Pfeilen erlegen? Zwingst du Jupiter schon wieder, unter den Kü­hen von Sidon zu muhen? Oder machst du dir den Titan untertänig? Oder rufst du wieder die Mondgöttin in die Höhlen des Hirten? Streng und gewaltig scheint mir der Gott zu sein, den du niedergerungen hast.“

Er aber erhob sich, um die Mutter zu küssen, und sagte: „Freue dich, Mutter; ich habe eine gewaltige Trophäe mit­gebracht. Schon hat Honorius unseren Bogen zu spüren bekommen. Du kennst Maria und ihren Vater, der als Feld­herr mir seiner Lanze die Gallier und Italien schützt, auch ist dir der hervorragende Ruf Serenas nicht unbekannt ge­blieben. Schnell, stimme den Wünschen des Kaisers zu und vereinige ihre Betten.“

Text 3: Claud. Epith. Hon. 190-201

‘Gradiuum, nostri comites, arcete parumper,

ut soli uacet aula mihi. procul igneus horror

thoracum, gladiosque tegat uagina minaces.

stent bellatrices aquilae saeuique dracones:

fas sit castra meis hodie succumbere signis.

tibia pro lituis et pro clangore tubarum

molle lyrae festumque canant. epulentur ad ipsas

excubias; mediis spirent crateres in armis.

laxet terribiles maiestas regia fastus

et sociam plebem non indignata potestas

confundat turbae proceres. soluantur habenis

gaudia nec leges pudeat ridere seueras. ...’

„Meine Begleiter, haltet Mars eine kleine Weile ab, damit ich den Hof für mich allein haben kann. Fern sei auch der feurig glänzende Schrecken der Harnische, und die Schei­de soll die drohenden Schwerter bedecken. Kriegerische Adler und wilde Drachen sollen ruhen: Heute sei es er­laubt, dass sich das Lager meinen Feldzeichen unterwerfe. Flöten sollen anstelle der Signalhörner und Leiern anstelle der schmetternden Trompeten ein weiches und festliches Lied erklingen lassen. Selbst die Nachtwachen sollen ein Festmahl halten; inmitten der Waffen sollen die Weinkrü­ge duften. Die kaiserliche Hoheit soll von ihrem ein­schüchternden Stolz ablassen, die Mächtigen sollen die Menge, die sich ihnen anschließt, nicht verschmähen und Adel und Volk vermischen. Die Freude soll von ihren Zü­geln befreit werden und keiner schäme sich, über die strengen Gesetze lachen. ...“

Text 4: Claud. Epith. Hon. 295-299

candidus interea positis exercitus armis

exultat socerum circa; nec signifer ullus

nec miles pluuiae flores dispergere ritu

cessat purpureoque ducem perfundere nimbo.

haec quoque uelati lauro myrtoque canebant: ...

Das Heer, ganz in weiß gekleidet, hatte indessen seine Waffen niedergelegt und ließ rings um den Schwiegervater seinen Jubel ertönen; weder Fahnenträger noch Soldat säumte jetzt noch, Blumen wie Regen rieseln zu lassen und den Anführer mit einem purpurroten Guss zu über­schütten. Auch sangen sie Folgendes, bekränzt mit Lor­beer und Myrte: ...

Text 5: Balde Epith. 1-10

HORTUS ad Auroram spectat, quo pulchrius Orbis

Vix quidquam Germanus habet; pretiosior auro

Hesperidum; et si quod multa ausa Semiramis olim,
Ventorum auxilio, pendens nemus intulit astris.
Illum oriens Titan primis hinnitibus afflat,
Subsistítque diu faciem miratus amoenam;
Et praeteruectus Clymenaei nectaris imbrem
Inuergit: referúntque Dies ab honore Ministri,
Saepe volutantem Dominum dubitasse, suámne
Deberet volucrem Phoenicem, his credere septis.

Ein GARTEN blickt nach Osten – kaum etwas Schöneres als ihn haben die deutschen Länder. Er ist kostbarer als das Gold der Hesperiden und als jeder hängende Hain, den etwa die kühne Semiramis einst mithilfe der Winde zu den Sternen getragen hat. Ihn weht der Titan beim Aufgang mit dem ersten Wiehern seiner Rosse an, hält inne, bewun­dert lange den lieblichen Anblick und lässt, nachdem er vorbeigefahren ist, den Nektar Clymenes darüber regnen. Und die Tage, seine Ehrendiener, berichten, ihr Herr habe oft hin und her schwankend erwogen, ob er nicht seinen Vogel Phoenix diesem Garten anvertrauen solle.

Text 6: Balde Epith. 11-16

Hic habitat festiuus HYMEN, diuersus ab illo,
Quem Musâ genitum prisci coluere, virenti
Verbena nucibúsque proci, Cypriísque columbis.
Hunc noua concepit Tyberino in littore Roma,
In castos enixa toros: quo tempore septem
Montibus accessit Rupes Octaua Tonantis.

Hier wohnt der heitere HYMEN, verschieden von dem, den als Sohn einer Muse früher mit einem grünem Zweig, Nüssen und zyprischen Tauben die Freier verehrten. Die­sen Hymen empfing ein neues Rom am Tiberstrand und gebar ihn in einem keuschen Bett, als der achte Hügel zu den sieben Bergen des donnernden Gottes hinzukam.

Text 7: Balde Epith. 211-215

Nos modò jucundo fruimur jactantiùs aeuo,
Túque magis. sed enim ingrati durique videmur:
Qui patimur Viduum facientem haec otia nobis,
Tot curis bellísque premi; nec blanda vicissim
Otia, nec nostri decus indulgemus amoris.

„Wir allein genießen ohne jede Rücksicht das angenehme Leben, und du noch mehr. Doch erscheinen wir dabei doch undankbar und gefühllos, wenn wir es zulassen, dass der Witwer, der uns diese Mußezeit bereitet, von so vielen Sorgen und Kriegen bedrängt wird. Und wir gewähren ihm im Gegenzug nicht die verlockende Muße und unsere schöne Liebe.“

Text 8: Balde Epith. 244-246

At Dea secretam gressum promouit in Aulam.
Interiore polo, dignáque in sede recepta
Substitit, et prono vultu libauit honorem,
AUSTRIACI gauisa IOVIS contingere dextram.

Die Göttin aber lenkte ihren Schritt in eine abgetrennnte Halle. Im inneren Himmelsbereich und an würdigem Ort empfangen, blieb sie stehen, gab mit geneigtem Gesicht ehrenhalber einen Handkuss und freute sich, die Rechte des ÖSTERREICHISCHEN IUPPITER zu berühren.

Text 9: Balde Epith. 385-387

Confestim strepuere Lares, dulcíque tumultu
Icta, flagellatis nutauit postibus Aula.
Indicium choreis muri plausere futuris.

Sofort lärmten die Laren, die Türpfosten wurden erschüt­tert und der Palast wankte, vom angenehmen Getümmel erregt. Die Mauern klatschten Beifall und deuteten damit künftige Reigen an.

Text 10: Balde Epith. 409-412

Fama volat, procerésque docet populúmque Thalia
Connubiale Sacrum, Myrtúsque et Taeda paratur.

Et quacunque fluit rixantibus Isara ripis;
Nereidum studio celebres narrantur amores.

Das Gerücht verbreitet sich im Flug; Thalia unterrichtet die Vornehmen und das Volk von dem heiligen Ehebund; Myrte und Fackel werden vorbereitet. Und wo immer die Isar fließt und die Ufer mit ihr streiten, wird von den eifri­gen Nereiden von der Liebe, die nun in aller Munde ist, erzählt.

Text 11: Balde Epith. 529-542

Id tamen in placito tantarum pondere rerum
Nondum dispicimus: posituris retia campo
Nodosasque plagas; quaenam reditura voluptas
Sit tam sollicitos compensatura labores.

Nam quota pars fruitur? quis Ciuis in auia fertur?

Scrutatúrque cauas decisis frondibus alnos,

Aut querceta subit Dodonaeásque cauernas?
Si ceruum pauitantem ensis, si lancea pinguem
Hausit aprum: periit voti mox tota cupido.
Atqui non ego te, tua nec spectacula damno,
Si modò sufficerent nobis. quia rure vagantur
Sunt priuata nimis. communia gaudia, plausu
Communi sancire decet. Venabimur ergo?

In media potiùs Brutum venabimur Urbe.

Doch sehe ich angesichts dieser gewaltigen Veranstaltung, die wir vorhaben, noch nicht, welches Vergnügen im Ge­genzug diejenigen haben werden, die die Netze und die verknoteten Garne auf dem Feld auslegen, das ihnen die Anstrengung und die Mühe aufwiegen wird. Denn wie wenige haben einen Genuss davon? Welcher Bürger eilt ins abgelegene Gelände, durchsucht die hohlen Stämme der Erlen, denen man das Laub abgeschlagen hat, oder be­gibt sich in die Eichenwälder und in die dodonäischen Höhlungen? Wenn das Schwert den furchtsamen Hirschen und die Lanze den fetten Eber aufgespießt hat, dann ist bald alle Lust auf Glückwünsche vergangen. Doch ich verurteile weder dich noch deine Schauspiele – wenn sie für unsere Zwecke nur ausreichen würden! Weil sie sich ohne festen Ort auf dem Land abspielen, beschränken sie sich zu sehr auf einzelne. Allgemeine Freude muss mit all­gemeinem Applaus bekräftigt werden. Wollen wir also ja­gen? Dann doch lieber mitten in der Stadt ein Untier!

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