Referenztext (Auszug)

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Im Jahre 1987 kam es zu einer curricularen Neuausrichtung in den Ausbildungsberufen im Metall- und Elektrobereich. Das Besondere bzw. das Neue dieser Ausrichtung war eine didaktische Innovation. Die beschlossene Ausbildungsverordnung sah ausdrücklich die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen vor, also Qualifikationen, die „dazu anleiten, in komplexen beruflichen Alltagssituationen Problemlösungen ‚selbstständig zu planen’, ‚durchzuführen’ und ‚zu kontrollieren’.

Erstellt von in-nomine vor 10 Jahren

“ (ARNOLD et al. 1998, 19). Arnold, Lipsmeier und Ott gehen sogar soweit, zu behaupten, dass durch die Einführung der Schlüsselqualifikationen in die Ausbildungsverordnungen eine Ausweitung des Qualifikationslernens hin zur „’Bildung’ bzw. [...] zur Persönlichkeitsbildung, d.h. zur ‚proportionierlichen Ausbildung aller Kräfte’“ (ebd.) stattfindet. Der Grund, warum Schlüsselqualifikationen fortan gefordert waren, liegt schlicht und ergreifend in der sich verändernden Berufswelt. Die reine Fachausbildung, also das, was man heute als Vermittlung von Fachkompetenz bezeichnet, ist sicherlich eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, um dauerhaft auf dem Arbeitsmarkt bestehen und für ein Unternehmen nutzbringend sein zu können. Fortschreitende technische Veränderungen und Wissen, das sich ständig erneuert, führen neben der Ausbildung von Fachkompetenzen zur Notwendigkeit der Förderungen sogenannter allgemeiner Kompetenzen (Methodenkompetenz, Kommunikationskompetenz, Sozialkompetenz usw.).
Mit Blick auf diese Veränderungen werden ganz unterschiedliche Positionen laut. Die einen sprechen von einem Substanzgewinn und meinen damit eine Konvergenz zwischen betrieblichen Nutzen und individueller Bildung. Die neuen Qualifizierungsstrategien würden auf Selbstständigkeit und damit auf Persönlichkeitsbildung setzen. Andere sehen hingegen in den neuen Kompetenzen ein Risiko für Betriebe. Die Kompetenz, Arbeitssituationen zu gestalten, mache schließlich nicht vor den Absichten des Managements halt, könnte sich also auch gegen diese Absichten richten (vgl. ARNOLD; GEIßLER 1995, 28ff.). Diese Überlegung erinnert an das, was der Darmstädter Pädagoge Gernot Koneffke 1969 als Integrations- und Subversionscharakter der Bildung herausgearbeitet hat (vgl. KONEFFKE 1969, 389ff.).

Eine weitere Position unterstreicht die Substanzlosigkeit der Schlüsselqualifikationen, demnach gehe es den Unternehmen schlussendlich nicht um die Persönlichkeitsentwicklung und damit auch nicht um Bildung, sondern um die Erhöhung der Flexibilität ihrer Mitarbeiter und damit schlichtweg um eine Steigerung der Rendite (vgl. ARNOLD; GEIßLER 1995, 28ff.). Andreas Schelten vertritt offensichtlich die These von der Konvergenz zwischen betrieblichen Nutzen und individueller Bildung, wenn er feststellt: „In der Berufsbildung steht über eine aktuelle inhaltliche Bildung der Anteil des ‚Menschen stärken’ im Vordergrund.“ (SCHELTEN 2006, 47). Es gehe, so Schelten, in der modernen Berufsarbeit nicht mehr nur darum, vorgegebene, umgrenzte Zwecke zu erfüllen, sondern um das, was man früher ausschließlich der Allgemeinbildung zugeordnet hat: um die Entwicklung geistiger und seelischer Kräftebildung. Diese werde zum Anspruch moderner Berufsbildung (vgl. ebd.). Daraus schließt Schelten, dass die Berufsbildung nicht länger an der Pforte zur Menschenbildung stehe, wie es Kerschensteiner 1907 in seinen Grundfragen der Schulorganisation formulierte, sondern dass wir es bereits mit einer Auflösung des Gegensatzes von allgemeiner und beruflicher Bildung zu tun haben: „Oder weiter gefasst, es erfolgt eine Integration von Berufsbildung und Allgemeinbildung: Berufsbildung ist Allgemeinbildung oder Allgemeinbildung ist Berufsbildung.“ (ebd., 48).
Schauen wir uns das Verhältnis von Allgemeinbildung und Berufsbildung etwas genauer an. Dazu macht es Sinn, Überlegungen Kerschensteiners in Erinnerung zu rufen. 1912 hält Kerschensteiner in Der Begriff der Arbeitsschule seine Vorstellung von Bildung fest. Demnach sei Bildung „der durch die Kulturgüter geweckte, individuell organisierte Wertsinn.“ (KERSCHENSTEINER [1912] 1971, 523; im Original kursiv). Der Sinn für Werte ist etwas, das – so Kerschensteiner – ausschließlich durch Kulturgüter erzeugt werden kann. Mit Kulturgüter sind hier Wissenschaften, Künste, Religionssysteme, Sitten etc. gemeint. An diesen Kulturgütern haften die „unbedingt geltenden Werte“ (ebd., 524). Der Mensch hat nun die Aufgabe, sich in den Geist dieser Güter hineinzuarbeiten, dadurch wird der Einzelne selbst zum Träger dieser Werte und damit „zu einem unbedingt geltenden Kulturgut“ (ebd.). Damit hebt Kerschensteiner mindestens zwei entscheidende Aspekte hervor: 1. Der Mensch muss angehalten werden, sich selbst zum Kulturgut und damit zum Wertträger zu machen. Ansonsten ist er wertlos. 2. Das „Sich-selbst-zum-Wertträger-machen“ kann nur mithilfe von Arbeit gelingen. Allerdings macht Kerschensteiner hier eine Einschränkung, denn nicht jede Arbeit ist aus seiner Sicht hierfür geeignet, sondern nur jene „pädagogisch wertvoll[e] [...], die sich in den Dienst eines unbedingt geltenden Wertes stellt, der unsere Seele erfüllt“ (ebd.). Zusammengefasst: Der Mensch kann und muss sich über pädagogisch wertvolle Arbeit zu einem Kulturgut, also zum Wertträger machen.
Nun führt Kerschensteiner noch einen weiteren Aspekt an, den man als staatsbürgerliche Dimension von Bildung bezeichnen könnte. Es handelt sich dabei um einen Gedanken, den er erstmals 1890 in seiner Antwort auf die Preisfrage der Königlichen Akademie zu Erfurt: „Wie ist unsere männliche Jugend von der Entlassung aus der Volksschule bis zum Eintritt in den Heeresdienst am zweckmäßigsten für die staatsbürgerliche Gesellschaft zu erziehen?“ skizzierte. Es geht dabei im Kern um eine Koppelung der privaten Interessen des Einzelnen an das Gemeinwohl. Anders formuliert: Es geht darum, den Einzelnen zum brauchbaren Bürger des Staates zu machen. Ein brauchbarer Bürger ist derjenige, der eine Arbeit leistet, die direkt oder indirekt den Zwecken des Staates zugute kommt. Unbrauchbar und für Kerschensteiner zugleich unsittlich ist derjenige, der körperlich und geistig gesund ist, die Vorteile der Staatsordnung genießt, aber keine Arbeit leistet (vgl. ebd, 525). In der bereits

erwähnten Schrift Grundfragen der Schulorganisation fasst Kerschensteiner diesen Gedanken deutlich pointierter. Der Weg zum „idealen Menschen“ führe ausschließlich über den „brauchbaren Menschen“ (KERSCHENSTEINER [1907] 1971, 533; Hervorh. im Original). Brauchbar ist der Mensch dann, wenn er „seine und seines Volkes Arbeit erkennt und den Willen und die Kraft besitzt, sie zu tun. Nur in dem Maß, wie ihm dieses gelingt, kann eine Nation ihn als Mensch bewerten.“ (ebd.). Wir können also festhalten, dass der Mensch sich über Arbeit selbst zum Wert macht, diese Arbeit aber pädagogisch wertvoll sein muss und es muss „seines und seines Volkes Arbeit“ sein. Erkennt und erfüllt er sie, wird er zum brauchbaren bzw. nützlichen Menschen. Je brauchbarer er ist, desto besser kann er als Mensch bewertet werden. Der bessere Mensch ist also derjenige, der besser zu etwas zu gebrauchen, eher zu etwas nütze ist. Aber nicht zu irgend etwas, sondern zu etwas, dass der Gesellschaft insgesamt zu Gute kommt.

II.
Wir sehen bei Kerschensteiner eine deutliche Verbindung zwischen Bildung und Ökonomie. Bildung meint Wertgenerierung – bei Kerschensteiner sicher nicht nur im ökonomischen Sinne. Der Mensch, der sich über Arbeit zum Kulturgut macht, der sich in die Kulturwerte hineinarbeitet, macht sich zu mehr, als nur zum ökonomischen Wert – es sei denn, wir leben in einer Zeit, in der sämtliche Kulturwerte letztlich in Geld aufgewogen werden. Man denke nur an den Studenten, der sich kurz vor dem Ende seines Studiums sozial engagiert. Nicht etwa, weil er es als Mensch für bedeutsam erachtet, anderen Menschen, denen es weniger gut geht, zu helfen, sondern weil er sich damit bessere Jobchancen ausrechnet. Letztlich zahlt es sich also im wahrsten Sinne des Wortes aus, auch mal an andere zu denken.
Die Nähe von Bildung und Ökonomie ist historisch bedingt, und auf diese Bedingungen werde ich im Folgenden eingehen. Dazu macht es Sinn, gedanklich zurück in die Zeit vor die preußischen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu reisen. Es war eine Zeit, die wir im Grunde genommen als eine feudale Ständegesellschaft beschreiben können. Bezeichnend für diese Gesellschaftsform war eine fehlende wirtschaftliche Dynamik. Einen nicht zu unterschätzenden Grund für diesen Mangel an Dynamik sieht der Darmstädter Historiker Christof Dipper in einer psychologisch-bedingten Skepsis gegenüber raschen Veränderungen. Schnelle Veränderungen kannten die Menschen im Zusammenhang mit Missernten, Seuchen, Kriegen etc. und führten nicht selten zu Katastrophen (vgl. DIPPER 1991, 84). Auch aus diesem Grund orientierten sich die Menschen am Gegebenen, an dem, was man im platonischen Sinne das rechte Maß nennen könnte. In Platons Staatskonzeption ging es ja im Kern darum, eine Gesellschaft, bestehend aus realen Menschen, entsprechend der Vorstellung eines idealen Staates zu gestalten. Auch hier war es entscheidend, Extremen entgegenzuwirken und sich an der Idee der Vollkommenheit zu orientieren, wobei das Vollkommene als das Rechte, das Maßvolle galt.
Auf dem Land gab es keine besonderen technischen bzw. ökonomischen Entwicklungen. Die Leibeigenschaft klammerte die Landbewohner an ihre Scholle. Sie verrichteten nahezu dieselbe Arbeit in nahezu derselben Weise, wie das bereits ihre Väter und Vorväter getan haben. Ihr Arbeitsrhythmus war maßgeblich an die äußere Natur gebunden, an die Witterungsverhältnisse, die Jahreszeiten, den Tag-Nacht-Rhythmus. Das Land, dem sie zugehörten, zu verlassen, um sich etwa in der Stadt einen (anderen) Beruf zu suchen, war den allermeisten Menschen nicht möglich. Sie waren schlichtweg unfrei. In den Städten war es nicht viel anders. Die jeweiligen Zünfte hatten feste Regeln, diese Regeln schützen einerseits die Mitglieder der Zunft – beispielsweise vor Konkurrenz – verhinderten aber andererseits eine Dynamik des technischen

Fortschritts. Eine Neu- und Weiterentwicklung von Werkzeug und Verfahrenstechnik fand kaum statt (vgl. SESINK 2007a, 29). Auf dem Land war es also die feudale Struktur, welche die subjektive Produktionsbedingung (die menschliche Arbeitskraft) an die objektiven Produktionsbedingungen (die Werkzeuge und Geräte, aber auch das zu bestellende Land) fesselte. Wohingegen in den Städten das strenge Regelwerk der Zünfte eine Entfesselung der Produktivkräfte verhinderte. Die Voraussetzung für eine Dynamisierung der Produktivkraftentwicklung war ein modernes Verständnis von Eigentum. Der einzelne Mensch musste in die Lage versetzt werden, über seine eigene Arbeitskraft zu verfügen, dazu aber muss er sich erst einmal selbst gehören, kurzum: er muss von der Leibeigenschaft befreit werden.

In Preußen fand diese Befreiung mit den Reformen in den Jahren 1807 – 1813 statt. Die 1807 beschlossene Agrarreform war diejenige, die faktisch die Aufhebung der Leibeigenschaft bedeutete. Sie war insbesondere für die Menschen auf dem Land entscheidend. Mit diesem Befreien ging ein „Frei-sein“ von den objektiven Produktionsbedingungen einher. Der Freie war nun auch frei von dem Land, zu dem er einst noch gehörte und das er zu bearbeiten hatte. Die Sachmittel, die er zur Verwirklichung seiner eigenen Arbeitskraft dringend benötigte, standen ihm fortan nicht mehr zur Verfügung. Für die Menschen in den Städten führte die 1810 beschlossene Gewerbereform zur Aufhebung der Zunftordnungen. Damit ging nicht nur eine freie Berufswahl einher, sondern auch eine Freiheit in der Art und Weise, wie beispielsweise ein Handwerk ausgeübt, welche Technik verwendet wurde usw. Eine neue Qualität der Konkurrenz wurde eröffnet, die für einige den Untergang bedeutete, aber insgesamt zu einem entfesselten technischen Fortschritt führte (vgl. SESINK 2007a, 132f.).

Als vermittelnde und zugleich entbindende Distanz wurde Geld zunehmend wichtig. Man benötigte als Unternehmer mindestens zweierlei Dinge: objektive Produktionsmittel (Sachmittel) und Arbeitskraft. Nun ist der Unternehmer aber nicht zwingend an bestimmte Gebäude, Maschinen und Gerätschaften gebunden. Im Gegenteil verhilft ihm das allgemeine Äquivalent Geld zum Kauf anderer Sachmittel. Ebenso wenig ist der Unternehmer von bestimmten Arbeitern abhängig. Er benötigt lediglich Arbeitskraft, die er sich auf dem mittlerweile freien Arbeitsmarkt einkauft. Die Befreiung von feudaler Bindung und den Zunftordnungen führte zur Etablierung eines Marktes für objektive Produktionsmittel und eines Marktes für Arbeitskräfte. Beides wurde zur Handelsware...

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