Trauerarbeit als soziale Frage

Trauerarbeit als soziale Frage - Eine Betrachtung auf dem Friedhof

Der Umgang mit dem Sterben und dem Tod hat sich im Laufe weniger Jahrzehnte grundlegend gewandelt. War der Tod und das Sterben zu Beginn des letzten Jahrhunderts noch Teil eines jeden Haushaltes, so findet das Sterben heute hauptsächlich in der Anonymität der Kliniken und Pflegeheime statt. Angehörige trauern dennoch, allerdings hat sich auch der Umgang mit Trauer gewandelt. Lässt sich dieser gewandelte Umgang mit Trauer und dem Tod jedoch direkt auf dem Friedhof nachweisen? Lässt sich beispielsweise der Trend hin zu mehr Anonymität und somit zu einer schnelleren Erledigung des Trauerfalls auch auf den Friedhöfen belegen?

Erstellt von ghosti22 vor 7 Jahren
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Ein Friedhof eignet sich für diese Betrachtungsweise des Umgangs mit Trauer entgegen vielfacher Ansichten sogar besonders gut. Neben Gräbern aus den 1970er und 1980er Jahren gesellen sich solche der jüngeren Jahre dazu. Dadurch lässt sich direkt der Prozess der Wandlung der Friedhofskultur nachweisen. Einhergehend mit der sich wandelnden Friedhofskultur ist jedoch offenbar auch eine gewandelte Trauerarbeit nachweisbar.

Der Friedhof ist letztlich dazu geeignet, darzustellen, ob die Trauerarbeit gesellschaftsschichtspezifisch ist. Reichere Schichten können sich beispielsweise einen Grabstein leisten, während ärmere Personenkreise mit einem Urnengrab vorlieb nehmen müssen. Trauerarbeit und der Umgang mit dem Tod kann also auch schichtspezifische Prägungen erfahren. Ein Sarggrab lässt die direkte körperliche Verbundenheit zu dem Verstorbenen zu, während das Urnengrab eine eher mehr „seelenverwandte Trauerarbeit“ gewährleistet. Aufgrund des nicht mehr vorhandenen Körpers des Verstorbenen ist die Trauerarbeit unbewusst anders als bei einem Sarggrab. Auch die Lage des Grabes im Gesamtkontext des Friedhofs kann die Trauerarbeit der Angehörigen beeinflussen. Liegt das Grab abseits oder in der Mitte des Friedhofs? Weist das Grab ein Kreuz auf oder ist es schmucklos und einfach gestaltet? So wie die mögliche finanzielle Möglichkeit des Angehörigen eine deutlich sichtbare Grabgestaltung gewährleistet oder auch nicht, so ist die Trauerarbeit mehr oder weniger sichtbar möglich. Gräber ohne viel Aufwand gestaltet, wie es modern ist, erlauben ein schnelles und bequemes Trauern vor Ort.

Das Grab muss nicht lang gepflegt werden, dem Trauerprozess muss nicht viel Aufmerksamkeit gewidmet werden. Aufwändig gestaltete Gräber indes ermöglichen zugleich den intensiven und zeitintensiven Kontakt zum Verstorbenen,verbunden durch die Grabpflege. Der Trauerprozess und damit die Auseinandersetzung mit dem eigenen Trauern wird als intensiver empfunden. Eine Bewältigung der Trauerarbeit scheint bei letzterem Personenkreis besser zu gelingen. Ein Friedhof ist insofern als Spiegelbild der Gesellschaft aufzufassen. Wer Geld hat, kann sich offenbar auch eine intensive Trauerarbeit leisten, während der arme Angehörige lediglich ein bescheidenes und damit zugleich in der Masse untergehendes Grab besuchen kann. Der Wandel der Friedhofskultur insgesamt lässt sich jedoch offenbar insbesondere auf die Durchschnittsbevölkerung beziehen.

Übertragung des Sozialstatus auf den Friedhof

Für wohlhabende Leute gilt vielmehr der Status auch nach dem Tode fort. Zahlreiche Gräber zeugen hiervon. Der Sozialstatus zu Lebzeiten lässt sich somit gleichsam auf den Friedhof und seine Toten übertragen. Insofern ist Trauerarbeit offenbar auch als eine soziale Frage aufzufassen. Während wohlhabende Familien Trauerarbeit auch über Generationen weitergeben können (Familiengräber), muss die einfache Bevölkerung nach der festgelegten Liegefrist endgültig Abschied von dem verstorbenen Angehörigen nehmen.

Neben der allgemeinen Ruhezeit von 25 Jahren gibt es beispielsweise für Kinder bis zur Vollendung des 5. Lebensjahres eine Ruhezeit von 20 Jahren sowie für Urnengräber eine Ruhezeit von 20 Jahren. Kinder die vor oder während der Geburt verstorben sind, genießen nach der gesetzlichen Regelung lediglich eine Ruhezeit von 10 Jahren. Insofern ist Trauerarbeit auch zeitlich begrenzt, dies gilt allerdings nicht für Sondergrabstätten, die sehr teuer sind (vgl. Frey 2011). Während die Durchschnittsbevölkerung eine zeitlich begrenzte Trauermöglichkeit besitzt, genießen wohlhabende Familien generationsübergreifende Trauermöglichkeiten und damit auch Erinnerungsmöglichkeiten an die Verstorbenen. Das Trauern an sich ist also nicht losgelöst von der sozialen Frage, zu betrachten. Dies gilt in besonderem Maße für die immer weiter zunehmenden anonymen Gräber (vgl. Stöcker 2006, 95).

Blumen als Grabschmuck und seine mutmaßliche Bedeutung

Die anonymen Bestattungen gelten als günstigste Variante, die Verstorbenen zu bestatten. Letztlich fällt unter die Gruppe der anonymen Bestattungen auch der Wohnungslose oder der Hartz-IV-Empfänger. Armen Familien wird also zuweilen gänzlich ein Anlaufpunkt zur Trauerarbeit vorenthalten. Trauerarbeit und Zuneigung zu einem Verstorbenen lässt sich allerdings nicht nur durch sichtbare Zeichen wie Grabsteine oder Holzkreuze unterscheiden, sondern auch durch Attribute wie Blumenschmuck. Welche Art der Grabverzierung ziert das Grab?

Blumen drücken in aller Regel eine besonders innige Beziehung zu dem Verstorbenen aus, während einfache Grabgewächse im Sinne von Bodendeckern offenbar eine Distanz zum Verstorbenen erkennen lassen. Dies lässt sich deshalb postulieren, weil ein Bodendecker gleichsam den Verstorbenen überdeckt und somit die Distanz zum Verstorbenen vergrößert. Blumen allerdings strecken sich der Sonne und damit dem „ewigen Leben“ entgegen. Insofern lassen sich auch Nähe und Distanz und damit der Stand der emotionalen Verbindung zwischen überlebendem Angehörigen und Verstorbenen auf dem Friedhof ablesen.

Trauerarbeit im kulturellen Kontext

Letztlich ist Trauerarbeit auch immer kulturell geprägt. Ein Muslim trauert anders als ein Christ oder Atheist. Gräber auf dem Friedhof lassen sich also auch nach der Herkunft der Verstorbenen und deren Angehörigen differenzieren. Die Grabgestaltung indes ist hierbei hinsichtlich der obigen Anmerkungen zu berücksichtigen, allerdings in den jeweiligen kulturellen Kontext zu setzen. Weil der Friedhof durch geschlossene Gräber und neue Gräber sich stetig im Wandel befindet, zeigt dieser gleichsam auch den Wandel der gesellschaftlichen Sichtweise in Bezug zum Sterben und dem Umgang mit dem Tod und der damit verbundenen Trauer.

In diesem Zusammenhang ist die Grabeinfassung zu erwähnen. Während Gräber in früheren Zeiten vor allem selbstständig mit Grabschmuck bestückt wurden, geht der Trend heute vielmehr zu steingedeckten und begehbaren einfach zu pflegenden Gräbern. Trauer und Trauerarbeit scheint in der von Hektik und Stress geplagten Zeit also auch immer mehr eine Zeitfrage zu werden (bezüglich der Veränderung der Änderung der Friedhofskultur vgl. Stöcker 2006). Letztlich wird die Grabgestaltung zuweilen auch von staatlicher Seite durch die Friedhofsordnungen vorgegeben. Daraus lässt ebenfalls sich der Wandel der Trauerarbeit ablesen, denn letztlich spiegeln die geänderten Friedhofssatzungen den beschriebenen Trend zur Vereinfachung der Grabgestaltung wider.

Auch Wandel der Todesanzeigen in Zeitungen zeugen von einer veränderten Trauerarbeit

Der Umgang mit Trauer lässt sich zudem auch an der Gestaltung der Todesanzeigen ablesen. Mittlerweile gibt es mehrere universitäre Arbeiten, die sich mit dem Aspekt des Wandels der Trauer beschäftigen. So hat sich beispielsweise A. Stöhr in ihrer Magisterarbeit „Die Todesanzeige - eine Gattungsanalyse. Chronologische Motivationsveränderung eines Kommunikationsmittels?“ am Rande auch mit dem Wandel der Trauerarbeit beschäftigt. Trauer ist insofern eine individuelle Auseinandersetzung mit dem Tod.

Trauerarbeit als soziale Komponente bei Seelsorgearbeit miteinbeziehen

Allerdings offenbaren die anhand materieller Sachgüter (Gräber, Grabattribute eines Friedhofs) dargelegten Betrachtungen, dass Trauerarbeit immer auch eine starke soziale Komponente beinhaltet (vgl. Frey 2011). Sozialarbeiter und Seelsorger sollten daher diesen Aspekt besonders in ihre tägliche Arbeit mit einbinden, damit auch Personen mit einer geringen finanziellen Ausstattung die Möglichkeit zum individuellen Trauern bekommen. Hier gilt es in Bezug zur Gestaltung der Friedhöfe einen anderen Weg einzuschlagen, damit individuelle Trauer auf dem Friedhof unabhängig vom Geldbeutel für jeden möglich ist, unabhängig von der Belegungszeit.

Literatur:

Stöcker 2006: W. Stöcker, Die letzten Räume. Sterbe- und Bestattungskultur im Rheinland seit dem späten 18. Jahrhundert (Köln, Weimar, Wien 2006).

Stöhr, 2011: Die Todesanzeige - eine Gattungsanalyse, (München 2011, GRIN Verlag)

Frey 2011: Begrenzte Trauer. Eine archäologische Prospektionskartierung und Auswertung der Gräber des Eichhoffriedhofs in Kronshagen, mit dem Ziel einer präventiven Dokumentation für die zukünftige Bodendenkmalpflege (Exposee für eine anzufertigende Dissertation, Kronshagen 2011).

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