Ist die Haftung von Staaten für Unrecht ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Völkerrechts? Tragen die Entscheidungen internationaler Gerichte und Tribunale zu der Fragestellung bei?
„Es ist ein Prinzip des Völkerrechts, und sogar eine allgemeine Konzeption des Rechts, dass jeder Bruch einer Vereinbarung eine Verpflichtung zur Wiedergutmachung in adäquater Form enthält. (...) Wiedergutmachung ist daher die unabdingbare Komplementierung des Versagens eine Vereinbarung einzuhalten.“[1]
Diese Feststellung, die der StIGH 1927 in dem Fall Fabrik von Chorzów traf, bildet die Grundlage des Rechts über die Staatenhaftung im Völkerrecht.[2] Auf ihr baut ein System von konkretisierenden Normen über die Staatenverantwortlichkeit auf, die zu einem großen Teil gewohnheitsrechtlich anerkannt sind, andererseits immer noch in einigen Fragen umstritten sind, weshalb eine umfassende vertragliche Kodifikation bisher noch nicht gelungen ist.[3] Jedoch leistete die International Law Commission (ILC) einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Rechts über die Staatenverantwortlichkeit, indem sie ihren Entwurf 2001 nach fast 50 Jähriger Arbeit als die Artikel über die Staatenverantwortlichkeit kodifizierte und der von der UN-Generalversammlung als UN-Resolution angenommen und allen Staaten empfohlen wurde.[4] Die Anerkennung dieses Grundsatzes der Staatenverantwortlichkeit als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Völkerrechts ist weithin unumstritten.[5] Und dennoch wirft die Fragestellung, ob es sich bei der Haftung von Staaten für Unrecht um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Völkerrechts handelt Probleme auf, denen mit bloßem Verweis auf diesen Rechtssatz nicht genüge getan wird. Denn würde man es für die Wirksamkeit eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes genügen lassen, dass dieser durch ein internationales Gericht oder Tribunal festgestellt würde, stellt sich die Frage, ob internationale Gerichte oder Tribunale legitimer Weise Recht setzen können oder sollten? Welchen Einfluss spielen internationale Gerichte und Tribunale bei der Entstehung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen?
Um diese Fragen zu beantworten, setze ich mich in einem ersten Teil der Themenarbeit mit der Frage der dogmatischen Herleitung und Entstehung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen auseinander und gehe danach auf die Praxis der internationalen Gerichte und Tribunale ein. In einem zweiten Teil befasse ich mich mit dem Grundsatz der Staatenverantwortlichkeit im Speziellen. Ich werde untersuchen, ob die historische Herleitung des Rechtssatzes Aufschluss über seine Rechtsnatur geben kann, werde ihn dann in einen Kontext im modernen Völkerrecht einordnen und untersuchen, ob die Praxis von internationalen Gerichten Aufschluss über seine Entstehung geben kann, bevor ich auf die im ersten Teil erörterte Herleitung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen zurückkomme, um eine Feststellung über die Rechtsnatur des Grundsatzes treffen zu können.
[1] StIGH (1927) Fall von Chorzów, Ser A Num 9, S. 27.
[2] Vgl. Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, 540; Arnauld, Völkerrecht, Rn. 371.
[3] Arnauld, Völkerrecht, Rn. 375.
[4] Crawford, State Responsibility – The General Part, S. 41.
[5] Vgl. Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law.