Literarisches Umfeld in der Epoche des Expressionismus

Der Begriff des Expressionismus wurde von Auguste Hervé geprägt. Dieser hat die französische Bezeichnung „expressionisme“ in Zusammenhang mit einigen Bildern der Pariser Kunstausstellung 1901 verwendet. Um sich von den Impressionisten abzugrenzen, wurde dieser Begriff für einige Bilder von Braque, Derain, Vlaminck, Picasso und anderen herangezogen.

Erstellt von DerSchreiberling vor 9 Jahren
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Zu bemerken ist allerdings, dass es sich beim Expressionismus nicht um eine rein literarische Epoche handelt. Auch bei den bildenden Künstlern und den Musikern lassen sich diese Entwicklungen erkennen, die sich ebenfalls wiederum auf internationaler Ebene abspielen. Des Weiteren ist diese Strömung nicht als Gegenbewegung auf eine vorausgegangene Epoche zu verstehen, obwohl der Begriff dies nahelegt. Es gab zur damaligen Zeit keine Richtung, die in irgendeiner Weise dominierte und hätte widerlegt werden können.[1] Die literarische Epoche selbst lässt sich zwischen den Jahren 1909/10 und 1918/20 sehen, wobei der Begriff Epoche hier nicht wirklich stimmt. Obwohl sich die Werke aus dieser Zeit in ihrer Erscheinung recht klar von den Anderen abheben, kann man den Expressionismus nur als Subkultur bezeichnen, da die anderen Strömungen weiterhin vorhanden waren. Aus politischer Sicht war die Lage nicht gerade entspannt. Der Rüstungswettlauf der europäischen Großmächte, das Hochkochen internationaler Konflikte und zudem eine „unfruchtbare Patt-Situation“[2] waren dafür verantwortlich. Auch wenn ein Krieg für die meisten Menschen unumgänglich schien, überlegten die einen, ob man dafür im 20. Jahrhundert überhaupt Waffen benutzt, während die anderen befürchteten, dass das Duell mit modernen Vernichtungswaffen keineswegs eine kurze Sache sein würde. So wird auch klar, warum Nachrichten vom Halleyschen Kometen (1910) oder vom Untergang des unsinkbaren Schiffes Titanic (1912) das Volk in Panik versetzten.[3]

Diese Gedanken und Ängste spiegeln sich in den Werken der damaligen Künstler wieder. Sie übermitteln in ihren Bildern, Texten, Skulpturen und Musikstücken vom „Ineinander von Tatendrang und Handlungshemmung, von vitalistischer Gewaltbereitschaft und Erstarrungsängsten“[4]. Viele Persönlichkeiten wie Ernst Barlach, Oskar Kokoschka oder Alfred Kubin waren sowohl bildende Künstler als auch Schriftsteller. Deswegen hatte die Kunst, die vom simplen Abmalen zum abstrahierten Übertragen der Natur in Kunstwerken übergegangen war, ebenfalls einen großen Einfluss auf die Literatur. Darüber hinaus erfand Arnold Schönberg mit seinen Schülern Alban Berg und Anton von Webern die atonale Musik als „konsequente[…] Fortentwicklung der Musiktradition [, die] […] gleichzeitig negierend“[5] ist. Auch wenn das Publikum dieser Neuheit kritisch gegenüberstand. Als neue kulturelle Form wurde das Medium Film zu dieser Zeit populär und spaltete das begeisterte Volk und die kritischen Autoren. Obwohl natürlich diese neuen Erfahrungen zwangsläufig als Inspiration für ihre Werke dienten.[6]

Eine weitere vorantreibende Strömung war der Futurismus mit seinen italienischen Wurzeln und dem Begründer Filippo Tommaso Marinetti. Gemalte Bilder sollten von nun an nicht mehr statisch, sondern dynamisch auftreten. In seinen Manifesten bekräftigt Marinetti seine Vorstellung, die Tradition nicht länger fortzuführen und stattdessen neue Wege zu gehen. Dieser Aggressivität stimmten einige Künstler zu. In seinem „Technische[n] Manifest“ weitet sich der Wirkungsgrad dieser Härte sogar auf Sprachgebrauch und Syntax aus:[7]

„[…] Man muß das Verb im Infinitiv gebrauchen, damit es sich elastisch dem Substantiv anpaßt und es nicht dem ‚Typ‘ des Schriftstellers unterwirft, der beobachtet oder erfindet. Das Verb im Infinitiv kann einzig den Sinn der Fortdauer des Lebens und die Elastizität der wahrnehmenden Intuition geben. […] Man muß das Adjektiv beseitigen, damit das nackte Substantiv seine eigentliche Färbung behält. […] Man muß das Adverb beseitigen, die alte Agraffe, die die Wörter zusammenhält. Das Adverb gibt dem Satz einen langweiligen gleichmäßigen Ton. Jedes Substantiv muß seine Verdoppelung haben, das heißt, das Substantiv muß ohne Konjunktion dem Substantiv folgen, dem es durch Analogie verbunden ist. Beispiel: Mann – Torpedoboot, Frau – Hafen, Menge – Brandung. […] Keine Interpunktion mehr. […]“[8]

Da sich dieser Text später mit Gottfried Benn beschäftigen wird, soll der Blick auch auf die Lyrik dieser Epoche fallen. Besonders im Fokus der Lyriker stand die Verbreitung und Wirkung ihrer Gedichte. Durch die Kürze der Texte konnten sie gut in Zeitschriften und Zeitungen untergebracht werden und eigneten sich ideal zur Rezitation im kulturellen öffentlichen Raum.[9] „Das Schreiben von Gedichten kam überdies der Lust der jungen Dichtergeneration am Experiment entgegen, die krisenanfällige Befindlichkeit, die Brüchigkeit des Subjekts in der Moderne konnte in ihnen stenogrammartig komprimiert und expressiv zugespitzt werden.“[10] In einer Lyrik-Anthologie von Kurt Pinthus zeigen sich noch heute die vielfältigen Themen, die sich bereits durch den mehrdeutigen Titel „Menschheitsdämmerung“ ankündigen. Auf der Suche nach Sinn mit ihren in dieser Sammlung aufgenommenen Texten waren die Autoren Johannes R. Becher, Theodor Däubler, Walter Hasenclever, Wilhelm Klemm und Franz Werfel. Sie bildeten die Vertreter „des ‚neuen Pathos‘ und des ‚messianischen Expressionismus‘“[11], welche im Krieg noch bedeutsamer wurden.[12]

Eine andere Gruppierung stand dieser Richtung skeptisch gegenüber. Sie wollten lieber den Raum Großstadt und die Gesellschaft beschreiben und analysieren, wobei dies von einer gesellschaftlich äußeren Position aus entweder mit Verzerrung oder dem nötigen Überblick geschah. Die Vertreter dieser Gruppe waren die Autoren Jakob van Hoddis, Georg Heym, Paul Boldt, Alfred Lichtenstein, Ernst Blass und auch Gottfried Benn.[13] „Die Herkunft aus bürgerlichem Haus läßt die jungen Intellektuellen den Bürger der Wilhelminischen Ära umso besser durchschauen.“[14] Sie empfanden „das Häßliche, Kranke, Abseitige, Abnorme und Perverse“[15] als ästhetisch. Dadurch wurde diese Künstlergruppe selbst von der Bevölkerung als krank und pervers angesehen. Die Expressionisten hatten durch die zunehmende Technisierung und den biblischen Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, das nahende Weltende vor Augen und versuchten, die passenden Worte dafür zu finden. In ihrer Selbstdarstellung geben sie vor, beim Verfassen ihrer Texte in Rauschzuständen gewesen zu sein. Dadurch konnten sie durch Tagträume in frühere Zeiten fliehen oder aber die Realität sehr grotesk darstellen. Trotz ihrer radikalen Ansichten blieben die Lyriker aber den traditionellen Textformen treu.[16]

Eine dritte Gruppe hingegen meidet die lyrischen Formen. Sie stellt sie unter Einfluss des italienischen Futurismus in Frage und empfindet sie als verbraucht. Außerdem waren die Anhänger wie Herwarth Walden und August Stramm auf der Suche nach der Ursprache.[17] „Die sogenannte ‚Wortkunst‘ des Kreises […], aber auch frühdadaistische[…] Sprachexperimente lassen sich als Versuche interpretieren, […] [ebendiese] zu finden.“[18]

[1] vgl. Große, Wilhelm: Expressionistische Lyrik, in: BLICKPUNKT – Text im Unterricht, Joachim Beyer Verlag, Hollfeld, 1996, S. 5f.

[2] Leiß, Ingo und Stadler, Hermann: Wege in die Moderne, in: Deutsche Literaturgeschichte, Band 8, Deutscher Taschenbuchverlag, München, 1997, S. 309, Z. 36.

[3] vgl. ebd. S. 309f.

[4] ebd. S. 310, Z. 18ff.

[5] ebd. S. 311, Z. 39f.

[6] vgl. ebd. S. 311f.

[7] vgl. ebd. S. 313f.

[8] ebd. S. 314, Z. 32 – S. 315, Z. 3.

[9] vgl. ebd. S. 384.

[10] ebd. S. 384, Z. 9ff.

[11] ebd. S. 385, Z. 2f.

[12] vgl. ebd. S. 384f.

[13] vgl. ebd. S. 385f.

[14] Große, Wilhelm: Expressionistische Lyrik, in: BLICKPUNKT – Text im Unterricht, Joachim Beyer Verlag, Hollfeld, 1996, S. 9, Z. 8f.

[15] Leiß, Ingo und Stadler, Hermann: Wege in die Moderne, in: Deutsche Literaturgeschichte, Band 8, Deutscher Taschenbuchverlag, München, 1997, S. 386, Z.11f.

[16] vgl. ebd. S. 386f.

[17] vgl.ebd. S. 387.

[18] ebd. S. 387, Z. 19ff.

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