Poetische Zeichensetzung bei Arno Schmidt
Sich intensiver mit der Interpunktion literarischer Werke auseinander zu setzen schließt die Möglichkeit zur Überinterpretation stets mit ein. Nicht jedes vom Autor verwendete Zeichen muss als Ausdruck einer dichterischen Sprache verstanden werden, insbesondere dann, wenn sich ein Autor an den im Duden festgelegten Interpunktionsregeln orientiert.
Überhaupt liegt einer Analyse der Zeichensetzung die basale Annahme zugrunde, dass Interpunktion mehr ist als eine „Lesehilfe“ und nur „als solche ein Teil der Interpretation“[1], wie sie Hans-Georg Gadamer in seinem Aufsatz „Poesie und Interpunktion“ definiert.
Dass die Interpunktion in den Werken Arno Schmidts eine gewichtige Rolle einnimmt, wird jedem Leser spätestens dann klar, wenn er ein beliebiges Buch des Autoren aufschlägt: Da reihen sich Semikolons, Punkte und Gedankenstriche wild aneinander, da sind Doppelpunkte und Klammern wie auch Kommata gegen jede Regelkonformität gesetzt und drängen sich dem Leser nicht minder stark auf wie die häufige Verwendung von Neologismen. Während der expressionistisch geprägte Sprachstil Arno Schmidts allerdings Thema zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen ist, so fristet die Zeichensetzung noch immer ein vergleichsweise stiefmütterliches Dasein, was, gemessen an ihrer brachialen Ausprägung im Schmidtschen Werk, verwundert.
Schmidts Interpunktionsverfahren kann nicht als „Lesehilfe“ verstanden werden, erschwert sie den eigentlichen Leseprozess doch erheblich, wie an folgendem Beispiel aus Schmidts 1957 verfassten Kurzroman „Die Gelehrtenrepublik“ erkennbar ist:
„Zu Fuß Gehen: Wir traten durch die Baumkulisse –, –, und standen vor einer, nach links wie rechts unabsehbaren, Front mächtiger Bauten ! / : ? / »Das hier vor uns die Klinik – wir sind sensibel, und oft und gern krank – « (lächelte gütig, altersweise – oder war’s schalkhaft? Kriegte ich jetzt nicht raus).“[2]
Was über den erschwerten Leseprozess hinaus auffällt, ist die sinnstiftende Funktion der Satzzeichen. Versucht man, die scheinbar überschüssigen Zeichen im Geiste wegzuradieren, fällt der Satz an einigen Stellen in sich zusammen. Es entstünden Lücken, durch die der Auszug inkohärent würde. Die Funktion der Satzzeichen muss, so kann hier bereits konstatiert werden, zumindest mehr sein als eine rein prosodische – eine Funktion, die ihnen häufig zugeschrieben wird, die jedoch, wie im Verlauf der Arbeit gezeigt wird, auf die spezielle Verwendung bei Arno Schmidt nicht zutrifft.
Was jedoch steckt hinter den „sinnstiftenden Satzzeichen“? Ziel dieser Arbeit ist es, eine Antwort auf die Frage zu finden. Die Auseinandersetzung mit der Interpunktionsweise Arno Schmidts wird sich insofern als fruchtbar erweisen, als bei Schmidt Zeichensetzung und Poetik Hand in Hand gehen, wie im Verlauf der Arbeit gezeigt wird, und eine nähere Betrachtung dementsprechend zu einem tieferen Verständnis des Werks beiträgt. Um die Verknüpfung von Interpunktion und Poetik angemessen darlegen zu können, werden die poetologischen Entwürfe des Autors kurz skizziert und an konkreten Textbeispielen überprüft. Dies geschieht immer in Berücksichtigung der Frage, ob und inwiefern die Zeichensetzung Schmidts die praktische Umsetzung seiner Prosatheorie ermöglicht bzw. darstellt. Verschiedene Deutungsweisen der bisher zum Thema erschienenen Forschungsliteratur dienen dabei als Ausgangsbasis.
Allerdings wird darauf verzichtet, Deutungen der einzelnen Satzzeichen zu entwickeln wie es Friedhelm Rathjen[3] bereits getan hat, sondern es gilt, weitere Interpretationsansätze aufzuzeigen, die sich insbesondere den Fragen widmen werden, ob und inwiefern sich in den Werken Arno Schmidts ein als „Text-Bild-Amalgam“ auftretendes visuelles Schreiben realisiert. Dieser Ansatz ist nicht ganz neu: Der Einfluss visueller Medien auf die Textstrukturen bei Arno Schmidt wurde in Hinblick auf sein Spätwerk im Zuge der Etym-Theorie, insbesondere auf Zettels Traum, häufig zum Thema wissenschaftlicher Arbeiten erkoren, wohingegen sich zu seinen früheren Werken nur wenige Bemerkungen finden. Diese Arbeit wird Beispiele der Interpunktion in den früheren Werken Schmidts, Die Gelehrtenrepublik und Aus dem Leben eines Fauns, geben, ohne die an der Psychoanalyse Sigmund Freuds orientierte Etym-Theorie in den Mittelpunkt zu stellen.
[1] Gadamer, Hans-Georg, Poesie und Interpunktion, in: ders., Ästhetik und Poetik II. Hermeneutik im Vollzug, in: Gesammelte Werke, Bd. 9, C.C.B. Mohr Verlag, Tübingen 1993, S. 282–288, hier: s. S. 284.
[2] Im Verlauf des Textes werde ich im Folgenden zitieren aus: Schmidt, Arno, Die Gelehrtenrepublik, Arno Schmidt Stiftung Bargfeld 1987, hier: s. S. 95.
[3] Ich beziehe mich hier auf Friedhelm Rathjens Aufsatz „: ? – : »`ne Pause ! !« kreischte ich;“ – Arno Schmidt und die Interpunktion, in: Carola Hilmes & Dietrich Mathy (Hrsg.), Die Magie der Unterbrechung, Bielefeld 1999, S. 32-47, aus dem ich im Verlauf des Textes zitieren werde.