The Artifical Humans.
Der Gedanke einer Schöpfung aus Menschenhand, die die göttliche/natürliche nachbilden & sogar übertreffen sollte, ist so alt wie die ältesten Mythen der chinesischen, der ägyptischen, der griechischen, der arabischen Kultur. Vom Beginn des Denkens überliefern sie die Idee zwischen dem Lebenden & dem Toten eine Brücke zu schlagen und künstliches Leben zu erzeugen; seine Krone sollte der künstliche Mensch sein.
Gegen Ende des 15. Jh.s kleidete bereits der Künstler-Ingenieur Leonardo da Vinci das Lebensprinzip (‚forza’) in die Metapher der Mechanik, der Bewegung von Körpern oder Apparaten; inzwischen entpuppte sich Leonardos ‚forza’, Geheimnis des Lebens, als die Energie einer aufgespannten Feder: „sie gibt den Körpern ein aktives Leben, eine wunderbare Kraft“[1]. Das Federwerk gab den ‚Motor’ der automatenhaften Bewegung ab: soviel ist sicher, auch wenn die frühesten Automaten verlorengegangen sind, deren Beispiel auch Agrippa von Nettesheim (1486 – 1535) schon vor Augen standen. Die ältesten erhaltenen Androiden sind eine Lautenspielerin aus der Mitte des 16. Jh.s (heute: Kunsthistorisches Museum, Wien), die sich mit Trippelschritten vorwärtsbewegen und dazu die Laute schlagen konnte, sowie ein Mönch (gebaut um 1560, heute aufbewahrt im Deutschen Museum, München), der im Viereck ging, die Arme auf- & abwärtsbewegte, den Kopf beugte, die Augen kugelte & die Lippen bewegte. Für Agrippa bedeuteten solche Fähigkeiten eine beunruhigende, demiurgische Lebendigkeit. Was im späten 15. & 16. Jh. heraufkam, perfektionierten die Androiden des 18. Jh.s. Vaucansons Androiden (1738) vermochten die Flöte zu blasen oder zu trommeln; ihre komplizierte Mechanik verbarg sich in dem Podest, auf dem sie standen. Die Ingenieure Jaquet-Droz stellten 1774 Gliederpuppen her, die dank ihrer hochartifiziellen, mechanisch gesteuerten Gliedmaßen zu schreiben, zu zeichnen oder das Klavier zu spielen. Doch diesen Androiden fehlte noch viel zum Menschsein. Zwar sahen sie wie Menschen aus & bewegten sich wie sie, doch sie konnten nicht sprechen und folglich nicht ‚intelligent’, also zum Denken imstande sein. Im Jahre 1791 stellte der Ingenieur von Kempelen Sprechmaschinen vor, also Apparate, die die menschliche Sprachbildung imitierten; die Laute, die sie hervorbrachten sollen aber undeutlich & quäkend geklungen haben wie bei einem Kleinkind.
Zugrundeliegt diesen Versuchen, den Mensch als Maschine nachzubauen, ein philosophisches Konzept, demzufolge der natürliche Mensch als Maschine funktioniert. Die medizinisch-anthropologische Grundlegung des Menschen als Maschine stammt von La Mettrie (‚L’Homme machine’, 1748). Er unternahm – freilich theoretisch, nicht praktisch – den Versuch, den Menschen in all seinen Funktionsweisen, also in Bewegung, Verdauung, Empfindung, Denken, Sprache als Mechanismus zu erklären. Stützen konnte er sich dabei auf Descartes’ These, daß der Mensch in seinem körperlichen Wesen sich nicht vom Tier unterscheide; die Tiere aber seien quasi Maschinen. Freilich bedurfte es zur Belebung dieser toten Materie eines ‚Motors’, also einer bewegenden Lebens-Kraft. Im Laufe der Zeiten hat man den Magnetismus & die Elektrizität, die Uhrfeder, die Dampfmaschine und vieles mehr hinter der Energie des Lebens vermutet. Seit der Erfindung des künstlichen Computer-Hirns, das per Computerprogramm imstande ist, auch die komplexesten Apparaturen & Abläufe zu steuern vermag, scheint der Computer das unverzichtbare Zentralmodul der technomorphen Lebens-Attrappen. In der ‚virtual reality’ – in Computer-Simulation & -Animation von Hologrammen, Avataren oder Vuppets (Virtual Puppets) scheint das Problem des künstlichen Lebens – verzichtet man nur auf echte Fleischlichkeit & auf Gefühle – vielleicht sogar gelöst ...
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Müssen dennoch die Automaten & Androiden als Produkte von Technik & Computer immer beschränkt bleiben auf ihre vorauskalkulierten & einprogrammierten Fähigkeiten, so wächst in der Kunst den Mensch-Maschinen eine ganz andere, eine transzendentale Dimension und ein utopisches Potential zu. Dürfen die Mensch-Maschinen in der Kunst auf Phantasie & Einfühlung als psychische Motoren ihrer Verlebendigung & Vermenschlichung rechnen, so geschieht, was technisch bisher unmöglich blieb: Mensch & Maschine verschmelzen miteinander und bilden eine lebendige, denkende & fühlende körperliche Einheit. (Eine mediale Zwischenstufe bildet hier der Film, der die Belebung & Bewegung des Unbelebten vermöge eines optischen Tricks zu lösen vermag. Im Film entstehen bewegte aus unbewegten Bildern, indem die unbewegten Bilder so schnell hintereinander montiert werden, daß sie das menschliche Auge nicht mehr als einzelne Bilder unterscheidet; das Gehirn interpretiert sie folglich als ineinander-übergehend & bewegt. So werden mithilfe der filmischen Technik paradoxerweise lebende Schauspieler auf Fotos abgelichtet und sekundär – im ablaufenden Filmstreifen – scheinbar wieder verlebendigt. Für die Automaten & Androiden im Film bedeutet das, daß sie nicht beweglich konstruiert werden müssen; ihre Bewegung simuliert das Medium Film. Beispiele geben die Filme ‚Der Golem’, ‚Metropolis’ & ‚Villiers de l’Isle-Adams Ève future’.)
Doch zum Automaten-Menschen in der bildenden Kunst: ein häufig anzutreffendes Motiv sind Puppen resp. Schaufenster-Puppen. Beispiele stammen von Max Ernst: ‚die anatomie’ (1921): ein menschenähnliches Wesen, aus Schaufenster-Pppen-Kopf & -Arm, Gardinenstangen & Blechhelm, Metallröhren, Gummischläuchen etc. zusammengestückt liegt in einer Sardinenbüchse · Hans Bellmer: ‚La poupée’, 1934-37: eine weibliche Puppe, bestehend aus Gipsgesicht mit Perücke, Gipspopo mit verrutschtem Unterhemd, ... fotografiert in aufreizenden Posen; später werden die Puppenteile, von denen nur einzelne, fetischisierte ausgewählt werden, reduziert & nach Laune zusammengefügt. Es entstehen Kombinationen aus Bällen, die Bäuche & Brüste vorstellen, Genitalien & Schenkeln, die sich vervielfältigen: in einem Wald posieren, in einem Heuschober räkeln sich obszöne Rumpfgestalten, die aus mehreren Scham-, Bein- & Fußpaaren bestehen, immer mit weißen Söckchen und Riemchenschuhen bekleidet, und an einer gemeinsamen Bauchkugel oder einem Hintern hängen · die Arbeiten von Ernst & Bellmer griff Cindy Sherman: ‚Untitled MP #261 / #263’ (1992) wieder auf, wobei ihre Objekte männliche und weibliche Sexualorgane brutal vereinigen, deren rasierte oder stark behaarte Nacktheit durch ein dekoriertes Rüschenband oder einen Seidenstrumpf nur noch plakativer wirkt; Shermans Fotos zeigen auf die krude Sexfunktion heruntergebrachte Puppen-Körper-Teile als pervers & verstümmelt.
Neben den Puppen bilden Zwitterwesen zwischen Mensch & Maschine – die heute ‚Cyborgs’ genannt werden – ein wichtiges Thema der bildenden Kunst. Filippo Tommaso Marinetti ersann in seinem Roman ‚Mafarka’ (1910) mit dem ‚Flugzeugmenschen’ Gazurmah das Urbild des ‚Cyborgs’. Die futuristische Verherrlichung der Mensch-Maschine – die die „Schöpfung des mechanischen Menschen mit Ersatzteilen“ vorbereiten wollte (‚Technisches Manifest der futuristischen Literatur’, 1912)[2], war mit der Erfahrung des Krieges unlöslich verbunden. Dasselbe gilt für Otto Dix’ Bilder von Kriegskrüppeln (1920), deren grotesk-abstoßende Physiognomien allein von Prothesen zusammen-&am-Leben-gehalten werden. H.R. Gigers Biomechanoiden treiben die Synthese von Mensch & Maschine zur Perfektion; diese Röhren-, Wirbel-, Räder-Systeme sind organisches Skelett & technischer Maschinenbauplan zugleich.
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Der ironische Versuch, den menschlichen Körper allein aus Kuben, Drähten & Maschinenteilen zusammenzusetzen, stammt schon aus dem frühen 17. Jh. (Giovanni Battista Braccelli, 1624: ‚Bizarrie di varie figure’). Der Mensch als Apparat besitzt in der Geschichte der Künste eine Tradition bis zu Kasimir Malewitsch (1913) · Oskar Schlemmer (‚Triadisches Ballett, 1920-24) und weiter. Dabei sind schon Braccellis kybernetische Menschen auf eine einzelne Lebens-Funktionen zugerichtet: der Leib der Glöckner bildet einen Resonanzkörper für die inwendig aufgehängte Glocke; der Körper der Soldaten ist hohl und besteht aus einem robusten Metallgestänge, das unangreifbar für Verletzungen ist & unempfindlich gegen Schmerzen. Verweilt man hier einen Augenblick, so wird deutlich, was die Mensch-Automaten in der Kunst, die Puppen, Cyborgs, Androyden miteinander verbindet: Braccellis Soldaten sind perfekt, weil technisch allein auf ihre Funktion hin optimiert. Ihre Körper sind beinahe unzerstörbar; defekte Körperteile können durch funktionell identische Ersatzteile ausgewechselt werden; und sie kennen keine Gefühle mehr. Ähnlich scheinen die Gliedmaßen von Bellmers Puppe beliebig austauschbar & kombinierbar; so kann ihr künstlicher Körper immer wieder verändert & neu zusammengefügt und damit ihre pervers-provokante Aufreizungsfunktion optimiert werden. Auflöst die Kunst die biologische Evolution des Menschen durch die technische Perfektionierung der Mensch-Maschinen.
So wird man sagen, daß die Mensch-Maschinen seit den ersten bekannten Androiden des 16. Jh.s einen tiefgreifenden Wandel durchgemacht haben. Ersonnen, menschliche Lebendigkeit verblüffend echt nachzubilden oder dem Menschen nützliche Hilfsdienste zu leisten, scheint es mittlerweile möglich, die menschliche Biologie zu überwinden durch seinen technischen Umbau zur Maschine.
[1] Horst Bredekamp: Überlegungen zur Unausweichlichkeit der Automaten. In: Puppen · Körper · Automaten. Phantasmen der Moderne. Hg. von Pia Müller-Tamm & Katharina Sykora. Düsseldorf 1999. S. 94 – 105.
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