Rezension: D. Kehlmann: Ruhm

Ruhm und Leere

Daniel Kehlmann meldet sich per Handy von seiner „Vermessung der Welt" zurück: „Ruhm – ein Roman in neun Geschichten“

„Ein Roman ohne Hauptfigur! […] Die Komposition, die Verbindungen, der Bogen, aber kein Protagonist, kein durchgehender Held.“ Damit ist der formale Rahmen für Daniel Kehlmanns Neuerscheinung „Ruhm –ein Roman in neun Geschichten“ bereits gezogen: Ein Werk aus neun Kapiteln, die jeweils den hermetischen Anspruch einer Geschichte zeigen, gleichzeitig jedoch untereinander vernetzt sind.

Erstellt von Fortunatus vor 9 Jahren
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Dass es sich bei dem zitierten Entwurf nicht um ein Zeitungsstatement Daniel Kehlmanns handelt, sondern um das Zitat einer der Figuren aus seinem neuen Roman „Ruhm“, namentlich Leo Richter, zeugt von einem Autor, der sich durch den weltweiten Erfolg seines Werkes „Die Vermessung der Welt“ nicht nur selbst zum Thema werden musste, sondern auch mit den an ihn gestellten Erwartungen zu kokettieren weiß. Die Attribute Richters (deutschsprachiger Schriftsteller, jung, erfolgreich) lassen denn auch keine Anzeichen eines Versuchs erkennen, den Gedanken an ein literarisches Alter Ego Kehlmanns im Keim zu ersticken.

Ob Kehlmann oder Richter - wer auch immer erzählt, tut dies nicht allein um der Geschehnisse willen, sondern mit der selbstgenügsamen Akribie des Kunsthandwerks. Call by call knüpft der Autor seine Links und Hints, zieht Verbindungslinien zwischen den einzelnen Geschichten auch da, wo räumliche Distanz es vermeintlich verbietet, und scheint doch immer nur auf den Pfaden eines bereits gesponnenen Netzes aus Mobilfunk, Internet, Straßen, Schienen und Luftverkehr unterwegs zu sein, dessen Fäden der Autor lediglich benetzt und so im Gegenlicht schillernd sichtbar macht. Der Leser wird im Laufe der Lektüre den Eindruck nicht los, irgendein Gott jenseits der Worte habe Gefallen gefunden an dieser so kunstvollen wie künstlichen Vernetzung der Welt. Überhaupt ist der ganze Roman so gespickt mit Spuren der Autorschaft – es erscheinen allein drei Schriftsteller in neun Geschichten – dass die Frage berechtigt erscheint, ob nicht in dem Maße, wie Kehlmann die Rolle des Protagonisten zu reduzieren scheint, der Autor schlechthin als „durchgehender Held“ in den Vordergrund rückt.

Im Anfang war das Mobiltelefon. Eine Welle fehlgeleiteter Anrufe läutet das erste Kapitel und damit die Geschichte von Ebling, dem schlecht und recht verheirateten Computer-Techniker, ein. Dass die Anrufe nicht ihm, sondern dem bekannten Filmschauspieler Ralf Tanner gelten; dass Ebling berufsbedingt der Technik ohnehin nicht traut, sich deshalb zweimal um eine Reklamation beim Kundendienst bemüht, (vor dessen geistiger, wie körperlicher Unzugänglichkeit er jedoch kapitulieren muss: „Nein, sagte die Frau. Das sei gar nicht möglich.“) – all das kann nicht verhindern, dass Ebling sich schließlich auf den offensichtlichen Irrtum einlässt und mit seiner virtuellen Identität zu spielen beginnt – mit durchaus realen Auswirkungen bei der Arbeit und im Ehebett.

Derlei vermeintliche Irrtümer sind es, die sich in Kehlmanns Geschichten verirren und sich dort so lange tummeln, bis ihre Protagonisten sie schulterzuckend akzeptieren: Eine Schriftstellerin, die auf einer Autorenfahrt in Zentralasien vergessen wird und sich weder ausweisen, noch ausreisen kann; ein berühmter Autor, dem sein Werk und ein berühmter Schauspieler, der sich selbst fremd wird; schließlich ein leitender Angestellter einer Telekommunikationsfirma, welchem das Doppelleben zwischen Ehe und Affäre so weit über den Kopf wächst, dass ihm in seiner Abteilung die doppelte Zuweisung hunderter Handynummern entgeht. Die schärfste Zuspitzung erfährt das Motiv des fehlgeleiteten Anrufs aber wohl in der dritten Geschichte, wenn die todkranke Rosalie den Autor ihrer Geschichte anruft (ausnahmsweise nicht per Mobiltelefon), er möge doch ihr vermeintliches Schicksal abwenden und sie nicht in jenem Schweizer Sterbehilfezentrum enden lassen, wohin sie schon unterwegs ist. Es wird nicht das einzige Mal sein, dass sich der Autor – deus ex machina! - gebeten oder ungebeten zu Wort meldet und dem Leser seine konstruktive Allmacht als Geschichtenerzähler vorführt.

Aus solchen Passagen der Desillusionierung einerseits, d.h. der Entlarvung der erzählten Geschichte als Konstruktion, und Kehlmanns Erzählkunst andererseits, erklärt sich auch jenes barocke Gefühlsgemenge, dessen sich der Leser über weite Strecken kaum erwehren kann und welches zwischen dem Lamento der Eitelkeit und purer Weltlust, Tod und Leben zu diffundieren scheint. Mit unmerklich geringem vokabularischem Aufwand gelingt es Kehlmann erstaunlicherweise immer wieder, dass wir eins werden mit den erzählten Geschichten und sie für kurze Zeit als die unseren akzeptieren. Noch leichter scheint es ihm zu fallen, diese Illusion wieder zu zerstören. Immer lauert die Wahrheit, der Tod des schönen Scheins um die Ecke. Daran muss das so gefährliche wie reizvolle Doppelleben eines Familienvaters oder die optimistische Laienphilosophie eines Bestsellerautors genauso zugrunde gehen wie das Geborgenheitsgefühl des Lesers. Es ist die bloße Leere, die um die Ecke der Fassade linst. Letztlich scheint alles aus einer handvoll Buchstaben erschaffen: Memento mori. Insofern haftet Kehlmanns prosaischer Kunst nur oberflächlich der Makel der Schwerelosigkeit an. Denn die textimmanenten Bedeutungslosigkeiten verkehren sich immer wieder und zeigen zurück auf den Leser – oder eben auf den Autor. „Irgendwann wirst du auch an der Reihe sein, und dann wirst du betteln wie ich“, entgegnet Rosalie auf ihrem letzten Weg dem Schöpfer ihrer Geschichte.

Bei aller Bewunderung für Kehlmanns erzählerische Fähigkeiten muss dennoch eingeräumt werden, dass vieles so neu nicht ist. Die Scheinwelten des Internets wurden nicht zum ersten Mal literarisch ausgeleuchtet, fehlgeleitete Anrufe waren auch schon in Paul Austers New York Trilogy folgenreich und wenn der enervierte Leo Richter auf mittelamerikanischem Terrain beschließt, seinen beruflichen Verpflichtungen zu entfliehen, und kurzentschlossen „zu den Pyramiden“ fliegt, fragt man sich unwillkürlich, ob er da wohl Max Frisch als Reiselektüre im Gepäck hat. Sogar ein Anflug Allenscher Stadtneurotik scheint während der Flughafendialoge zwischen Leo und Elisabeth, seiner Geliebten, in der Luft zu liegen.

Dass Kehlmanns Prosa trotzdem diesseitig und präsent wirkt, liegt auch an den zeitkulturellen Einlassungen, mit denen Autor und Co-Autoren immer wieder zu glänzen wissen - mögen sie Kehlmann, Auristos Blancos oder wie hier Leo Richter heißen: „Dies sei das Zeitalter der Bilder, des rhythmischen Lärms und des mystischen Dämmerns im ewigen Jetzt – ein religiöses Ideal, Wirklichkeit geworden durch die Macht der Technik.“ In solchen Momenten mag es dem Leser dämmern, dass Kehlmanns Buch, aller erzählkünstlerischen Selbstbezogenheit zum Trotz, auch die diesseitige Welt zerlegt, bespiegelt und vermisst. Wie das alles im Einzelnen gemeint ist, ob kulturpessimistisch, wertungsfrei oder augenzwinkernd, erschließt sich dem Leser ähnlich vage wie die intendierte Semantik einer SMS.

Und letztlich ist es wahrscheinlich dann doch Daniel Kehlmann selbst, den der erwartungsvolle Leser immer wieder zwischen den Zeilen suchen und finden wird. An dieser Faszination für den kunstreichen Erzählvirtuosen werden sich schließlich auch die Geister wie nach einem Konzertbesuch scheiden. Denn Kehlmanns „Ruhm“ strahlt in neun Geschichten um die ganze Welt – und bleibt doch immer ganz bei sich selbst. Damit ist die Literarisierung des Mobiltelefonats perfekt. Ob der Leser letztlich daran Gefallen findet oder darüber ermüdet, ist vielleicht mitunter auch eine Frage des technischen Interesses, was nicht die Suggestionskraft und Begeisterungsfähigkeit von Kehlmanns Prosa verhehlen soll.

„Ruhm“ mag zwar nicht Kehlmanns literarisches Highlight sein,

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