Kürzestgeschichte: Die In-sich-Ruhende

Erstellt von amonahan vor 4 Jahren
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Ich hatte schon vor Längerem festgestellt, dass ich in meinem Erwachsenenleben abgestumpft geworden war. Das ließ sich vor allem an der langsamen Reaktionszeit feststellen – bei ganz banalen Dingen, zum Beispiel: Ich schmeiße eine Flasche Wasser um, die offen steht, und sie flutet daraufhin in zügigem Tempo den Boden, während ich daneben stehe, es mir ansehe und denke: Oh, hm. Ich verbrenne mich am Ofen, aber mein Körper sendet nicht die gewöhnliche Reaktion, nämlich ein Zucken, ein Zurückschrecken, ein »Au«-Schreien. Ich schaue mir nur die entstehende Brandnarbe an und denke: Oh, hm.Zunächst dachte ich, das sei kein großes Ding, ich hätte eben schlechte Reflexe und eine Grundgelassenheit, die es verbot, Aufgeregt- und Aufgescheuchtheit zuzulassen. Das konnte bei Außenstehenden sogar positiv aufgenommen werden, in etwa: »Du wirkst immer so, als würdest du total in dir ruhen.«, »Du bist so schön ausgeglichen.«, »Dich kann echt nichts aus der Ruhe bringen.« et cetera. In solchen Momenten lächelte ich mit meiner üblichen ‚Gelassenheit‘ und bedankte mich gegebenenfalls, vergeudete keine Energie darauf, dem Gegenüber zu erklären, dass das ganz einfach sei, wenn in einem drin gähnende Leere und eine derartige Abgestumpftheit herrschte, dass alles, das über Ruhigsein hinausging, viel zu viel Energie in Anspruch nahm und den Aufwand ohnehin nicht wert war.Ich war die ‚Gechillte‘, und das war mir auch ganz recht. Es musste ja keiner wissen, dass ich nur so ‚gechillt‘ war, weil mir alles schlichtweg egal war. So egal. Wenn einem sogar egal ist, ob man am Leben bleibt oder nicht, kann einen wahrhaftig nichts mehr ‚aus der Ruhe bringen‘. Dass dieses Gemäßigte also ganz andere Dimensionen annahm, war niemandem bewusst – wie auch? Wenn ein Auto mich fast streifte, weil es zu nah an mir vorbeisauste, und ich keine Anzeichen machte, mich zu bewegen, um dem Wagen oder zumindest dem Fahrtwind zu entgehen, wurde das allenfalls als Verträumtheit abgetan. Darüber konnte man sich vielleicht Sorgen machen; aber man konnte auch darüber lächeln, dass ich mich so sehr in meiner eigenen Welt befand, dass ich die drohende Gefahr gar nicht mitbekam. Vielleicht hatte man mich lieber im Blick, wenn man mit mir unterwegs war, aber eher wegen meiner ‚Schusseligkeit‘ als wegen Sorgen, dass ich mir etwas antun könnte. Warum sollte ich auch?Ich wollte mir wirklich nie etwas antun. Ich wollte zwar auch nie besonders enthusiastisch leben, aber mein Leben deswegen zu beenden, kam mir auch nicht in den Sinn. Wenn etwas passieren würde, dann wäre das wohl so, vielleicht wäre ich erleichtert, vielleicht auch nicht – bewusst den Schritt zu gehen, es zu provozieren oder komplett die Initiative zu ergreifen, nein, das war tatsächlich nichts, worüber man sich bei mir Gedanken machen musste.Daher war es auch absolut nicht meine Absicht, mein Zimmer abzufackeln. Ich hatte mich in einem Versuch, meiner Seele Gutes zu tun, um eine Kerzenbeleuchtung bemüht, da ich das unregelmäßig flackernde, warme Licht so mochte. Tatsächlich wollte ich mir nur einen gemütlichen Abend machen und meine Stimmung durch äußere Reize maximal stimulieren. Dass die Installation der Kerzen nicht ganz so geschickt war, merkte ich erst, als ich im Augenwinkel eine Stichflamme wahrnahm. Weil mein Hirn mir gerne mal Streiche spielte, nahm ich diese Vision zunächst nicht einmal ernst und machte mir nicht die Mühe, überhaupt in die betroffene Ecke zu schauen. Erst als es ungewöhnlich hell im Raum wurde, wunderte ich mich und sah mich um.Ich wusste zwar, dass ich abgestumpft war, aber dass ich einfach nur dasaß und still zusah, wie die Flammen meine Wand erklommen – das hätte ich nun auch nicht gedacht. Fasziniert sah ich, wie mein Wandkalender aus Pappe und verschiedene Notizen, die ich an der Wand befestigt hatte, vom Feuer eingenommen wurden, das sie gierig und hungrig fraß. Weder in meinem Körper noch in meinem Innern regte sich etwas. Ich sah einfach nur hin.Schließlich erreichte der Rauch, den das verkokelte Papier produzierte, den Rauchmelder, der sich sodann penetrant und unheimlich laut piepend meldete. Jetzt tat sich in meinem Körper etwas; ich duckte mich vor dem schrillen, unangenehmen Geräusch weg und zog instinktiv den Kopf ein.»Hat wieder jemand was in der Küche verbrannt, oder was?«, hörte ich meinen Mitbewohner rufen und in den Flur stapfen. Er musste gleich bemerken, dass der Rauchmelder im Flur still und brav an seinem Platz hing, ohne einen Mucks zu machen. Tatsächlich war es einen Moment still, bis ich lauter werdende Schritte hörte, die darin mündeten, dass meine Tür geöffnet wurde und ein verstörter Mitbewohner vor mir stand.»Ach du SCHEIßE«, stoß er aus und nahm die Wasserkanne, die auf meinem Schreibtisch stand. Ohne lang zu fackeln, spritzte er meine Wand mit dem Trinkwasser nass, löschte die Flammen, rief nach unserer Mitbewohnerin, dass sie noch mehr Wasser holte. Währenddessen schob ich meinen Stuhl unter die Stelle an der Wand, an der der Rauchmelder hing, und schaltete ihn ab. Als er endlich Ruhe gab, konnte ich erleichtert ausatmen, während meine Mitbewohner noch damit beschäftigt waren, das Feuer an meiner Wand zu löschen.Erst als sie fertig waren und mich fassungslos ansahen, wurde mir die Absurdität der Situation bewusst.»Alles okay?«, fragte meine Mitbewohnerin einfühlsam.»Warum hast du nichts gemacht?«, fuhr mich mein Mitbewohner weniger einfühlsam an.Ich fing an zu zittern und setzte mich aufs Bett, um dort mein Gesicht in meinen Händen zu vergraben.Verdammt, irgendetwas stimmte mit mir gewaltig nicht.

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