Zwischen Gesellschaftskritik und Gangsta-Rap

Ein nacktes Baby im blauen Nass eines Swimmingpools, das auf einen Dollarschein zuschwimmt – nicht nur der Sound der Grungeband Nirvana, auch das Cover ihres 1991 erschienen Albums Nevermind hat sich in einige Köpfe gebrannt und viele Kids durch ihre Jugend begleitet.

Erstellt von rosalia vor 8 Jahren
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In Juri Sternburgs Buch Das Nirvana Baby ist das namenlose Cover-Baby erwachsen geworden und bekommt eine neue Identität: Paul Bakunin, der “von den Zuständen gelähmt, den Versuch unternimmt, ein Bekennerschreiben zu formulieren.” Doch viel mehr als ein radikaler Amokläufer, entpuppt Paul sich als ein Gangsta-Rap-liebender Teil einer Elite, der sich gern im eigenen Weltschmerz wälzt und eine Revolution nur so herbeisehnt.

Die Novelle ist das erste Werk, das im 2015 neu gegründeten Korbinian Verlag erschienen ist. Mit einer kleinen Kampfansage als Leitlinie tritt dieser in die Verlagslandschaft: “Wir maßen es uns an, diesen Verlag so zu führen, als würde das auf Papier gedruckte Wort nicht existentiell bedroht. Wir maßen es uns an, Literatur zu verlegen, die unterhält und aneckt.”Entsprechend soll auch der erste Roman des bisher einzigen Autors im Verlag, Juri Sternburg, ein Beispiel für den Zweifel und die Kompromisslosigkeit sein, durch die sich die Literatur des Korbinian-Verlags auszeichnen will. Sternburg ist Autor, Dramatiker und ein echter Berliner. Er schreibt schon seit einigen Jahren Kolumnen, Erzählungen und Reportagen für die TAZ und Magazine wie Freitext, HATE oder Noisey. Für sein erstes Theaterstück der Penner ist jetzt schon wieder woanders erhielt er 2011 den Förderpreis für neue Dramatik, ein Jahr später wurde es am Maxim Gorki Theater aufgeführt. 2015 folgte nicht nur ein weiteres Stück mit dem Titel Wider die Natur, sondern eben auch die Novelle Das Nirvana Baby.

Darin geht es um weitaus mehr, als nur um die Intention des Protagonisten Paul Bakunin ein Bekennerschreiben zu verfassen. Es geht auch um Weltschmerz und Gesellschaftskritik. Pauls Kopf ist voll “von den Unterdrückten, von den Opfern der imperialistischen Gewalt, den Unsäglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt, den Lügen der Herrschenden, der Gentrifizierung, dem korrupten System, dem Drogenkrieg in Mexiko, den unzähligen Toten im Mittelmeer, dem Turbokapitalismus, den Waldrodungen, der Entfremdung, der ausbleibenden Revolution” und noch so vielem mehr. Mitunter aber auch nicht so ganz: “Manchmal versuchte er tiefgründige Gedanken zu formulieren, aber seine einzige Erkenntnis blieb, dass er seine neuen AirMax-Sneakers schön fand. Er liebte sie beinah.” Die Probleme der gesamten Welt scheinen sich vor Paul aufzutürmen und in gedankenverlorenen Momenten muss er auch noch feststellen, selbst Opfer dieses so gehassten Systems zu sein. Das Ergebnis: die für seine Generation so typische Orientierungslosigkeit, die soweit reicht, dass er nicht einmal mehr weiß, wozu genau er sich in seinem Bekennerschreiben eigentlich bekennen will.

Juri Sternburg verpackt diesen Wust an Zweifel, Melancholie, Zynismus und stellenweise auch Wut in ein dem Inhalt übergeordnetes Durcheinander an Erzählerwechseln und einem Aufeinandertreffen von rhetorischen Mitteln und Wortspielen. Dabei entsteht ein regelrechtes Wirrwarr aus linksradikalem Gedankengut, Gangsta-Rap-Zitaten und manchmal mehr und oft auch weniger gelungenem Witz. Die Sprache selbst gleicht eher einer gesprochenen als einer poetischen Sprache, was nicht nur das Bild des Protagonisten als elitärem Teil der Gesellschaft ins Wanken bringt. Rhetorik, Stil und Inhalt suchen vergebens ihr Gleichgewicht. Stellenweise scheint es, als ob zu viel drinsteckt in diesem kleinen Buch mit seinen knapp 75 Seiten.

Die beschriebenen Erlebnisse des Protagonisten in einer Stadt mit “Hunderten von Zielen, unzähligen Legitimationen” entwickeln sich bezüglich des Inhalts zu einer übergreifenden Planlosigkeit, die sich in einer fehlenden Brücke zwischen der titelgebenden Hintergrundstory um das Nirvana Baby und dem eigentlichen Plot um das Bekennerschreiben widerspiegeln. Weiter noch scheint die eigentliche Story in der inhaltlichen Spanne von Gangsta-Rap-Zitaten bis Weltschmerz nahezu unterzugehen. Passender und weniger orientierungslos wirkt in diesem Sinne die aufgebrochene formale Gestaltung der Geschichte – klassischer narrativer Text wechselt sich ab mit der Form eines Tagebucheintrags und voneinander abgesetzten kurzen Handynachrichten.

Am Ende der Novelle deutet der Autor mit einer inhaltlichen Wendung an, was die Geschichte ihrer Grundidee nach eigentlich hätte sein können: ein Philosophieren über das “was wäre, wenn” sowie ein eloquenter Kommentar auf das Damals und das Jetzt. So entpuppt sich das letzte “Ich” als ein Autor, der gerade eine Erzählung über einen Amoklauf beendet hat und sich nun selbst dazu entscheidet, tätig zu werden. Der letzte Satz der Novelle, ein Zitat des italienischen Schriftstellers Giovanni Papini, wirkt im Sinne einer Moral so passend und doch so groß – zu groß vielleicht?

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