Zur Unterscheidung von gesprochener und geschriebener Sprache

Sowohl die gesprochene als auch die geschriebene Sprache weisen spezifische Merkmale auf, die sich jedoch vorrangig auf die Prototypen beider Sprachen beziehen. Hierbei sind einige Unterschiede deutlich zu erkennen, allerdings ist die kritische Auseinandersetzung mit diesen Merkmalen unerlässlich, da diese auch oft mit Einschränkungen verbunden sind.

Erstellt von escribo vor 9 Jahren
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Als Prototypen gelten für die gesprochene Sprache sog. „Face – to – Face – Kommunikationen“, also direkte Gespräche zwischen zwei oder mehreren Dialogpartnern mit der Verwendung und dem Austausch von Gestik und Mimik. Für die geschriebene Sprache sind Texte prototypisch charakterisiert, die eine hohe sprachliche Ausdrucksfähigkeit vorweisen und die auf den neuesten orthografischen und grammatikalischen Standards basieren.

Man unterscheidet zwischen 10 prototypischen Merkmalen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache.

Zunächst gilt die gesprochene Sprache als flüchtig und die geschriebene als dauerhaft, da das Gesprochene im Gegensatz zum Geschriebenen nicht archiviert werden kann und somit für die Zukunft nicht festgehalten werden kann. Unter kritischer Betrachtung fällt jedoch schnell auf, dass dieses Argument heutzutage nur noch bedingt zutrifft. Durch fortschrittliche Technologien wie beispielsweise Tonbandgeräten, Anrufbeantwortern und Kasettenrekordern ist man sehr wohl in der Lage das Gesprochene für die Nachwelt zu erhalten. In bestimmten Situationen wie im Bundestag oder im Gericht ist es sogar sinnvoll, Gesprochenes niederzuschreiben. Umgekehrt wird Geschriebenes zum Beispiel in Nachrichtensendungen oder Radioreportagen ebenso oft mündlich vorgetragen. Das gesprochene Wort ist demnach unter Umständen genauso existent wie das geschriebene Pendant.

Das zweite Kriterium bezieht sich auf die Bedingungen von Zeit und Raum. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die gesprochene Sprache nicht an eine gemeinsame Äußerungssituation gebunden ist und somit den Bedingungen nicht unterliegt. Dass sich dieses Kriterium jedoch nur auf den prototypischen Fall der „Face – to – Face – Kommunikation“, bezieht, wird im Folgenden klar. Zum einen unterliegt die gesprochene Sprache nicht unbedingt einer gemeinsamen Äußerungssituation, da Telefongespräche oder Videokonferenzen den mündlichen Austausch auch ohne direkte Präsenz der Gesprächsteilnehmer genauso gewährleisten. In umgekehrter Weise kann die schriftliche Sprache bei Vorträgen mit Visualisierungshilfen nicht immer auf diese verzichten.

Das dritte prototypische Merkmal bezieht sich auf die Synchronizität. Die gesprochene Sprache verläuft synchron, die geschriebene Sprache verläuft dagegen asynchron, da hier die Produktion und die Rezeption einer Äußerung zeitlich nicht übereinstimmen. Es besteht für den Leser im Gegensatz zum Hörer keine Möglichkeit der Intervention. Die kritische Auseinandersetzung mit diesem Argument erfordert wie beim ersten Kriterium auch hier wieder den Blick auf die technischen Erneuerungen. Durch die Vernetzung des Internets und den vielen Chatoptionen wird diese Trennung aufgehoben.

Das vierte Kriterium umfasst die Verwendung deiktischer Ausdrücke in der gesprochenen Sprache. Diese werden in der geschriebenen Sprache weitgehendst ausgelassen, da, wie eben schon gesagt, der Wahrnehmungszeitraum von Sender und Empfänger nicht deckungsgleich ist. Das Geschriebene bedarf deshalb einer präziseren Ausdrucksweise, um Missverständnissen vorzubeugen.

An die Verwendung deiktischer Ausdrücke schließt sich auch das nächste Argument an: Die gesprochene Sprache tritt im Verbund mit weiteren Informationsträgern wie Intonation, Mimik und Gestik auf. Das Geschriebene muss logischerweise darauf verzichten. Allerdings gibt es auch hier wieder typographische Ersatzmittel. Absätze, Interpunktionen, Leerstellen und die Groß – und Kleinschreibung ermöglichen auch in geschriebenen Texten eine Fokussierung der vermittelten Informationen.

Das nächste prototypische Kriterium bezieht sich auf die Phylogenese und die Onthogenese. Demnach ist die gesprochene Sprache in beider Hinsicht primär und die geschriebene Sprache nachgeordnet. Diese Thesen sind unbestritten, da sowohl stammesgeschichtlich als auch entwicklungsgeschichtlich bewiesen ist, dass zum einen mündliche Kommunikationsformen vor der sprachlichen Verschriftlichung existiert haben, zum anderen lernen Kinder zuerst sprechen und später schreiben. Dies gilt jedoch nur für den Erwerb der Muttersprache. Der Spracherwerb bei gehörlosen Kindern erfolgt dagegen nicht über die gesprochene Sprache. Ein weiteres Gegenargument ist das Erlernen toter Sprachen im Schulunterricht wie z. Bsp. Latein.

Ein anderes Merkmal erklärt, dass die schriftliche Sprache im Gegensatz zu der gesprochenen Sprache nicht auf zusätzliche Hilfsmittel und Werkzeuge wie Stift, Papier und Schreibfläche verzichten kann. Da zum Sprechen jedoch auch streng genommen körpereigene Sprechwerkzeuge wie Zähne oder Zunge benötigt werden, gilt dieses Kriterium auch nur bedingt.

Zudem schreibt ein anderes Argument der gesprochenen Sprache einen fehlerhaften Satzbau, Flexionsbrüche, Dialektismen, umgangssprachliche Ausdrücke, Ellipsen, Selbstkorrrekturen und Gesprächspartikel vor. Die geschriebene Sprache sei nach diesem Kriterium sprachlich reiner, da der Schreiber die Möglichkeit zur Korrektur hat. Dies trifft jedoch auch nur auf den Prototyp zu. So kann man davon ausgehen, dass wissenschaftliche Vorträge oder Predigten beispielsweise auf diese fehlerhafte Ausdrucksweise verzichten. Andersherum wird bei manchen schriftlichen Texten wie Kurznachrichten oftmals nicht so genau auf eine akkurate Ausdrucks- und Schreibweise geachtet.

Das nächste Merkmal charakterisiert die gesprochene Sprache als Lautkontinuum, welches sich in der Zeit erstreckt. Die geschriebene Sprache enthält dagegen diskrete Einheiten, die eine räumliche Ausdehnung vorweisen.

Das letzte Merkmal beschreibt die gesprochene Sprache als dialogisch, die geschriebene Sprache als monologisch. Allerdings ist auch dieses Kriterium wieder nur auf die prototypische Vorstellung beschränkt. So widersprechen Predigten, Vorträge oder Vorlesungen diesem Kriterium, da diese monologisch aufgebaut sind und nicht zwangsläufig mit einer direkten Interaktion anderer Gesprächsteilnehmer verbunden sind.

Grundsätzlich kann man sagen, dass beide Sprachtypen gewisse Unterschiede aufweisen. Allerdings verwischen diese Grenzen durch äußere Umstände wie fortschrittlichere Technologien zunehmend.

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