Referenztext: Der Kyinda Palast aus der Zeit Alexander des Großen
Der Makedonische König Alexander der Große (356 v. Chr. – 323 v. Chr.) hatte nicht nur die Regentschaftsposition seines Vaters Philipp II übernommen, er startete Eroberungszüge, die er von seinem angestammten Reich bis zu dem Subkontinent Indien unternahm. Nach seinem Tod entbrannten Streitigkeiten um seine nicht lückenlos geklärte Nachfolge und das Imperium zerfiel in Einzelreiche. Nicht zuletzt waren es die obersten Heerführer des verstorbenen Regenten, die sich selbst zu Staatsmännern der jeweiligen Länder erhoben. Einer der Austragungsorte der Thronstreitigkeiten war laut altgriechischer Texte eine Festung im Taurusgebirge namens Kyinda. Eine solche Festung wurde vor knapp zwei Jahrzehnten entdeckt und die Hinweise verdichten sich, dass es sich um jene Kyinda Burg handeln könnte.
Historische Relikte aus der Zeit Alexander des Großen
Die sterblichen Überreste des imperialen Herrschers wurden nie entdeckt, ebenso wenig wurden biografische Details über den Makedonischen Dynasten ausfindig gemacht. Aus den Historien des Geschichtsschreibers Diodor geht jedoch eine Festung namens Kyinda hervor, auf der sich im Jahre 318 v. Chr. ein Raub zugetragen haben soll. Dies lässt eine Schatzkammer auf dem Flottenstützpunkt vermuten. Unabhängig von Diodors Schriften ist es erwiesen, dass nach dem unerwartet frühen Tod von Alexander dem Großen ein Streit um seine Nachfolgerposition und seine eroberten Ländereien sowie um sein Vermögen entbrannte. Die Festung Kyinda hat sich nach Angaben Diodors im Taurusgebirge befunden, das im Süden der heutigen Türkei liegt. Nähere geografische sowie architektonische Auskünfte hat der antike Schreiber nicht hinterlassen. Die fehlenden geografischen Hinweise in den historischen Schriften und die relative Abgeschiedenheit des Taurusgebirges führten in der Gegenwart zu der Auffassung, dass die Gebirgskette für archäologische Entdeckungen weniger relevant sei. Das von Diodor genannte Bollwerk war über 2000 Jahre lang in Vergessenheit geraten.
Wiederentdeckung der Burg Kyinda
Die Region Kilikien, die sich am Rande des Taurusgebirges befindet, ließ immer wieder alte Überlieferungen verlauten, die von einer sagenumwobenen Burg auf dem Gipfel des Karasis berichteten. Professor Mustafa Sayar vom Deutschen Archäologischen Institut der Abteilung Istanbul ging diesen mündlichen Überlieferungen nach, und 1994 wurde die Festung entdeckt. Auf dem 1000 m hohen Karasis erstreckt sich die mächtige Wehranlage mehr als 1 km über den Bergkamm. Gemeinsam mit seinem deutschen Kollegen Prof. Adolf Hoffmann fand er an den Mauerresten ein Elefantenrelief, das Kampftier Alexander des Großen und Symbolfigur von Seleukos, einem seiner Nachfolger. In einem anderen Teil der Anlage wurden Riesenamphoren gefunden, in denen nachweislich Lebensmittel untergebracht worden waren. Ein weiterer Trakt weist Ziertreppen auf, die zu einer Außenanlage führen. Die Reste der Außenanlage lassen einen ehemals blumenreichen Lustgarten erahnen. Mithilfe von Architekten konnte der ruinöse Bau so getreu wie möglich rekonstruiert werden. Er zeigt Wohnbauten, Schutzmauern und Türme sowie Behausungen mit angeschlossenen Waffenkammern, den sogenannten Kasematten. Eben jener Kasemattenbau war für die Epoche Alexanders des Großen nicht charakteristisch, sondern war ein Relikt der Hethiterzeit, die viele Jahrhunderte zurücklag. Fachleute schließen daher nicht aus, dass dieser Burg ein wesentlich älterer Bau voranging, der in der frühen, bereits genannten Ära errichtet wurde.
Datierung der Festung auf dem Karasis
Das türkisch-deutsche Wissenschaftsteam sieht in dem weitläufigen Wehrbau ein Logistikzentrum, das als Trutzburg, als Wohnbehausung sowie als Unterschlupf und als Proviantlager der Truppen diente. Diese Annahme unterstützen die ehemaligen Verbindungswege, die an dem Fuß der Bergkette vorbeiführten, sie verbanden Anatolien mit Syrien und Mesopotamien. Nur 150 km weiter südlich liegen die verbliebenen Mauern des antiken Antiochia. Einer der Nachfolger Alexander des Großen, Seleukos I, erklärte die Hafenmetropole zur Hauptstadt seines eigens gegründeten Seleukidenreiches. Professor Gunnar Brands von der Universität Halle geht allen Hinweisen nach, die Informationen über Antiochia liefern und trägt indirekt einen wesentlichen Teil dazu bei, die Identität der Festung auf dem Karasis zu entschlüsseln. Dem Professorenteam Sayar und Hoffmann wird eine Sondagenuntersuchung weitere Antworten darüber geben, ob und welch ein Vorgängerbau auf dem Bergkamm vorhanden