Narzissmus im Internet
Der Begriff des Narzissmus ist in dieser Arbeit nicht als pure Selbstverliebtheit oder Selbstbezogenheit zu verstehen, sondern als Kampf um Anerkennung, der mit der Vergesellschaftung einhergeht. Damit ist ein Narzissmus gemeint, der danach strebt, von anderen geliebt und geachtet zu werden, denn wie wir eingangs bereits festgehalten haben, entwickelt sich das Ich erst in der reziproken Wechselwirkung mit den anderen Teilnehmern von sozialen Netzwerken. Doch mehr und mehr scheint es, als bräuchten die Menschen, wie Slavoj Zizek feststellte, „den Blick der Kamera als Beweis für ihre Existenz“ (vgl. Zizek 2000). Demnach hat die Liebe zum Nichtlebendigen, zur Technik, die Liebe für die ichbezogene Anerkennung in eine neue Dimension befördert.
Doch hat der Narzissmus in dem Zeitalter der Neuen Medien wirklich zugenommen? Ja, diese empirische Evidenz stellten US-amerikanische Sozialforscher fest. Campbell et al. befragten in einer umfassenden Längsschnitterhebung über 16.000 College-Studenten per Fragebögen, um festzustellen, ob die Tendenz zum Narzissmus zugenommen hat oder nicht. Das Ergebnis war, dass noch 1982 nur einer von sieben Befragten zum Narzissmus neigte, 2006 neigte bereits jeder vierte Proband zum Narzissmus (vgl. Twenge et al. 2008a, S. 875). Der durchschnittliche College-Student aus dem Jahr 2006 steht somit auf einer Stufe mit der Vergleichsgruppe der Forscher, die aus Schauspielern und Musikern bestand (vgl. Twenge et al. 2008a, S. 884). Es fragt sich jedoch, wie stark der Narzissmus bei den Schauspielern und Musikern im Jahr 1982 ausgeprägt war. So ist anzunehmen, dass auch sie von der Mediatisierung betroffen sind, d.h. dass durch die zunehmenden Möglichkeiten der Ausstellung auch der Drang zur Selbstdarstellung insgesamt für alle Bevölkerungsgruppen angestiegen ist. Das Medienwerk, darunter im Besonderen das Internet, erhöht bekanntlich die Mobilität der Gesellschaft und macht alle gewissermaßen zu Gleichberechtigten in einem großen Netzwerk. Demzufolge könnte angenommen werden, dass auch für den normalen Bürger das Bedürfnis nach öffentlicher Ausstellung wächst. Statt die Stars und Sternchen in den News zu bewundern, macht sich die Generation Facebook lieber selbst zur Nachricht und zum Mittelpunkt des Geschehens. So schreibt Andrew Keen: „They claim to be all about social networking with others, but in reality they exist so we can advertise ourselves […]” (Keen 2007, S. 7). Es geht also um die Darstellung und Vermarktung der eigenen Person – der Lohn dafür ist Aufmerksamkeit. In dieser Hinsicht lässt sich auch der Aufsatz „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ von Georg Franck erwähnen. Seiner Auffassung zufolge sind die wahren Millionäre nicht die, die das meiste Geld besitzen, sondern die, die meiste Aufmerksamkeit erhalten (vgl. Franck 1993, S. 478). So kämpfen Millionen von Nutzer/-innen auf Facebook und Co. um mehr Aufmerksamkeit, oder weshalb verfügen viele über Freundeslisten mit mehreren hundert Nutzer/-innen und mehr? Eine lange Freundesliste scheint so etwas wie ein Statussymbol geworden zu sein – je länger, desto besser. Nun wer mehr Freunde hat, der gewinnt auch mehr Aufmerksamkeit und potenziell mehr Bestätigung, somit Befriedigung für das Ich und es folgt der Aufstieg in der Ökonomie der Aufmerksamkeit.
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